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Wassertanks lauschen in der Pampa

Physik. – Über 3500 Quadratkilometer erstreckt sich das größte Observatorium der Welt. In der argentinischen Pampa wurde jetzt das Pierre-Auger-Observatorium eingeweiht, mit dem Teilchenphysiker auf die Jagd nach höchstenergetischen Teilchen gehen. Diese Teilchen von der Größe eines Atomkerns haben die Energie eines 200 Stundenkilometer schnellen Tennisballs und kommen aus dem All. Sie sind so selten, dass die Physiker 1600 Wassertanks über eine Fläche größer als das Saarland verteilen mussten, um eine realistische Chance zu besitzen, diese Teilchen beobachten zu können.

Von Frank Grotelüschen | 11.11.2005
    Ein Feldweg mitten in der argentinischen Pampa. Weit und breit weder Baum noch Haus. Nur das gelbgrüne, trockene Pampagras wiegt im Wind, und gerade sind wir an einem Salzsee vorbeigefahren. Hans Klages steuert seinen Wagen über einen Feldweg, stoppt und steigt aus.

    "Wir sind hier am Rande der Anden, gar nicht so weit von der chilenischen Grenze im Westen Argentiniens. Hier ist es wirklich flach und karg. Hier beginnt Patagonien."

    Klages ist Physiker am Forschungszentrum Karlsruhe und kommt drei bis vier Mal pro Jahr nach Argentinien, um hier zu forschen. Durch das Gras geht er auf einen Tank zu - eine Tonne aus gelbem Kunstharz, sie reicht einem nur bis zur Schulter, ist aber knapp vier Meter dick. Der Tank ist mit 12.000 Litern Wasser gefüllt. Wird dieses Wasser von kosmischer Strahlung getroffen, fängt es an zu leuchten, und drei hochempfindliche Lichtsensoren schnappen das Leuchten auf. Der Wassertank ist ein Nachweisgerät für kosmische Strahlung, sagt Klages’ Kollege Ralf Engel.

    "Dazu muss das Wasser sehr sauber sein. Wenn wir im Wasser zu viele Bakterien haben, dann fangen diese Bakterien an zu wachsen. Und am Ende wird das Wasser trübe. Trübe für das Licht, das wir messen wollen. Und die Qualität des Wassers würde sich mit der Zeit so verschlechtern, dass wir den Detektor nicht betreiben können."

    Wir fahren weiter und sehen noch mehr Tanks, alle 1,5 Kilometer einen. Insgesamt sind es 1600 Tanks, die Physiker verteilen sie schachbrettartig über eine Fläche von 50 mal 70 Kilometern. Vier Jahre ist es her, da setzten die Forscher die ersten Tanks in die Pampa - und erlebten dabei manche Überraschung. Ralf Engel:

    "Wir haben natürlich eine Probe gemacht - etwa 40 Tanks. Und da stellte sich heraus, dass es doch Ecken und Kanten an den Tanks gibt, die die Kühe gern nutzen, um sich zu reiben. Und diese Ecken und Kanten haben wir jetzt in den endgültigen Versionen rund gemacht bei den Tanks, um solche Probleme zu vermeiden."

    Dann erzählt Engel, warum die Forscher so viele Tanks brauchen: Und zwar sind jene energiereichen Teilchen, auf die es die Physiker abgesehen haben, extrem selten. Nur einmal in hundert Jahren schlägt auf einem Quadratkilometer Erde einer der kosmischen Raser ein. Und um wenigstens ein paar Dutzend Teilchen pro Jahr aufzuschnappen, braucht es eben die riesige Fläche von 3000 Quadratkilometern. Nun reißt ein kosmisches Teilchen auf seinem Weg durch die Erdatmosphäre Abermillionen anderer Teilchen mit - ein Lawineneffekt, die Experten sprechen von einem Luftschauer. Und je schneller das ursprüngliche Teilchen, desto größer der Schauer - und desto mehr Tanks werden getroffen.

    Das Pierre-Auger-Observatorium liegt bei Malargüe, einer Provinzstadt gute 1000 Kilometer westlich von Buenos Aires. Seit ein paar Jahren durchlebt Argentinien eine massive Wirtschaftskrise. In Malargüe jedoch scheint es bergauf zu gehen: Neue Geschäfte eröffnen, Hotels werden gebaut, die Restaurant sind gut besucht - wohl nicht zuletzt wegen der Physiker mit ihrem Riesenexperiment.


    Zu diesem Riesenexperiment gehört auch das "Auge". Es ist ein Gebäude auf einem kleinen Vulkan ein paar Kilometer von Malargüe entfernt. Das Auge besteht aus sechs Teleskopen. Auch sie suchen nach kosmischen Teilchen - allerdings mit einem anderen Messprinzip als die Wassertanks. Ralf Engel:

    "Wir ziehen uns hier Schutzschuhe über, damit wir den Staub von draußen nicht mit ins Gebäude bringen. Denn wir können die Aluminiumspiegel der Teleskope nicht ständig waschen. Das muss wirklich sehr sauber bleiben. Und wir werden uns jetzt sehr vorsichtig in den Teleskopräumen bewegen."

    "Alles ist mit schwarzen Vorhängen ausgekleidet. Und wir laufen hier im Halbdunkel zwischen den Geräten herum."

    Endlich stehen wir vor einem der Teleskope: ein Hohlspiegel groß wie ein Kinderzimmer. In seinem Brennpunkt steht eine seltsame Digitalkamera: groß wie ein Kühlschrank, die Oberfläche pechschwarz und wabenförmig. Ralf Engel:

    "Sie hat eine sehr hohe Zeitauflösung. Wir nehmen sehr viele Bilder pro Sekunde auf - etwa zehn Millionen Bilder pro Sekunde."

    In den Nächten, sagt Hans Klages, schaut die Kamera nach einer ominösen Leuchterscheinung, hervorgerufen durch kosmische Schauer.

    "Diese Luftschauer, die mit ihren Milliarden von Teilchen durch die Atmosphäre fliegen, regen den Stickstoff der Luft zum Leuchten an. Und diese Leuchtspur ist zwar extrem schwach. Aber mit großen, empfindlichen Teleskopen können wir die Leuchtspur beobachten. Und anschließend sehen wir dann die Teilchen in den Wassertanks einschlagen."

    Plötzlich schrillt ein Warnton los. Es ist Abend, das Tor zum Teleskop öffnet sich. Ralf Engel und seine Leute können mit der Messung beginnen:

    "Um die Sensitivität des Teleskops zu demonstrieren, kann man sich vorstellen, dass ein Schauer etwa ein Lichtsignal macht wie eine 50-Watt-Glühbirne, die in einer Entfernung von 30 Kilometern mit nahezu Lichtgeschwindigkeit durch die Atmosphäre bewegt."

    Die Teleskope fangen das schwache Leuchten am Nachthimmel auf. Je stärker das Leuchten ist, desto energiereicher muss das kosmische Teilchen sein, das das Leuchten verursacht. Die Messdaten gleichen die Forscher ab mit den Signalen der Wassertanks. Die Kombination beider Messmethoden soll neue Aufschlüsse bringen über das, was hinter der kosmischen Strahlung steckt - ob es ferne Galaxien sind, die miteinander kollidieren. Oder schwarze Löcher, die Schockwellen produzieren. Oder sogar exotische, vom Urknall übrig gebliebene Teilchen, die irgendwo im Weltraum zerplatzen. Hans Klages jedenfalls ist hochmotiviert. Auch künftig will er drei bis vier Mal pro Jahr die beschwerliche Reise auf sich nehmen, um in der Pampa mitzumachen am größten Experiment der Welt. Klages:

    "Ich bin jetzt zum 18. Mal in Argentinien. Und ich fahre immer lieber hierher. Ich liebe die Menschen hier, und die Landschaft ist so unterschiedlich von Mitteleuropa, dass ich das als Genuss empfinde, immer wieder herkommen zu dürfen."