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Wassili Golowanow: "Das Buch vom Kaspischen Meer"
Meer ohne Ausgang

Ein tiefes Unbehagen an der Gegenwart treibt den bedeutenden Moskauer Reiseschriftsteller Wassili Golowanow zu Reisen an den Ufern des Kaspischen Meeres, das seit Jahrhunderten Orient und Okzident, Islam und Christentum verbindet und trennt.

Von Uli Hufen | 16.06.2019
Blick auf Machatschkala - die Hauptstadt der russischen Nordkaukasus-Republik Dagestan.
Blick auf Machatschkala - die Hauptstadt der russischen Nordkaukasus-Republik Dagestan am Kaspischen Meer (picture alliance / dpa / Sergey Rasulov)
Es ist Ende Mai, schönste Reisezeit, auch in Dagestan am Kaspischen Meer. Wassili Golowanow ist seit ein paar Tagen in der russischen Kaukasusrepublik unterwegs. Er hat einige Bergdörfer gesehen. Er war in Russlands ältester Großstadt Derbent, die mindestens zwei- vielleicht aber auch fünftausend Jahre alt ist. Er hat die Waffenschmiede von Kubatschi besucht, die der Legende nach schon Alexander den Großen mit einem Helm und Alexander Newski mit einem Schild versorgten. Er hat über islamische Mystik und Wahhabismus und über Landflucht und Terror diskutiert und er hat fabelhaft schöne Landschaften gesehen. Jeden Tag.
Jetzt ist er zurück in Machatschkala, der Hauptstadt von Dagestan. Gerade stand er noch in einem Imbiss. Eine freundliche Verkäuferin gab ihm kaltes Bier und Knödelsuppe. Der Flachbildschirm an der Wand zeigte Bilder von einem Bombenanschlag auf einen Minimarkt. Der Täter wollte, so wird gemeldet, gegen den Verkauf von Alkohol protestieren. Als ein Bekannter auf dem Weg ins Hotel fragt, was los sei, warum Golowanow schon wieder aus den Bergen zurück sei, kann der sich nicht mehr beherrschen:
"'Mir raucht der Kopf von diesem Land! Ich werde hier noch verrückt, ich verstehe Dagestan nicht!', platzte es aus mir heraus. Ali schwieg."
Ein paar Stunden später sitzt Golowanow in einem Reisebus, der ihn über Nacht aus Dagestan ins 900 Kilometer weiter nördlich gelegene Wolgograd bringen soll. Golowanow raucht heimlich und trinkt viel zu viel Cognac, er schwatzt mit zwei dagestanischen Prostituierten, er hadert mit sich selbst und er hat zu allem Überfluss auch noch akute Sehnsucht nach seiner Frau Olga.
Weltschmerz und Reiselust
Die überstürzte Flucht aus Dagestan sagt einiges über den 1960 geborenen Wassili Golowanow, über seine Ambitionen und auch über sein Selbstbild als unerschrockener Abenteurer und romantischer Wahrheitssucher. Vor allem aber über sein Kaspisches Projekt, dessen Ergebnis nun in Form eines Tausendseiten-Wälzer vorliegt. Ein Buch, das einerseits durch und durch faszinierend ist und andererseits immer wieder so idiotisch, dass man es einfach nur zuschlagen und weglegen möchte. Es passiert nicht alle Tage, dass einem so etwas in die Hände fällt.
Irgendwann in den 1990er-Jahren hatte Golowanow beschlossen, sich dem Chaos des postsowjetischen Umbruchs zu entziehen. Er machte sich auf die Suche nach einem Ort, an dem er sich verstecken konnte vor den Zumutungen der Welt und fand ihn im arktischen Ozean, auf der beinah unbewohnten, kreisrunden Insel Kolgujew in der Barentsee. Zehn oder fünfzehn Jahre später - besonders genau ist Golowanow mit Jahreszahlen nicht - reifte eine neue Idee. Diesmal sollte es nach Süden geht, aber die Motivation war wieder Weltschmerz.
"Weder meine Insel noch mein Haus – ein alles in allem ganz wohnliches, gemütliches, zum Schreiben sehr taugliches kleines Haus unter Tannen – können mir länger als Zuflucht dienen. Ich spüre, dass die Panik wächst. In der Welt läut etwas ernstlich aus dem Ruder. Und ich selbst bin für diese Welt schlecht geeignet. Also eine neue Reise, doch im Unterschied zur damaligen, der ersten, gelungenen, versuche ich diesmal nicht, der alptraumhaften Realität zu entkommen, um jenseits des Gewohnt-Vertrauten Kraft und Poesie zu finden, sondern will der Realität ins Auge sehen. … Wieder breche ich, wie der Held im russischen Märchen, auf, begleitet von den mir mit auf den Weg gegebenen Worten: »Geh, ich weiß nicht wohin, und bring mir, ich weiß nicht was."
Große Erwartungen, kleine Reisen
Große Worte und einiges Geraune: Golowanow will das Gespräch mit dem Fremden aufnehmen und so Freiheit verwirklichen. Er will "anders Erkenntnis gewinnende Räume" durchqueren, Grenzen von Zivilisationen und Bewusstsein überschreiten, den Geist reinigen und "durch die Finsternis der schlafenden Herzen das lang ersehnte Licht finden".
Nur: Den monumentalen Worten folgt keineswegs eine ebensolche Reise. Wer angesichts der ohne Scheu vor Pathos formulierten Ambitionen vermutet, Golowanow hätte sich für Jahre oder doch mindestens Monate aus dem garstigen Moskau aufgemacht, um in aller Ruhe rund ums Kaspische Meer zu reisen, der sieht sich getäuscht. Golowanow reist kurz, nie länger als für zwei Wochen, dafür mehrfach. Erst in die Erdöl-Autokratie Aserbaidschan, dann in Russlands muslimische Vielvölkerrepublik Dagestan, später auf die Halbinsel Mangyschlak im Südwesten Kasachstans und schließlich in den Iran. Warum so kurz? Golowanow sagt es nicht, aber die Antwort liegt auf der Hand, auch wenn Golowanow, eitel wie er nun mal ist, es nicht zugeben würde.
Er ist nicht mehr der junge Mann von einst, der ohne zu Zögern Monate auf einer einsamen Polarinsel verbrachte. Außerdem kostet Reisen heute sehr viel mehr Geld als noch in den 90er Jahren. Golowanow allerdings ist ein stolzer russischer Intelligenzler alter Schule, der Wert darauf legt, ohne Kompromisse mit der modernen Welt des Kommerzes durchs Leben zu gehen. Arm, aber würdevoll. Seine Reisen sind im Grunde Dienstreisen, die er als Autor des Reisemagazins "Rund um die Welt" unternimmt: mit Hotel und Fahrer, notfalls auch mit Übersetzer. Und so machen sie zeitlich jedenfalls nur einen geringen Teil seines Kaspischem Projekt aus. Ein Projekt, an dem Golowanow über viele Jahre gearbeitet hat: vor allem in Bibliotheken.
Das Imperium und die Metropole: Islam in Russland
Worin aber besteht das Alptraumhafte der Moskauer Realität, der Golowanow entfliehen will? Und warum soll die Antwort darauf am Kaspischen Meer zu finden sein? Golowanow sagt es nirgends wirklich explizit, aber einige Andeutungen gibt es. Da ist zunächst einmal die schlichte Faszination für eine Landschaft, von der er zuerst 1999 im Wolgadelta eine Vorstellung bekam:
"Warum, weiß ich nicht, aber eine vom Menschen unberührte Weite erregt und belebt mich. Dort im Delta spürte ich, wie die Hitze jener fernen Steppen mich anwehte, unter denen die Ruinen der noch von Alexander und Dschinghis Khan zerstörten Städte ihre Ruhe gefunden haben. Eine jähe Sinnestäuschung – ich roch Lotos und glaubte, Rosen zu riechen – ließ die ganze Poesie Persiens aufkommen. Die alte Schaffilzmatte auf dem Bett einer Brandwache erinnerte mich an die Flickenmäntel der Sufi-Derwische ... Mit einem Wort: Es hatte mich gepackt. Ich konnte mich nur mühsam zwingen, nach Moskau zurückzukehren."
Wichtiger aber als Wüsten und Steppen, als Hitze, Derwische und persische Poesie ist etwas ganz anderes: Golowanow reist, wie Hunderte vor ihm, als westlicher Intellektueller in das, was man früher den Orient nannte. Golowanow will den Orient verstehen, weil er bemerkt hat, dass der Orient nicht nur in Form von Büchern von Annemarie Schimmel oder persischen Mystikern in seiner Studierstube existiert, sondern buchstäblich vor seiner Haustür: in Form von Gastarbeitern aus Kirgisien, Aserbaidschan, Tadschikistan und anderen ehemaligen Sowjetrepubliken. Moskaus muslimische Gemeinde ist heute mit knapp zwei Millionen Menschen die größte Europas. Die Menschen aus den Außenposten des zerfallenen Imperiums suchen ihr Glück in der Metropole.
Unbehagen an der Gegenwart
Noch problematischer als die unbefangene, ja achtlose Art, in der Golowanow von "dem Orient" redet und von Kollektivsubjekten wie "den Turkmenen", "den Bergbewohnern" oder "der iranischen Jugend", ist ein nie ganz ausformuliertes und zu Ende gedachtes Unbehagen an der Moderne und an der westlichen Kultur. Als russischer Intellektueller, Schriftsteller und Christ begreift Golowanow sich einerseits ohne Zögern und völlig zu recht als Teil dieser westlichen Kultur. Ja als ihr Produkt. Andererseits meint Golowanow, wie viele andere mittelalte weiße Männer in Europa oder den USA auch, dass diese seine westliche Zivilisation sich im Niedergang befindet.
"Was werden die Menschen der Zukunft über unser gesichertes, aber gestutztes Leben »auf Kredit« sagen, über unser unersättliches und geschmackloses Wetteifern um Komfort, Häuser, Autos, über unsere kindliche Hilflosigkeit gegenüber jeder Versuchung und über den Geist der Habsucht, der ganze Völker ergriffen hat? Über die »große Politik«, die plötzlich »jenseits von Gut und Böse« ist? Ich fürchte, sie werden einfach nicht wissen, was sie sagen sollen. Vielleicht werden sie sich aber auch einig sein, dass es eine schlimme Zeit war und wir dunkle, geistig verarmte, leere Jahre durchleben mussten."
Golowanow mag keine Handys und keine Jugendkultur. Manchmal wettert er wie ein bitterer Frührentner am Fenster über die Moskauer Jugend, die aus Bosheit Kaugummi unter die Sitze in der Metro klebt. Im Gegensatz zu deutschen Untergangspropheten wie Thilo Sarrazin sucht Golowanow die Schuld für die Krise aber nicht bei den umnachteten muslimischen Horden, die das Abendland heimsuchen, sondern im Westen selbst. Vor allem bei den USA: in Kommerz und Pop, im weltweiten Sendungsbewusstsein der westlichen Demokratien und in der unablässigen, als Demokratieexport maskierten militärischen und ökonomischen Aggression der USA.
Im Orient dagegen vermutet Golowanow eine Alternative. Geist statt Materie, Kollektiv statt Individuum, Mystik statt Mammon. So nachvollziehbar Golowanows Unbehagen auch sein mag, zumindest in Teilen, seine Analyse der Krise und seine Mutmaßungen über ihre Ursachen sind ärgerlich und oberflächlich. Wenn Golowanow sich aus James Joyces "Ulysses" den Begriff "Syphilisation" borgt und auf den Westen anwendet, gegen den Playboy wettert und die "demokratische Errungenschaft" der gleichgeschlechtlichen Ehe für einen Ausweis der Degeneration hält, dann werden ohne Not und Gewinn Grenzen überschritten, die nicht überschritten werden sollten.
Wer Golowanows "Buch vom Kaspischen Meer" verärgert aus der Hand legt, hat also gute Gründe, handelt aber doch vorschnell. Die politischen Einlassungen von Golowanow machen, so ärgerlich sie sind, nur einen Bruchteil seines Buches aus. Golowanow weiß selbst, dass er sich eigentlich nicht für Politik interessiert und im Grunde orientierungslos ist:
"Herr, verzeih mir! Ich komme mit wirren Gedanken nach Aserbaidschan."
Fantastische Welten fantastisch beschrieben
Warum ihm niemand geraten hat, seine Tiraden zu mäßigen oder zu streichen und sich auf das zu konzentrieren, wovon er wirklich Ahnung hat und was er kann, bleibt ein Rätsel. Denn Golowanow kann noch immer verblüffend viel verblüffend gut. "Das Buch vom Kaspischen Meer" ist übervoll mit fabelhaften Geschichten, Beobachtungen und Beschreibungen einer fernen Weltgegend, ihrer Geschichte, Kultur, Literatur, Geologie und vielem mehr. Allein für Golowanows Naturbeschreibungen lohnte es sich, das Buch zu kaufen und zu lesen. Hier eine Passage über die Qaratau-Berge auf der kasachischen Mangyschlak-Halbinsel am Ostufer des Kaspischen Meeres:
"Ich weiß noch, wie wir in diese Landschaft hineinfuhren, in der buchstäblich die Erde blühte: Die Mineralogie spielt dort vollkommen verrückt, alles ist grün, gelb, violett, rosa. Reine Farben, wie hingekrümelte trockene Aquarellfarbe. Daneben ein einsamer Baum inmitten dieses mineralogischen Blumengartens. Der Hüter des Tals der blühenden Steine. Eine Anhöhe, die der Wind ins Ockerfarbene, weiter unten zu einem zarten Gelb verweht hatte, dahinter der Baum – und hinter allem der graue Felshang. Wir standen noch unter dem Eindruck dieses Tals, als ein weiterer Berg in unserem Blickfeld auftauchte: Von vorne ähnelte er einer Kuppel, von hinten entpuppte er sich überraschend als eine im Gebirge verborgene Burg. Ebenso untrennbar mit der Landschaft verbunden wie die Burgen der Katharer im Süden Frankreichs. Ringsum waren weitere fantastische Kulturtrugbilder verstreut. Besonders in Erinnerung geblieben ist mir der »Parthenon«. Ein gewaltiges, mehrere hundert Meter langes Plateau, das tatsächlich dem Parthenon ähnelte, nur war es nicht von Menschenhand erschaffen, sondern ..."
Wer sich Bilder der Qaratau Berge im Internet ansieht versteht, dass das nicht nur poetisch ist, sondern auch präzise. Golowanow gelingen solche Passagen zu Dutzenden. Ebenso gut schreibt er über Literatur und Geschichte, islamische Mystiker, 25.000 Jahre alte Petroglyphen, Schlammvulkane und vieles mehr. Wer hätte gewusst, dass der ukrainische Nationaldichter Taras Schewtschenko auf der Halbinsel Mangyschlak verbannt war, deren größte Stadt noch heute Fort Schewtschenko heißt?
"Tag für Tag, oder vielmehr Jahr für Jahr sammelte Schewtschenko Sprösslinge und Setzlinge, er pflanzte und goss. Schuf einen Garten. Bis heute ist dieser Garten der einzige auf Mangyschlak. Seine Bäume spenden kühlen Schatten, und der Geruch nach warmen Kräutern und Gras – so anders als der Geruch der heißen Steine – verlockt dazu auszuruhen, sich hinzulegen und durchs saftige frische Gras zu rollen.
Hier – im Garten? in der Erdhütte? – erschuf Schewtschenko wunderbare Bilderzyklen. Einer von ihnen heißt Suite der Einsamkeit. Seine Leidensgenossen sind: Telemachos auf der Insel der Kalypso, Milon von Kroton, Der Sterbende Gladiator, Sankt Sebastian, Robinson Crusoe, Diogenes, Narziss."
Golowanow kennt die Geschichte der russischen Eroberung Zentralasiens genau so wie die der Erdölindustrie in Aserbaidschan oder der Kaukasuskriege. Der sowjetische Kybernetiker Georgij Kurdjumow, der von Lehrstühlen für "Vergleichende westliche und östliche Mystik" träumte, hat Platz in seinem Buch ebenso wie das Chasarenreich, die Ismailiten-Sekte, der Kosaken-Rebell Stenka Rasin oder der analphabetische Ölmagnat und Philanthrop Zeynalabdin Tağıyev, der die erste Übersetzung des Koran ins Aserbaidschanische durchsetzte und die erste Mädchenschule des Landes ebenso finanzierte, wie Gotteshäuser diverser Religionen, eine Bibliothek der Weltliteratur, Wasserleitungen und Parks. Man könnte endlos schwärmen über die Vielfalt und Schönheit der Welt, die Golowanow dem Leser eröffnet. Sein Buch ist tatsächlich, wie es im Untertitel heißt, eine Einladung zu einer Reise.
Der Dampfer der Moderne
Der Höhepunkt kommt ganz am Ende, als Golowanows eigene Reisen mit einer weiteren Flucht aus dem Iran enden. Gewissermaßen als Anhang folgen dann nämlich noch eine ganze Reihe fabelhafter Essays. In einem erzählt Golowanow, warum das Kaspische Meer anders als das Mittelmeer nie ein verbindendes Meer war, sondern bis heute Kulturen trennt. Der strahlendste Essay aber ist einem von Golowanows literarischen Hausgöttern gewidmet: dem futuristischen Sprachmagier Welimir Chlebnikow, dessen Leben und Werk untrennbar mit dem Kaspischen Meer verbunden ist.
"Das Genie der Sprache – es musste unbedingt hier in Astrachan, der russischen Hauptstadt des tatarischen Khanats, hervortreten, am Schnittpunkt der Nomaden- und Karawanenwege, am Ort einer fantastischen Geologie … und einer ebenso fantastischen Pflanzen- wie Vogelwelt, auf der Grenze von Erde/Wasser/Himmel, Fluss und Meer, … von Europa und Asien, Christentum …, Buddhismus und Islam Hier … ist die Alchemie eine der Umgebung inhärente Eigenschaft, es hat keine Kristallisation gegeben und kann sie nicht geben, der Wind weht aus Persien, China, Indien, Europa, das Meer rollt heran und fort, die Nomaden ziehen vogelzuggleich vorüber, die Wasserpflanzen quellen im grünen Kessel des Deltas empor und sterben ab - ein unausgesetztes Pulsieren, eine unaufhörliche Schöpfung."
Chlebnikow wurde am Nordufer des Kaspischen Meeres, in der Nähe von Astrachan geboren, verbrachte sein Leben auf rastloser Wanderschaft durch Russland und endete kurz vor seinem frühen Tod 1922 doch wieder am Kaspischen Meer: diesmal allerdings ganz im Süden, als Teil jener Vorhut der Roten Armee, die im Nordiran vergeblich versuchte, einer kurzlebigen iranischen Sowjetrepublik auf die Beine zu helfen. 1912 hatte Chlebnikow gemeinsam mit Wladimir Majakowskij das legendäre futuristische Manifest "Eine Ohrfeige dem öffentlichen Geschmack" veröffentlicht, in dem verlangt wurde, die Klassiker Puschkin, Tolstoi und Dostojewskij von Bord des Dampfers der Gegenwart zu werfen. Welimir Chlebnikow war ein Mann, der sich im Einklang nicht nur mit der Gegenwart meinte, sondern sogar mit der Zukunft. Ganz im Gegensatz zu seinem glühenden Verehrer und kundigen Interpreten Wassili Golowanow. Der nämlich schreibt zwar noch immer großartig über fremde Landschaften und Kulturen, scheint aber leider freiwillig abgesprungen zu sein vom Dampfer der Gegenwart.
Wassili Golowanow: "Das Buch vom Kaspischen Meer"
Aus dem Russischen übersetzt von Valerie Engler und Eveline Passet.
Matthes & Seitz Verlag, Berlin. 1072 Seiten, 48 Euro