Donnerstag, 25. April 2024

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Was tun mit den Steuermehreinnahmen?

Heinlein: Am Telefon begrüße ich jetzt den stellvertretenden Vorsitzenden des Bundesfinanzausschusses, Carl-Ludwig Thiele, FDP. Guten Morgen.

05.11.1999
    Thiele: Guten Morgen Herr Heinlein.

    Heinlein: Herr Thiele, die Steuerquellen sprudeln wahrscheinlich kräftiger als erwartet. Wäre dies eine gute Nachricht aus Hannover?

    Thiele: Für die öffentliche Hand ist das eine gute Nachricht, weil es zeigt, dass eben ein Teil der Wirtschaft Fuß gefasst hat und dass es Steuermehreinnahmen sind. Aber der entscheidende Punkt ist eben, dass die Bürger nach allen Vorhersagen, das werden auch die Steuerschätzungen in diesem Jahr oder heute bestätigen, um 50 Milliarden DM zusätzlich belastet werden. Und in der Vergangenheit war es immer so: Wenn die Steuereinnahmen in der Form gestiegen sind, dann gab es eben Spielraum, um auch von Steuern den Bürgern wieder etwas von dem Geld zurückzugeben, was sie selbst dem Staat gegeben haben. Und das bedeutet: Die Steuern wurden gesenkt. Und genau dies erwarten wir auch von der Bundesregierung, und ich glaube auch, das erwarten auch die meisten Zuhörer bei Ihnen.

    Heinlein: Bleiben wir, Herr Thiele, einen Moment bei dem Wirtschaftswachstum, das ja letztendlich dann eben die Finanzlage des Bundes verbessert. Wäre das nicht eine Gelegenheit für Sie - die Opposition -, die Finanzpolitik der Regierung zu loben?

    Thiele: Die Steuereinnahmen derzeit beruhen im Wesentlichen noch auf den Ergebnissen der letzten Jahre - insbesondere der alten Bundesregierung. Dazu kommen aber massive Steuererhöhungen, die Rot/Grün beschlossen hat. Die Ökosteuer finden Sie bei den Steuermehreinnahmen. Im Steuerentlastungsgesetz sind Riesen-Belastungen beschlossen worden, und diese Belastungen führen zu erhöhten Steuereinnahmen. Und deshalb ist unsere Forderung berechtigt, dass wir sagen: Von diesen Mehreinnahmen habt Ihr den Bürgern etwas zurückzugeben. Und das zeigt auch, dass es eben nicht richtig ist, dass eine durchgreifende Steuerreform mit entsprechend niedrigen Steuersätzen und einer deutlichen Steuerentlastung für die Bürger nicht finanzierbar wäre. Das haben die Wirtschaftsforschungsinstitute gefordert, dass die Regierung das auf den Weg bringt. Und angesichts der Diskussion, die wir momentan über die Steuermehreinnahmen haben, haben auch die Wirtschaftsforschungsinstitute gesagt: Eine durchgreifende Steuerreform ist finanzierbar. Und dies ist der Erwartungshorizont, denn es ist richtig, dass gespart wird. Das sehen wir als Opposition auch so.

    Heinlein: Herr Thiele, Sie - die Oppositionsparteien - fordern Steuersenkungen, Sie haben es gerade nochmal wiederholt. Der Bundesfinanzminister dagegen will mit den vermutlichen Mehreinnahmen das Risiko einer höheren Staatsverschuldung verringern. Was ist denn falsch an dieser Absicht?

    Thiele: An der Absicht ist prinzipiell nichts falsch. Nur holt Rot/Grün im Moment der Umstand ein, dass Rot/Grün den Bundeshaushalt 1999 um 6,3 Milliarden zusätzlicher Ausgaben aufgebläht hat. Das ist das Problem, was Rot/Grün hat. Sie geben in diesem Jahr erheblich mehr aus durch die öffentliche Hand, um auch Geschenke zu verteilen, und sie haben jetzt nicht den Spielraum, mit diesen 50 Milliarden Steuermehreinnahmen in diesem Jahr die Bürger zu entlasten. Und auf diesen Widerspruch muss man hinweisen.

    Heinlein: Sie sagen ‚Steuergeschenke', aber Sie fordern doch jetzt noch neue Steuergeschenke, obwohl die Bundesregierung in der Tat in den letzten Monaten beispielsweise die Einkommenssteuersätze doch deutlich gesenkt hat.

    Thiele: Diese Senkung der Einkommenssteuersätze haben wir auch begrüßt. Die Erhöhung des Kindergeldes haben wir auch begrüßt. Aber wir haben immer kritisiert, dass diese Entlastung der Bürger durch eine massive Mehrbelastung der Arbeitsplätze in Deutschland finanziert wurde. Durch das sogenannte Steuerent-lastungsgesetz ist die deutsche Wirtschaft in zweistelliger Milliardenhöhe belastet worden, und das sind die Arbeitsplätze, und das sind die Unternehmen. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass unsere Binnenkonjunktur nicht in Schwung kommt. Und deshalb ist es auch kein Wunder, dass Arbeitsminister Riester in der Haushaltspla-nung für das nächste Jahr von 3,91 Millionen Arbeitslosen auf 3,969 - also 70.000 mehr Arbeitslosen - ausgeht. Das ist das Problem, das die Regierung hat. Sparen an sich ist noch nicht das Ziel, sondern ich muss wissen, wofür. Und ich muss sparen, damit die Bürger von ihrer Steuer- und Abgabenlast etwas zurückerhalten, weil die Belastung für die Bürger und Arbeitsplätze unzumutbar hoch ist.

    Heinlein: Wie reagieren Sie denn, Herr Thiele, auf den Vorwurf von Seiten der Regierung, von Seiten von Hans Eichel, Ihre Forderungen nach weiteren Steuersen-kungen seien unseriös, reiner Populismus, um die FDP - Ihre Partei - als Steuer-senkungspartei zu profilieren?

    Thiele: Also, das finde ich als relativ simple Polemik. Finanzminister Eichel war ja mal Ministerpräsident in Hessen, und in Hessen ist unter seiner Führung von 1990 auf 1998 die pro-Kopf-Verschuldung von 4.600 auf 7.000 Mark gestiegen, so dass er erst mal nachweisen muss, dass er nachhaltig sparen kann. Bislang hat Rot/Grün bei den Ausgaben nur zugelegt: 6,3 Prozent Mehrausgaben in einem Jahr - das hat kein deutscher Haushalt, aber das hat die Bundesregierung, das hat Rot/Grün sich genehmigt, um bei den Bürgern über Mehrausgaben den Eindruck zu erwecken, dass alles gut wäre. Das ist nicht richtig, so wie Rot/Grün das betreibt.

    Heinlein: In einem Punkt, Herr Thiele, müssen Sie Hans Eichel aber doch recht geben: Gestern die Leitzinserhöhung durch die EZB - das wird dem Bund summa summarum in etwa 2 Milliarden Mark kosten; also der Spielraum für mögliche Steuersenkungen oder eben die Entlastung der Haushalte ist ohnehin enger geworden.

    Thiele: Das ist zum einen richtig. Auf der anderen Seite haben wir gerade in der alten Koalition bei der damals schon sich abzeichnenden niedrigen Verzinsung, die zu gewährleisten war, erheblich längere Laufzeiten verkauft. Das heißt, der Bund hat sich refinanziert über 10-jährige Staatsanleihen, über 30-jährige Staatsanleihen, um eben dieses niedrige Zinsniveau auch für die Zukunft sich zu erhalten, so dass also nicht die gesamten Schulden des Bundes umzufinanzieren sind und die gesamten neuen Schulden des Bundes mit diesem halben Prozent mehr zu verzinsen sind.

    Heinlein: Ganz kurz zum Schluss: Mit welchen Auswirkungen rechnen Sie denn insgesamt nach der gestrigen Entscheidung der EZB auf die Kassenlage von Bund und Ländern?

    Thiele: Der Kapitalmarkt hatte das ja schon vorweggenommen, denn der Bund refinanziert sich ja nicht bei der Europäischen Zentralbank; der Bund refinanziert sich am Kapitalmarkt. Und am Kapitalmarkt sind innerhalb der letzten drei Monate die Zinsen schon deutlich gestiegen. Und gestern nach der Entscheidung der Europäischen Zentralbank ist die Umlaufrendite nicht gestiegen, sondern sie ist sogar leicht gesunken. Und die Umlaufrendite ist das Maßgebliche, so daß nicht die Entscheidung direkt dazu führt, dass der Bund stärkere Zinsen zu zahlen hat. Das macht der Kapitalmarkt, und der war in den vergangenen Monaten schon gestiegen.

    Heinlein: Also keinerlei Grund für Panik an den Finanz- oder Aktienmärkten?

    Thiele: Überhaupt nicht. Ganz das Gegenteil ist der Fall. Hier ist eine klare Entscheidung für mehr Stabilität seitens der Europäischen Zentralbank getroffen worden, und das begrüßen wir auch als FDP.

    Heinlein: Zur gestrigen Entscheidung der EZB und zur heutigen Steuerschätzung war das der FDP-Finanzexperte Carl-Ludwig Thiele. Herr Thiele, ganz herzlichen Dank für dieses Gespräch und auf Wiederhören.

    Thiele: Gerne, Herr Heinlein. Einen schönen Tag und auf Wiederhören.

    Link: (Hans Eichel, Bundesfinanzminister: Besteuerung von Vermögen (19.10.99)==>/cgi-bin/es/neu-interview/430.html)