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Was von Watergate übrig blieb

2007 war ein Desasterjahr für die amerikanische Zeitungsindustrie. Sie verlor 26 Prozent ihres Aktienwerts, US-Zeitungshäuser waren damit auf einen Schlag elf Milliarden Dollar weniger wert. Gleichzeitig schrumpfen die Auflagen seit nunmehr 15 Jahren, selbst renommierte Häuser wie die New York Times entlassen Reporter. Kurz: Die Zeitungen in den USA stecken in der schwersten Krise ihrer Geschichte. Und wer gibt da noch Geld für investigative Reporter aus?

Von Bettina Schmieding | 05.07.2008
    Einbruch Watergate Komplex, Polizeimeldung

    Woodward allein zu Hause, Telefonklingel.

    Wucinzki, ich rufe von der Polizei aus an. Meine Freunde haben mir gerade gesagt, was sie in den Hotelzimmern der Watergate Einbrecher gefunden haben. Dieser Sache solltest du mal nachgehen.

    "Das Polizeipräsidium wird wie eine paramilitärische Organisation geführt. Früher konnte man einen Polizisten einfach anrufen und vielleicht gaben sie dir dann Informationen. Heutzutage geben sie dir nicht mal ihren Namen, um nicht in Schwierigkeiten zu geraten. Ich habe zum Beispiel angerufen, um die Anzahl der Fälle mit vermissten Personen zu erfahren. Als sie hörten, dass ich für die Village Voice arbeite, haben sie gesagt: Vergiss es. Das Gesetz zur Informationsfreiheit wird vom New Yorker Polizeipräsidium einfach ignoriert."
    Sean Gardiner ist ein freundlicher, eher zurückhaltender Mann. Seit vielen Jahren ist er Reporter in New York. Nichts Menschliches ist ihm fremd. Er kann verstehen, wenn sich die Mutter eines Mordopfers nicht von Reporter Nummer drei, vier oder fünf über das Leben ihres verstorbenen Sohnes ausquetschen lassen will. Trotzdem, das ist mein Job, sagt Sean achselzuckend. Und diesen Job, den liebt er so, dass er sich nichts anderes vorstellen kann.

    "Ich will nichts anderes tun. Und genau das ist mein Problem. Ich sehe mich ja um, nur für den Fall, dass alles schief läuft. Ich könnte Public Relations machen, das genaue Gegenteil von dem, was ein Reporter tun sollte."
    Im Moment sieht es nicht gut aus für Sean und für seine Kollegen. Er arbeitet bei der Village Voice, einer Zeitung in New York, die für ihren investigativen Journalismus schon mehrere Pulitzerpreise bekommen hat. Erst im Mai hatte Gardiner eine vielbeachtete Story im Blatt über den Mord an Romona Moore, einer schwarzen New Yorkerin, deren Tod seinen Recherchen zufolge aus rassistischen Gründen von der Polizei nicht aufgeklärt wurde. Trotz Artikeln wie diesem: Die Voice und die meisten anderen Zeitungen im Land müssen sparen, und Sean ist in einem heiklen Alter.

    "Ich bin 42 Jahre alt. Das, was ich mache, mache ich seit 1990. Ob es mich in den nächsten zwanzig Jahren ernähren wird, wollen Sie wissen? Es ist einfach beängstigend, ein 42 Jahre alter Kerl in diesem Geschäft zu sein und mit ansehen zu müssen, was daraus geworden ist."
    Die Zahlen sprechen für sich: 2007 war ein Desasterjahr für die amerikanische Zeitungsindustrie. Sie verlor 26 Prozent ihres Aktienwerts, US-Zeitungshäuser waren damit auf einen Schlag elf Milliarden Dollar weniger wert. Gleichzeitig schrumpfen die Auflagen seit nunmehr 15 Jahren, selbst renommierte Häuser wie die New York Times entlassen Reporter. Der Tribune Verlag mit einem Traditionsblatt wie der Chicago Tribune hat immense Schulden angehäuft. USA Today, die größte Tageszeitung des Landes, erlitt einen deutlichen Gewinneinbruch.

    Kurz: Die Zeitungen in den USA stecken in der schwersten Krise ihrer Geschichte. Und wer gibt da noch Geld für investigative Reporter aus, wenn schon die Papierkosten kaum die Berichterstattung über die letzte Pressekonferenz von Präsident Bush gestatten? Zeitungen ziehen sich immer mehr auf ein vermeintliches Kerngeschäft zurück. Große Geschichten, wochen-, teilweise monatelang recherchiert, sind ein Luxus, auf den viele Häuser meinen, verzichten zu können.

    Die Village Voice ist etwas, das es in Deutschland gar nicht gibt. Das Blatt erscheint einmal pro Woche und zwar kostenlos. Mit den hiesigen bunten und belanglosen Anzeigenblättchen hat die Voice nicht viel gemeinsam. Das Verlagshaus steht mitten in dem New Yorker Viertel The Bowery und ist ein bisschen heruntergekommen. Der Besucher fährt, genau wie der Chefredakteur, im Lastenaufzug in den vierten Stock. Hier hat Tony Ortega seit einem Jahr sein fensterloses Büro. In einer Ecke brummt ein dicker Kühlschrank unüberhörbar vor sich hin. Ortega hat eine verstopfte Nase, unglaublich, sagt er, dass er in einem Moloch wie New York unter Heuschnupfen leidet. Der Chefredakteur ist Herrscher über eine Schar handverlesener Reporter, die gerne im Auftrag der Village Voice unbequeme Fragen stellt. Und trotzdem, es gibt nichts, was man nicht besser machen könnte, schmunzelt Ortega, der gar nicht so mexikanisch aussieht, wie sein Name vermuten lässt:

    "In den letzten zehn oder 15 Jahren ist das Blatt ein bisschen selbstgefällig geworden, ein bisschen vorhersehbar. Die Voice hat sich viel mit dem Schreiben von langen Artikeln über Politik beschäftigt. Im Zeitalter des Internet sollte man das tunlichst nicht machen. Wir müssen etwas liefern, das sonst keiner anbietet. Was niemand hat, ist das originäre Berichten. Der Schwerpunkt liegt wieder auf den aktuellen Artikeln, auf den Geschichten, die sonst keiner hat. Ich habe Leute angeheuert, von denen ich glaube dass sie das leisten können."
    In einer Zeit also, in der viele sich noch verwundert umsehen und sich fragen, wie sie mit der Zeitungskrise umgehen, meint Ortega bereits eine Antwort auf die Frage gefunden zu haben, ob es in zehn Jahren überhaupt noch Zeitungen geben wird. Seine Lösung ist ein Mittelding zwischen klassischen Medien und dem Internet und das alles mit lokalem Schwerpunkt.

    "Im letzten Jahr haben wir uns auf New York fokussiert. Wir möchten aus diesem Blatt wirklich eine Zeitung machen, die New York thematisch abdeckt. Und natürlich werden wir durch das Internet auch im ganzen Land und auf der ganzen Welt gelesen."
    Ein kleines Blatt macht international Furore mit lokalen Themen? Hyperlocal journalism, also salopp übersetzt "lokalen Lokaljournalismus" nennen die Amerikaner diesen Therapieansatz für die siechen US-Zeitungen. Das klappt nur in einer Stadt wie New York, wo schon die Neubesetzung von Museumsdirektoren deutlich größere Tragweite hat als zum Beispiel in Knoxville, Tennessee. Und auch kleine Polizeireporter, das zeigt schließlich die Geschichte, haben mehr als einmal die Geschicke eines ganzen Landes verändert.

    Weißes Haus. Hi. Hier ist Carl Bernstein, Washington Post.

    Carl Bernstein und Bob Woodward, Polizeireporter der Washington Post, haben in den 70er Jahren durch ihre Artikel nicht weniger als den Rücktritt des US-Präsidenten Richard Nixon bewirkt. Unvergessen der Film über den politischen Skandal, den die beiden in akribischer Recherchearbeit über zwei Jahre, mit mehr als vierhundert Artikeln publik machten.

    Ja, hier ist Woodward. Ich möchte mit Ihnen über Watergate sprechen.

    Kein Kommentar zu dieser Geschichte. Rufen Sie mich nie wieder an.

    Bob Woodward ist übrigens bis jetzt bei der Washington Post geblieben. Aber nun ist auch für die Ikone der amerikanischen Investigativ-Reporter die Zeit des Abschieds gekommen. Er und hundert weitere Kollegen verlassen die Post in diesem Jahr. Die Auflage des berühmten Blattes ist in den vergangenen 15 Jahren um ein Viertel geschrumpft. Schlechte Zeiten für die Bernsteins und Woodwards des 21. Jahrhunderts.
    Kleinanzeigen, einst Hauptgeschäft der Zeitungen, sind massiv ins Internet, zum Beispiel zur Online-Plattform "craigslist", abgewandert. Und die Leute lesen weniger und wenn sie dies doch tun wollen, gehen sie ins Internet. 2040, so schätzen Pessimisten, wird die letzte Zeitung in den USA gedruckt werden.
    In New York gibt es zurzeit eine Redaktion, die hat viel Geld und eine Menge Platz frei für alle, die beim San Francisco Chronicle, bei der Chicago Tribune oder der Washington Post ihre Stellen als muckraker, als Schmutzaufwühler verloren haben.
    Das Großraumbüro von Pro Publica am New Yorker Broadway Ecke Wall Street ist hell und mit schlichten Büromöbeln eingerichtet und die meisten der kleinen cubicles, wie die Amerikaner die brusthohen Bürokabinchen nennen, in denen schon Bernstein und Woodward in den 70ern hockten, diese cubicles sind fast alle leer. We are hiring, wir stellen ein, könnte im Fenster der Redaktion stehen, wenn die nicht im 23. Stockwerk hoch über dem Bankenviertel New Yorks wäre. In der Nachbarschaft ist das Wall Street Journal und daher kommen Paul Steiger, der Chefredakteur von Pro Publica und auch Richard Tofel, der Geschäftsführer dieses gemeinnützigen Projekts.

    "Kabelkanal New York One berichtet über den Verkauf von Newsday an Cablevision statt an R. Murdoch für 650 Millionen Dollar. CV dominiert die Kabelwirtschaft auf Long Island."

    An diesem Morgen berichtet der Lokalsender New York One, dass die US-Kabelfirma Cablevision Newsday gekauft hat, eine Zeitung auf Long Island bei New York. Ob das ein guter Tag ist, bleibt abzuwarten. Dick Tofel jedenfalls ist skeptisch. Die könnten, meint er, ja nicht einmal ihr Basketballteam vernünftig führen.

    "Eine Studie aus Arizona hat vor drei oder vier Jahren ermittelt, dass es heute weniger als zehn Zeitungen in den USA gibt, die sich vier oder mehr investigative Journalisten leisten."
    So geht das nicht weiter, haben sich Mr. und Mrs Sandler gedacht, ein wohlhabendes Unternehmerehepaar, das seine Firma bereits verkauft hatte und nur auf eine Gelegenheit wartete, etwas Gutes zu tun. Und wie das meistens ist in den USA: Schwachstellen im System obliegen nicht der Verantwortung des Staates. Hier müssen sich die Bürger selber helfen, besonders diejenigen mit Geld.
    Zehn Millionen Dollar will die Sandler-Stiftung mit Pro Publica im Jahr für investigativen Journalismus ausgeben. Der Schwerpunkt wird auf Geschichten mit einem sozialen Ansatz liegen. Noch im Sommer soll es die ersten Texte geben. Und der Clou ist, die Artikel sollen an die Medien verschenkt werden. Eric Umansky gehört seit kurzem zum Team von Pro Publica. Der New Yorker Journalist war einer von 1.200 Bewerbern, die das Projekt in den letzten Monaten angezogen hat.

    "Mein erster Gedanke war: Wow, da würde ich auch gerne arbeiten. Ich war gerade in Syrien als ich davon las, und ich habe das gleich als eine bestechende Idee empfunden. Aus meiner selbstsüchtigen Perspektive passte das genau zu den Dingen, die ich sowieso machen wollte. Und das ist gut recherchierte, aufwändige Artikel schreiben. Ich will nicht im Tagesgeschäft tätig sein, will nicht auf Geschehnisse reagieren und schon gar nicht auf Pressemitteilungen. Alleine rausgehen und mich nach gutem Material umsehen und damit auch noch eine Menge Zeit verbringen können."

    Genau wie Bernstein und Woodward in der berühmten Szene in der Kongressbibliothek, hinter gigantischen Bergen von Ausleihzetteln nach dem einen, dem alles entlarvenden Papier suchend.

    "Dafür bin ich Pro Publica wirklich sehr dankbar. Ja, absolut. Die Wahrheit ist natürlich, dass ich sehr viel Glück hatte, die Geschichten schreiben zu können, an denen ich interessiert bin und die mich zum Journalismus überhaupt erst gebracht haben. Seit zwölf Jahren mache ich das jetzt schon und seit zwölf Jahren liebe ich es. Und jedes Jahr frage ich mich aufs neue wie es weitergehen soll. Ich war auch mal ein Autor, der am Hungertuch nagte. Und zurzeit gibt es einfach nicht genug Jobs von denen man leben kann, eine Familie unterhalten kann, besonders in New York. Diese Art von Journalismus ist doch wirklich wichtig."
    Fakt ist, es gibt viel mehr Journalisten in den USA, die investigativ arbeiten wollen, als freie Stellen. Fakt ist aber auch, dass die späten 1990er und frühen Jahre des 21. Jahrhunderts die erfolgreichsten für den US-Journalismus waren. Richard Tofel, damals Assistant Publisher beim Wall Street Journal, erinnert sich noch gut an diese goldenen Jahre. Und er erinnert sich auch an den Tag, der alles veränderte, nach dem alles anders wurde.
    Am 11. September 2001 wurde die komplette Redaktion des Journals evakuiert. Das Verlagshaus lag gegenüber des World Trade Center, Büros und Redaktionen blieben ein Jahr lang unbenutzbar. Sprechen mag er, wie viele New Yorker, zumindest mit Nicht-New-Yorkern, nicht gerne über diesen Tag. Sein Büro ist klein, sein Schreibtisch aus rötlichem Holz und oval. Tofel, gedeckter Anzug, Brille, korrekter Haarschnitt, darüber kann auch sein freundliches Angebot "Call me Dick" nicht hinwegtäuschen, antwortet als Geschäftsmann, auch auf emotionale Fragen. Die Anschläge des 11. September haben die USA verändert, keine Frage. Aber haben sie auch den Journalismus in dem Land verändert?

    "Ich glaube, dass die Berichterstattung über den 11. September selbst ganz hervorragend war. Damals gab es eine Menge ausgezeichneten Journalismus in diesem Land. Daher glaube ich nicht, dass das ein Teil des Problems ist. Ich würde vielmehr einen Unterschied machen, zwischen dem 11. September und der Vorbereitung auf den Krieg gegen den Irak. Das war kein großartiger Moment des amerikanischen Journalismus."

    O-Ton Youtube: "The manipulation of truth that paved the way to war in Iraq didn't just flow through politician's speeches. It flowed far more effectively through major media outlets."

    Die Medien, so lässt sich hier der Sprecher in einem Video aus dem Internet vernehmen, hätten genauso wie die Politiker die Wahrheit manipuliert, um den Krieg gegen den Irak zu rechtfertigen.

    Zu den engagiertesten Manipulatoren gehörte und gehört, zumindest was einen möglichen neuen Krieg gegen den Irakischen Nachbarn Iran betrifft, der Sender Fox; genau wie das Wall Street Journal in den Händen des Medientycoons Rupert Murdoch und bekannt für seine parteiische Berichterstattung.

    Aber auch die solideren Medien bekleckerten sich nicht mit Ruhm in der Zeit, als Präsident Bush den Krieg gegen den Irak einfädelte. Bereitwillig glaubten sie dem Hauptzeugen für die Existenz von Massenvernichtungswaffen im Irak. Der Überläufer Al Haideri fütterte Journalisten mit vermeintlichen Informationen aus den Waffenlagern des Irak, und die Medien schluckten jeden Brocken dankbar.

    "Das lag auch daran, dass die Bush-Regierung so geschickt darin war, die Medien zu manipulieren und diese Lügen zu verbreiten. Außerdem glaube ich, dass das auch daran lag, dass nach dem 11. September viele Gefühle involviert waren. Die Menschen glaubten sie seien die Opfer und suchten nach jemandem, den sie dafür verantwortlich machen konnten. Und Bush hat diesen Empfindungen in die Hände gespielt. Natürlich hätten sie viel skeptischer sein müssen."

    Sheila Coronel ist die Direktorin eines besonderen Studiengangs an der Columbia University. Sie unterrichtet investigativen Journalismus, ein Begriff übrigens, den die Word-Rechtschreibhilfe immer noch nicht kennt. Wer zu Professor Coronel will, muss das Geschäftsviertel rund um die Wall Street ganz im Süden Manhattans verlassen und mit der U-Bahn ganz rauf in den Norden fahren.
    Die Welt der Banker und Broker 110 Straßenblocks weiter im Süden ist schnell vergessen. Der Campus der Columbia ist klein und städtisch, aber man spürt, dass hier Großes geschaffen werden soll. Sheila Coronels Büro liegt direkt gegenüber des Denkmals von Joseph Pulitzer, dem US-Verleger, der die "School of Journalism", die Fakultät für Journalismus an der Columbia Universität gründete. Und die wiederum vergibt seit 1917 jährlich die Pulitzerpreise für herausragende Publizistik.

    "Wenn man sich in ihre Lage versetzt, als Bürger dieses Landes drei-, viertausend Menschen sterben zu sehen durch so einen brutalen und bösartigen Angriff, dann ist es sehr schwer, seine Wut und seine Trauer in den Griff zu kriegen. Es ist sehr schwer, in so einer Situation den Kopf über Wasser zu halten, sich Klarheit zu verschaffen und vernünftig genug zu sein, seine Gefühle als menschliches Wesen von den Instinkten eines Journalisten zu trennen."
    Eine Glaubwürdigkeitskrise gegenüber den US-Medien, die scheint es nach dem 11. September tatsächlich gegeben zu haben. Nur noch zwanzig Prozent der US-Amerikaner glauben an das, was in der Zeitung steht, sagt eine Studie der Columbia University. Kein Wunder, haben sich doch ehemalige Generäle der US-Streitkräfte Zeitungsberichten zufolge als PR Leute in den amerikanischen Medien getummelt. Propaganda von höchster Seite also.

    "Eigentlich dachte ich, dass diese Geschichte eher das Versagen der Medien als das Versagen der Regierung offen legt. Wir im Nachrichtengeschäft sollten verstehen, dass dieser Mangel an Skepsis die Lehre aus dieser Geschichte sein sollte. Wir haben schließlich Regeln und die Fernsehsender haben ebenfalls Regeln, die Interessenkonflikte verhindern sollen. Und diese Regeln gibt es aus gutem Grund. Leider wurden sie nicht angewandt, was man daran erkennen kann, dass Leute auf Sendung gingen, die ihre Meinung äußern durften obwohl sie in einem Interessenkonflikt standen. Das hätte man bei einem anderen Thema nicht gestattet."

    Richard Tofel, Manager des Projekts Pro Publica, ist ein vorsichtiger Mann, Schuldzuweisungen wird man von ihm nicht hören. Aber auch für ihn ist klar, dass die Medien in ihrer Berichterstattung über die Vorbereitung auf den Irakkrieg skeptischer hätten sein müssen.

    "Ich glaube, dass es natürlich Dinge gab, die das Vertrauen in die Berichterstattung beeinträchtigt haben. Aber das was viel wichtiger ist, ist die Wirtschaftskrise der Medien, die zu Kürzungen in der Berichterstattung geführt haben. Die Leser sind nicht dumm, wenn du ihnen weniger anbietest, dann merken sie das. Außerdem gibt es deutlich mehr Wettbewerb unter den Medien als vor dem Aufstieg des Internets. Das beeinflusst natürlich die Wahrnehmung der Menschen auf vielfältige Weise."

    Besonders die familiengeführten Verlage wie der des Wall Street Journals, das im vergangenen Jahr an den Medienkonzern News Corp von Rupert Murdoch verkauft worden ist, wurden mit dem Tempo der technologischen und wirtschaftlichen Veränderungen nicht fertig. Trotzdem, Gewinne, so seltsam das auch klingt, Gewinne werfen die US-Zeitungsverlage immer noch ab. Die Gewinnspannen der meisten Blätter liegen bei 15 bis 18 Prozent. Doch die Anleger, die Hedgefonds und Private Equities, werden ungeduldig. Ihnen sind die Zeitungen nicht profitabel genug.

    Und, als wäre die wirtschaftliche Lage der Zeitungen nicht schon schlimm genug, ist jetzt auch noch der Leser vollkommen unberechenbar geworden, weiß Sheila Coronel von der Columbia University zu berichten.

    "Die Leute wollen sich selbst aussuchen, was sie lesen möchten. Früher bekamen die Leser ihren Sport, ihre Unterhaltung und ihre politischen Informationen von nur einem einzigen Nachrichtenunternehmen. Heute können sie aus vielen unterschiedlichen Quellen wählen. Das wird sehr dadurch beeinflusst, wen zum Beispiel ihre Freunde bei facebook verlinken, und dadurch, was sie sich in youtube ansehen. Wir leben also in einer sehr dynamischen Nachrichtenumgebung in der niemand ein Monopol inne hat. Aber genau hier machen die traditionellen Zeitungen den Unterschied aus, weil sie immer noch echte Reporter haben, eine Redaktion und die Ressourcen. Kein Blog hätte diese Berichterstattungsmöglichkeiten."

    Also, die Lage ist verfahren, aber nicht hoffnungslos. Es gilt, nicht gegen die Bürgerjournalisten, die citizen journalists und Blogger im Internet zu agieren, sondern mit ihnen, wissen die Weisen unter den amerikanischen Medienexperten. Die Leser, das hat sich mittlerweile herumgesprochen, vor allem die Jungen, sind durchaus informationsfreudig. Nur will die Youtube-Generation ihre Nachrichten nicht mehr unbedingt aus den klassischen Medien ziehen, sondern bedient sich den Internets.
    Und die Nachwuchsjournalisten, die wissen das. Der Jahrgang "Investigativer Journalismus" an der Columbia ist fast fertig, bald gibt es die Urkunden, im Computerraum hängen noch ein paar Studierende rum, um sich für die letzten Prüfungen vorzubereiten. Milde Sorge macht sich auf den Gesichtern der Kommilitonen breit. Früher, erzählen sie, hat hier jeder in Windeseile einen Job gefunden. Das klappt nicht mehr.

    "Ich hab noch kein Praktikum, aber ich bin entspannt. Vielleicht zu entspannt, denn die Redaktionen werden ja kleiner. In Zeiten einer Krise werden die Leute erfinderisch, um ihr eigenes Überleben zu sichern."

    Tomas Dinges will nun endlich mal den Dreh zu einem richtigen Reporterleben kriegen. Nach ein paar Jahren bei kleineren Medien in Chile hat er sich an der Columbia für investigativen Journalismus eingeschrieben und macht gerade seinen Abschluss. Der große dunkelhaarige Typ ist schon dreißig und will sich jetzt ranhalten.

    Sheila Coronel bildet weiter Journalisten aus, weil sie an den Sinn von professionellem Journalismus glaubt. Man dürfe nur nicht so arrogant sein, zu glauben, dass alleine der klassische Journalist die Deutungshoheit habe. Gerade die investigativen Reporter, die muckraker, die Schmutzaufwühler, die seien es, die den Berufsstand unter Umständen retten könnten.

    "Manche sagen, dass es gerade diese Art der Berichterstattung sein wird, die den Unterschied für die Zeitungen ausmachen wird. Jeder andere macht auch Sensationsgeschichten, man kann die Schlagzeilen schließlich bei Yahoo und Google lesen. Aber die werden sich nicht die Mühe machen, in Bundesarchiven zu recherchieren. Sie werden nicht drei oder vier Dutzend Leute interviewen, sie werden nicht drei Monate an einem Artikel arbeiten. Zeitungen tun das und sie sollten dran bleiben."

    "Es hängt nicht weniger von eurer Arbeit ab, als das 1. verfassungsändernde Gesetz, die Freiheit der Presse und möglicherweise die Zukunft des Landes."

    Hier ist Bob Woodward von der Washington Post.

    Wir machen irgend etwas falsch. So was soll's geben. Du kannst doch nicht an einer Sache zweifeln, von der überzeugt bist. Wir müssen noch mal ganz von vorne anfangen.