Donnerstag, 18. April 2024

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Wechsel zu Digitalradio
Wie Norwegen und die Schweiz UKW abschalten

Zwei europäische Länder haben das schon umgesetzt, was Deutschland seit Jahren versucht: Sie haben den Umstieg zum Digitalradio DAB+ beschlossen - samt festem Abschaltdatum. Diese Entscheidung hat die Radiolandschaft in Norwegen und der Schweiz verändert.

Von Annika Schneider | 07.06.2021
Die 98-jährige Judith Haaland mit ihrem Radio in Stavanger, Norwegen (2017)
In Norwegen traf die Entscheidung zur UKW-Abschaltung das Parlament. Seit 2017 werden dort fast alle Programme ausschließlich digital übertragen (picture alliance/AP Photos/Mark Lewis)
"Ich bin Dabsy. Meine Aufgabe ist es, die Menschen über die Vorteile von DAB+ und die UKW-Abschaltung zu informieren."
Ein kleines rotes Radio mit zwei großen Drehknöpfen als Augen stand im Zentrum der Schweizer Kampagne zur UKW-Abschaltung – auf Plakaten, in Fernsehspots und natürlich in Radiowerbung: "Wechseln Sie jetzt zum Radiostandard DAB+, der UKW ablöst. Mehr Sender, mehr Klang, mehr Radio: DAB+."

Schweiz schaltet UKW-Netz bis 2023 ab

Seit einem halben Jahr steht fest: Die öffentlich-rechtlichen Sender in der Schweiz strahlen ihre Programme nur noch bis Mitte nächsten Jahres [*] über UKW-Frequenzen aus. Sechs Monate später, im Januar 2023 [*], stellen auch die Privatradios komplett auf DAB+ um – ihre alten UKW-Geräte können die Schweizerinnen und Schweizer danach entsorgen.
Ein Mitarbeiter hält ein Digitalradio mit DAB+ auf der Technik-Messe IFA, der weltweit größten Fachmesse für Unterhaltungs- und Gebrauchselektronik in der Hand.
Dieser Beitrag ist Teil der Reihe "Vom Ladenhüter zum Radiostandard: Der lange Weg des DAB+". Warum konnte sich das Digitalradio noch nicht flächendeckend durchsetzen? Welche Rolle spielt dabei das Internet? Wann kommt das Aus für UKW? Und was kann Deutschland von der Schweiz und Norwegen lernen? Diese und weitere Fragen rund um DAB+ beantworten wir auch in einem @mediasres Spezial am 13. Mai um 15.30h im Deutschlandfunk.
Die Eidgenossen sind nicht die ersten, die diesen Entschluss gefasst haben. Norwegen hat sich schon 2017 fast vollständig von der Ultrakurzwelle verabschiedet – nach einem entsprechenden Parlamentsbeschluss. In der Schweiz habe sich die Radiobranche hingegen selbst auf den Umstieg geeinigt, sagt Iso Rechsteiner. Er leitet die zuständige Arbeitsgruppe Digitale Migration:
"Es war ein langer Findungsprozess. Diese Arbeitsgruppe Digitale Migration wurde 2014 gegründet und darin eingeschlossen ist die gesamte Branche, also der öffentlich-rechtliche Rundfunk, die privaten Radios, die nichtkommerziellen Radios. Und über die Zeit hat sich diese Gruppe verfestigt und gemeinsam diesen Weg beschritten. Und nun sind wir so weit, dass wir ein gemeinsames Abschaltdatum definiert haben."

Zuschüsse für den Umstieg

Ganz freiwillig fiel diese Entscheidung nicht. Mehrere Jahre lang bekamen die Sender Zuschüsse, um DAB+ und UKW parallel zu betreiben. Nun gehen die Fördergelder zur Neige. Außerdem hatte das Bundesamt für Kommunikation die zuletzt vergebenen UKW-Konzessionen mit einem Verfallsdatum versehen: Sie laufen zum Umstieg auf DAB+ aus.
Aber nicht nur die Sender mussten von der neuen Technologie überzeugt werden, sondern auch die Hörerinnen und Hörer. Noch vor fünf Jahren machte DAB+ bei der Radionutzung ein knappes Viertel aus – inzwischen sind es gut 40 Prozent. Wer in ein neues Gerät investiert, kann mehr Sender empfangen als vorher, erklärt Iso Rechsteiner:
"DAB hat dazu geführt, dass in der kleinräumigen Schweiz jetzt natürlich auch die Programme der anderen Landesteile, also französischsprachige, italienischsprachige Programme auch in der Deutschschweiz empfangen werden können. Das war mit UKW nur sehr, sehr begrenzt der Fall."
Das Angebot ist außerdem vielfältiger geworden. Neue Spartenprogramme sind durch DAB+ an den Start gegangen, mit Rockmusik, christlichen Inhalten oder lateinamerikanischen Klängen.

Radiomarkt sortiert sich neu

Lucas Weiss ist allerdings skeptisch, ob diese Radiovielfalt Zukunft hat. Als ehemaliger Präsident des Branchenverbands UNIKOM hat er in den Verhandlungen zum UKW-Ausstieg die nicht-gewinnorientierten Lokalsender vertreten. Es gebe zwar nun mehr Programme, sagt er, aber nicht mehr Geld in der Branche – deswegen rechnet er damit, dass sich einige der neuen Sender nicht lange halten:
"Ich denke, so ein Umstellungsprozess, der führt natürlich nochmals dazu, dass Karten neu gemischt werden. Und da wird es Verlierer geben. Aber in der gesamten Entwicklung, denke ich, ist das nicht aufzuhalten, die Digitalisierung."
Auch wenn die Branche das mittlerweile akzeptiere, geht der Radiofunktionär davon aus, dass es noch Nachwehen geben wird. So wie die Ankündigung des Radiounternehmers Roger Schawinski, der gegen die UKW-Abschaltung juristisch vorgehen will. DAB+ sei eine "alte Zwischentechnologie", die Zukunft heiße 5G, sagte Schawinski in einem Interview.

Abschaltdatum von "überragender Wichtigkeit"

Wobei diese Zukunft in weiter Ferne liegt: Die Überlegungen zur rundfunkähnlichen Radioübertragung über 5G stehen derzeit noch ganz am Anfang. Die Erfolgschancen von Schawinskis Beschwerde schätzt Lukas Weiss gering ein. Für ihn ist in der Diskussion über Digitalradio vor allem eines entscheidend gewesen: dass sich alle auf ein festes UKW-Abschaltdatum geeinigt haben.
"Das ist von überragender Wichtigkeit. Solange nicht diese Abschaltung diskutiert wird, wie man so sagt, solange man den Stier nicht bei den Hörnern packen, da geht's einfach nicht vorwärts."
In Norwegen, wo die Politik die Entscheidung zum Umstieg getroffen hat, haben inzwischen drei Viertel der norwegischen Haushalte ein DAB+-Gerät. Die Hörerzahlen gingen nach dem Umstieg auf Digitalradio zwar erst einmal zurück, sind inzwischen aber wieder auf dem alten Niveau angekommen. Trotzdem sind die Umsätze der Sender geschrumpft – auch, weil sich die etablierten Anbieter ihre Hörerschaft nun mit einer Reihe von neuen Programmen teilen müssen.
* Die ursprünglich im Text enthaltenen falschen Zeitangaben haben wir korrigiert.