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"Weckruf der Verfassungsrichter"

"Sehr positiv" findet Swen Schulz (SPD), das Urteil der Verfassungsrichter. Er ist einer der beiden SPD-Abgeordneten, die gegen das sogenannte Neuner-Gremium, das für schnelle Entscheidungen über den Euro-Rettungsschirm eingesetzt wurde, geklagt hatten. Für ihn werden durch das Urteil "die Rechte des Deutschen Bundestages gestärkt".

Swen Schulz im Gespräch mit Peter Kapern | 28.02.2012
    Peter Kapern: Manchmal müssen Entscheidungen zur Stabilisierung der Finanzmärkte unter größtem Zeitdruck und mit größter Diskretion getroffen werden. Genau für diese Fälle hat der Bundestag ein sogenanntes Neuner-Gremium gegründet. Dieser Ausschuss hat heute aber nicht den Segen des Bundesverfassungsgerichts gefunden. Zwei Bundestagsabgeordnete der SPD hatten in Karlsruhe geklagt und sie waren mit ihrer Klage erfolgreich. Einen der Kläger, Swen Schulz, habe ich vor ein paar Minuten gefragt, wie er das Urteil bewertet.

    Swen Schulz: Sehr positiv. Das Bundesverfassungsgericht hat ja auch selber gesagt, dass wir überwiegend recht haben mit unserer Kritik. Die Gesetzesbestimmung über das Neuner-Gremium war überwiegend verfassungswidrig und insofern sind jetzt die Rechte der Abgeordneten, die Rechte des Deutschen Bundestages gestärkt durch das Urteil, und das kann mich nur freuen.

    Kapern: War denn Ihr Misstrauen gegen die Abgeordneten, die in diesem Neuner-Gremium vertreten waren, so groß, dass Sie dagegen geklagt haben, oder was waren die Gründe genau?

    Schulz: Ach, es geht nicht um das Misstrauen gegenüber den einzelnen Kolleginnen und Kollegen, sondern es geht einfach darum, dass grundsätzlich so wichtige Entscheidungen – wir reden hier über viele Milliarden Euro Steuergelder -, so wichtige Entscheidungen, das können nicht nur ein paar Abgeordnete ganz schnell, ganz geheim beraten, sondern das muss breiter diskutiert werden.

    Kapern: Die Erfahrungen, Herr Schulz, die wir gemacht haben, als beispielsweise die Lehman-Brothers Bank zusammenbrach, die haben doch gezeigt, dass manchmal Entscheidungen quasi über Nacht oder übers Wochenende gefällt werden müssen. Kann denn ein größeres Gremium als das Neuner-Gremium, das heute verworfen worden ist, diesem Zeitdruck überhaupt gerecht werden?

    Schulz: Der gesamte Deutsche Bundestag kann sehr schnell Entscheidungen fällen, das haben wir auch immer wieder unter Beweis gestellt – zum Beispiel bei der heiß diskutierten Griechenland-Hilfe jetzt am Montag. Wochen- und monatelang gab es Diskussionen, aber nicht im Deutschen Bundestag, sondern zwischen den Regierungen, und wir haben innerhalb kürzester Zeit, wir haben erst am Donnerstag und Freitag Unterlagen überhaupt bekommen, wie das im Einzelnen laufen soll, die Verträge und so weiter und so fort, und haben am Montag schon entschieden, innerhalb weniger Tage. Also das soll uns mal irgendein anderes Gremium nachmachen.

    Kapern: Aber noch mal nachgefragt: Von Donnerstag bis Montag, das sind fünf Tage, das ist noch keine Über-Nacht-Entscheidung.

    Schulz: Selbst eine Über-Nacht-Entscheidung ist im Zweifelsfall möglich. Aber das Bundesverfassungsgericht hat ja auch ganz weise entschieden, dass sozusagen in besonderen Fällen der Haushaltsausschuss zusammentreten kann. Das sind dann immerhin 41 Kolleginnen und Kollegen, die das diskutieren können. Da habe ich auch überhaupt kein Problem mit, dass im Regelfall der Deutsche Bundestag entscheidet und dann in Ausnahmefällen auch der Haushaltsausschuss.

    Kapern: Wie genau müsste jetzt das Urteil aus Karlsruhe umgesetzt werden, denn die Richter in Karlsruhe haben ja auch gesagt, dass es durchaus ein Gremium geben darf, in dem unter größter Geheimhaltung und Verschwiegenheit und Diskretion entschieden werden darf?

    Schulz: Das Bundesverfassungsgericht hat gesagt, dass für einen ganz speziell bezeichneten Bereich, nämlich die Käufe von Sekundärmarktanleihen, dass dort dieses Neuner-Gremium unter Geheimhaltungsbedingungen entscheiden können muss. Das finde ich auch in Ordnung, das haben wir auch in den Verhandlungen mit dem Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, dass dafür eine Sonderregelung durchaus sinnvoll ist. Und darüber hinaus muss im Wesentlichen der Deutsche Bundestag entscheiden und dann bei mindergewichtigen Fragen ist auch der Haushaltsausschuss als Entscheidungsgremium zugelassen. Das muss jetzt eins zu eins und ganz genau, so wie das Bundesverfassungsgericht das vorgegeben hat, in Gesetzesänderungen gegossen werden.

    Kapern: Denken Sie, dass es innerhalb des Bundestages im Konsens und sehr schnell gehen wird?

    Schulz: Das glaube ich sehr wohl. Das Bundesverfassungsgericht hat sehr klar, sehr präzise entschieden. Ich glaube, da gibt es auch wenig Spielraum für Diskussionen, und ich glaube auch, dass meine Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Bundestag das auch verstanden haben als, sage ich mal, ein Stück Weckruf der Verfassungsrichter. Wir haben als Abgeordnete das Recht, aber auch die Pflicht zu entscheiden und dürfen das nicht delegieren an ein Geheimgremium.

    Kapern: Swen Schulz, einer der beiden SPD-Abgeordneten, die heute vor dem Bundesverfassungsgericht recht bekommen haben. Das Gespräch haben wir vor ein paar Minuten aufgezeichnet.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.