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Wasserstoff
Physiker rätseln über den Radius des Protons

Wasserstoff ist nicht nur das häufigste Element des Universums, es ist auch das einfachste. Kein anderes Atom dürfte derart gründlich untersucht worden sein. Trotzdem ist noch vieles unklar. Für den Radius des Protons liefern Experimente völlig unterschiedliche Werte, die sich mit Messfehlern nicht erklären lassen. Auch auf der Tagung der Amerikanischen Physikalischen Gesellschaft war das Proton-Paradox ein Thema.

Von Eva Raisig | 14.04.2015
    Das Proton macht Probleme. Für viele Physiker ist das keine Neuigkeit, aber die weite Verbreitung dieser Erkenntnis macht die Lage nicht weniger prekär. Diesmal ist es die Größe des Protons, die den Physikern zu schaffen macht. Sie lässt sich durch die Verteilung der Ladung im Inneren des Protons beschreiben, doch verschiedene Experimente liefern für diesen "Ladungsradius" völlig unterschiedliche Ergebnisse. Weniger als ein Femtometer beträgt dessen Größe, also weniger als ein Millionstel eines Millionstel Millimeters.
    "Die Frage ist: Warum kümmert uns das überhaupt? Für uns ist der Ladungsradius des Protons, also die Verteilung seiner Ladung, deshalb so wichtig, weil er etwas über die innere Struktur des Protons aussagt. Mithilfe des Ladungsradius können wir zum Beispiel eine der fundamentalen Kräfte der Natur, die starke Wechselwirkung, besser verstehen lernen."
    Auch die Kernphysikerin Haiyan Gao von der Duke University in North Carolina ist deshalb daran interessiert, die Unstimmigkeiten rund um die Protonengröße aufzulösen.
    Offensichtlich wurden diese Unstimmigkeiten vor knapp fünf Jahren als Forscher am Schweizer Paul-Scherrer-Instituts den Ladungsradius mit einer nie da gewesenen Genauigkeit untersuchten. Eigentlich, so sagten sie später, wollten sie dem akzeptierten Wert nur die ein oder andere Nachkommastelle hinzufügen. Dazu betrachteten sie winzige Verschiebungen in den Energieniveaus von Wasserstoff, die eng mit der Größe des Protons zusammenhängen. Solche Experimente hatte es schon früher gegeben, aber die Schweizer benutzten eine spezielle Form des Wasserstoffs. Sie ersetzten das Elektron des Atoms durch ein Myon - ein Elementarteilchen, das in fast allen Wesenszügen dem Elektron gleicht, allerdings 200 Mal schwerer ist. Die kleinen energetischen Verschiebungen lassen sich mit diesem myonischen Wasserstoff besonders deutlich beobachten. Doch statt neuer Nachkommastellen fanden die Physiker einen völlig anderen, viel geringeren Wert als alle anderen Experimente. Nur 0,84 statt der lange angenommenen 0,88 Femtometer - ein Riesenunterschied. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Messfehler der Grund für das Ergebnis ist, liegt bei eins zu vier Milliarden.
    "Wahrscheinlich gab es kaum je ein genaueres Experiment in der Atomphysik. Andererseits zweifelt man natürlich schon, wenn sich ein Ergebnis derart gravierend von allen anderen Messungen unterscheidet. Die Forscher haben ihre Resultate dann noch mal überprüft, indem sie sich eine andere energetische Verschiebung angesehen haben, aber das Ergebnis blieb gleich. Die Messung war sogar noch präziser als die vorherige. Es gibt keinen Grund daran zu zweifeln, deshalb stellt sich schon die Frage: Was ist der Grund für diese Unstimmigkeit?"
    Denn auch für Zweifel an den vorherigen Experimenten gibt es keinen Grund. Um das Kernproblem zu lösen, verfolgt Haiyan Gao einen anderen Ansatz als die Schweizer. Am Jefferson Lab an der amerikanischen Ostküste schießt sie mit einem Teilchenbeschleuniger Elektronen auf Wasserstoffatome. Aus dem Winkel, in dem sie abgelenkt werden, zieht sie Rückschlüsse auf die innere Struktur und Größe des Protons. Der spezielle Aufbau am JLab soll noch viel genauere Ergebnisse als frühere Streuexperimente liefern und hat praktischerweise ein Sicherheitsnetz:
    "Wir schießen die Elektronen auf Wasserstoffgas. Der Elektronenstrahl streut also nicht nur am Proton, was wir eigentlich beobachten wollen, sondern auch am Elektron des Wasserstoffatoms. Diese Elektron-Elektron-Streuung kann man sehr gut berechnen, sie ist in dem Fall die Referenz für die eigentliche Streuung, die wir untersuchen. Dadurch lassen sich viele systematische Probleme verringern - zum Beispiel, dass wir nicht genau sagen können, wie viele Elektronen in dem Strahl drin sind."
    Der Erfolg der Messmethode steht und fällt mit der Genauigkeit, mit der das Aufeinandertreffen von Elektronen und Protonen reguliert werden kann. Denn um den Ladungsradius möglichst genau zu bestimmen, dürfen die Elektronen durch die Protonen nur um einen Hauch aus ihrer ursprünglichen Bahn abgelenkt werden. Selbst für hochpräzise Versuchsaufbauten keine leichte Aufgabe. Mit den Streuexperimenten am JLab könnten die Forscher diesem Ziel aber näher kommen als alle Forscherteams zuvor. Ein Grund mehr, voller Ungeduld auf erste Ergebnisse zu warten.
    "Das Entscheidende sind wirklich neue Daten - ob nun durch unsere Streuexperimente oder durch Ansätze wie dem der Schweizer. Wenn die Unstimmigkeiten nach diesen Messungen immer noch bestehen, haben wir tatsächlich Grund zu der Annahme, dass wir etwas Aufregendes gefunden haben, das wir nicht verstehen. Vielleicht ist es eine neue Physik."