Freitag, 19. April 2024

Archiv


Was Sie schon immer über Literatur wissen wollten, aber nicht zu fragen wagten

Ein solches Buch, zumindest von diesem Umfang, hat es noch nie gegeben! Auf 914 Seiten, unterteilt in doppelt so viele Spalten, führt Focus-Literaturchef Rainer Schmitz allerhand Kuriositäten aus der Welt der Literatur auf. Sein anderthalb Kilo schweres Werk "Was geschah mit Schillers Schädel?" versammelt alles, was Sie nicht wissen über Schriftsteller, Bücher und den ganzen Betrieb der Literatur.

Von Oliver Seppelfricke | 17.01.2007
    Eine Beschäftigung, die für Rainer Schmitz lange, lange zurückreicht:

    "Die Anfänge für dieses heutige Lexikon oder die Enzyklopädie liegen schon 25 Jahre zurück und am Anfang war die Idee von einem solchen dicken Buch noch gar nicht da. Ich habe als junger Kulturredakteur eine Seite betreut, wo es um vermischte Dinge ging und ich habe eine Zeitlang Anekdoten gesammelt. Und nach einer gewissen Zeit habe ich festgestellt, dass sie sich immer ähneln und immer nur die Namen ausgetauscht wurden. Und da wurde ich natürlich ein bisschen stutzig und fing an, zu recherchieren. Das war eigentlich der Anfang dessen, dass ich Ungereimtheiten nachgegangen bin. Und so entstand im Laufe der Jahre eine große Archivkiste, etwa vergleichbar mir Arno Schmitz' Zettelkasten. Und es wuchs an und es wurde immer mehr und immer mehr."

    Als in den 90er Jahren dann das Notebook auf den Markt kam, wurde das Leben für Rainer Schmitz einfacher. Er musste nicht mehr vor Ort am PC sitzen und den Computer füttern, sondern er konnte in die Archive wandern und dort seinen riesigen Zettelkasten sofort verarbeiten. Rainer Schmitz:

    "Es ist so, dass ich ja schon immer viel gelesen habe. Als Kulturredakteur, als Literaturredakteur fallen einem natürlich ständig neue Bücher in die Hände. Nicht nur Romane, Erzählungen, sondern auch Biografien, Tagebücher, Briefwechsel. Dann kommt hinzu, von meinen Eltern habe ich sehr, sehr viele alte Bücher bekommen. Ich habe dann auch selber angefangen, zu sammeln und gezielt gesucht und in Antiquariaten gewesen. Habe alte Zeitungen durchforstet, bin in Bibliotheken, Archiven gewesen auch teilweise. Und nach und nach rundete sich das Bild dann ab. Und was heute im Lexikon ist, ist der Großteil dessen, was ich habe. Es gibt natürlich noch mehr."

    Von A bis Z listet Schmitz' Werk alles auf aus dem weiten Feld der Literatur, das man gemeinhin nicht kennt. Das man aber auf jeden Fall kennen sollte. Los geht es mit A wie Ablehnung. Es gibt wohl keinen Bestseller, der nicht einmal wenigstens von einem Verlag abgelehnt worden war. Die Liste ist lang. Von Süskinds "Parfüm" über Coelhos "Alchimist" bis hin zu Prousts "Recherche", ausgerechnet André Gide lehnte dieses Werk ab, als er für Gallimard als Lektor arbeitete, da es wohl niemanden geben werde, so Gide, der sich dafür interessiere, wie ein Held auf 30 Seiten schildert, wie er nicht einschläft. Weit gefehlt! Weiter geht's mit B wie Bestseller. Der meistverkaufte deutsche Schriftsteller ist? Nein, nicht Goethe, nicht Thomas Mann, nicht Hesse, Konsalik oder Simmel, sondern Karl May. Weltweite Gesamtauflage: 200 Millionen. Agatha Christie, die weltweit erfolgreichste Schriftstellerin, übertrifft das locker. Ihre Werke wurden 2 1/2 Mrd. mal verkauft. Und Stichwort: Der Dichter und das liebe Geld: Goethe war Millionär! Gut 4 Millionen Euro nach heutiger Währung erhielt der Geheimrat von seinem Verleger Cotta, Gottfried Benn errechnete seinen Stundenlohn als Schriftsteller mit 1,5 Pfennig, den Rest verdiente er als Arzt, Heine, der sich gerne als "armen Heinirich" gab, war ebenfalls zeitweilig Millionär - und wo so viel Geld ist, da sind die "Schulden" nicht fern. Man erfährt bei Schmitz, das Siegfried Unseld, der Suhrkamp Verleger, nicht nur jahrzehntelang Wolfgang Koeppen unterstütze, in der Hoffnung auf einen neuen Roman, an den er wohl selbst schon nicht mehr glaubte, sondern dass er auch Uwe Johnson enorm sponserte, als er ihm in einem Brief mitteilte, dass die Verbindlichkeiten nun 230.000 DM erreicht hatten, verkaufte Johnson sein Haus, überschrieb alle Versicherungen an Unseld und schrieb den vierten Band der "Jahreszeiten", eines der wichtigsten Nachkriegswerke.

    Vom Stichwort "Schulden" ist es dann nicht mehr weit bis zum titelgebenden Schiller und seinem Schädel. Rainer Schmitz:

    "Dahinter verbirgt sich ein, wenn man so will, doch ganz ein ganz schön starker Skandal. Als Friedrich Schiller starb, er war damals berühmter und bekannter als Goethe, hatte er keine offizielle Beerdigung bekommen in Weimar. Sondern er wurde bei Nacht und Nebel in einem Massengrab beigesetzt. Und erst 20 oder 30 Jahre später hat der Bürgermeister von Weimar ein schlechtes Gewissen bekommen, oder der Sohn von dem, und die haben versucht, die Reste zu finden. Sind auch bei Nacht und Nebel heruntergestiegen und haben versucht, Skelettreste zu finden, die man Schiller zuordnen konnte. Man wusste, er hatte eine bestimmte Zahnlücke gehabt. Aber das, was sie dort rausholten, reichte für zwei Skelette. Man konnte nichts genau zuordnen. Man hat also dann in der Fürstengruft, Herzog August von Weimar hat also praktisch Goethe und Schiller an seine Seite genommen, standen eine Zeitlang zwei Sarkophage. Und in der jüngsten Zeit findet man dort nur einen Sarkophag."

    Kürzlich hat die Stiftung Weimarer Klassik bekannt gegeben, dass sie Schillers Schädel analysieren wolle. Ganz sicher eine Reaktion auf Schmitz' fulminantes Werk, das jetzt schon "Der Schmitz" genannt wird.

    "Wenn natürlich ein Buch, das so kurz auf dem Markt ist, schon diesen Stellenwert hat, freut mich das natürlich sehr. Macht mich natürlich auch stolz."

    Wer mit wem ein Verhältnis hatte und wie lange; wer wo wie umgekommen ist (im Bad, beim Reitunfall oder beim Saufen); wer die fleißigsten Schriftsteller waren und wer die faulsten, das älteste, teuerste oder das schwerste Buch, Bücher, die nur in der Fantasie existiert haben und Schriftsteller, die gemordet haben (Hemingway zum Beispiel!) - bei Schmitz können sie auf gut eintausend Seiten alles nachlesen! Ein Werk voller Listen, Zahlen, Namen und Anekdoten, von der Antike bis heute, anderthalb Kilo Buch, die Lesegold wert sind!