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Weckruf für Vorurteile

Fast zwei Jahrzehnte nach dem Zerfall des Ostblocks werden die Kontrollen an den Grenzen zu den letzten osteuropäischen EU-Mitgliedern eingestellt. Auf der gesamten Länge der deutschen Ostgrenze werden mit der Erweiterung des Schengen-Raums die Schlagbäume ein für alle Mal geöffnet und die Passkontrollen abgeschafft.

Von Doris Simon, Thomas Rautenberg und Ruth Reichstein | 20.12.2007
    Seit Jahren hat Jan Brezina dafür gekämpft, dass seine Heimat Tschechien endlich richtig zu Europa gehört und dass die Grenze im Westen seines böhmischen Wahlkreises ihren Zonenrand-Charakter verliert. Er hat dafür gekämpft, dass nach dem Abbau des Eisernen Vorhangs nun auch die postkommunistischen Schlagbäume und die rigorose Passkontrolle an der bayerisch-tschechischen Grenze der Vergangenheit angehören. Doch bei allen Gesprächen und Diskussionen mit seinen Kollegen im Europaparlament wurde dem tschechischen Europaabgeordneten schnell klar, dass sich mit der geplanten Erweiterung der Freizügigkeit auf neun neue EU-Mitglieder im Osten in den Alt-Schengen-Ländern weniger Freude als vielmehr tiefe Ängste verbanden.

    "Es ist schon komisch: Jeder ist für ein Europa ohne Grenzen, aber es gibt wirklich Angst, dass dann jede Menge Kriminelle kommen werden. Ich glaube, dass es sich bei 99 Prozent dieser Befürchtungen um Vorurteile handelt. Schengen ist für uns, für die neuen EU-Mitglieder, weit mehr als nur Freizügigkeit. Sie müssen bedenken, noch vor 20 Jahren lebten wir hinter dem Eisernen Vorhang."

    Dass die neuen EU-Länder nun die letzte Hürde zur Gleichberechtigung mit den Alt-Ländern nehmen, das wurde in den entscheidenden Debatten auf europäischer Ebene immer stärker zum Thema für Sonntagsreden. Was wirklich zählte, war die Frage, ob der neue, größere Raum der Freizügigkeit genau so gut gesichert sein würde wie der bisherige. Der Ungar Joszef Szajer vertritt den Kreis Sopron nahe der österreichischen Grenze im Europaparlament:

    "Neue Länder mit neuen Sprachen - da ist es einfach zu glauben, die seien das Problem. Das sind sie zum Teil auch, denn neue Leute, eine neue Kultur, die bringen in jedem Land neue Probleme mit sich. Aber in Europa hat sich ein Geist entwickelt, in dem Sicherheit immer stärker zum Thema wurde."

    Im Grunde findet Josef Szajer das in Ordnung. Er weiß auch, dass man die Unterstützung der Bürger für die Erweiterung nur bekommt, wenn man ihnen zugleich Schutz und Sicherheit garantiert. Szajer hat den Ausbau der Grenzkontrollen und die Neuordnung der Visa-Vergabe in seiner Heimat genau verfolgt. Brüssel schickte zudem regelmäßig Experten: Schließlich sind die Ostgrenzen der Schengen-Länder die neuen Außengrenzen der Europäischen Union nach Osten. Jeder, der von morgen an mit einem polnischen, tschechischen oder estnischen Visum einreist, kann sich in der gesamten Festland-EU mit Ausnahme von Rumänien und Bulgarien frei bewegen. Josef Szajer räumt ein, dass er ab und an schon Zweifel hatte, ob seine Heimat Ungarn die Bedingungen würde erfüllen können. Szajer und viele andere Europaabgeordneten kämpften auf zwei Seiten zugleich: Zuhause für eine schnellere und bessere Anpassung an die Schengen-Vorgaben und in Brüssel gegen Ängste und Vorurteile aus den anderen Mitgliedsstaaten - vor allem aus Deutschland, Österreich und Italien.

    "Das Entscheidende für uns war, die anderen zu überzeugen, ihnen zu sagen: Ihr müsst keine Angst haben, wenn jetzt ungarische Grenzer die EU-Ostgrenzen sichern. Da gab es viele Zweifel. Und weil Europas Grenzen so lang sind, weiß man nicht: Ist das angesprochene technische Problem wirklich ein technisches Problem, oder spielt da jemand ein politisches Spiel? Ist es erfunden oder übertrieben? Da muss man hin vor Ort und selber nachschauen. Wir müssen uns immer etwas mehr ins Zeug legen, um zu verdeutlichen, dass es Garantien gibt, dass wir nicht die Sicherheit verlieren, wenn wir mehr Freiheit gewinnen."

    Doch in letzter Zeit ist es Josef Szajer immer leichter gefallen, die Kollegen zu überzeugen. Denn die Berichte der Experten wurden immer positiver. Sie bescheinigten den Schengen-Kandidaten, dass ihre Grenzkontrollen europäischen Anforderungen genügen und bestätigten, dass das Schengeninformationssystem SIS auch in den neuen Mitgliedsländern funktioniert. Das ist wichtig, denn das SIS enthält wichtige Daten für grenzüberschreitende Fahndung. Die Slowenen etwa machten am 1. September die Probe aufs Exempel und kontrollierten an der Grenze zu Kroatien ohne Vorankündigung so, als ob es Schengen schon gäbe. Das Ergebnis fasst der slowenische Europaabgeordnete Mihael Brejc zusammen:

    "Es gab eine zehn Kilometer lange Schlange auf der kroatischen Seite. Die Leute waren sauer und kritisierten die Regierung. Aber gleichzeitig fischte unsere Grenzpolizei 50 Leute heraus, die in Italien, Deutschland oder anderswo im Schengenraum gesucht wurden. 50!"

    Slowenien als Vorbild für andere Länder
    Slowenien ist unter den neuen Schengen-Ländern von Beginn an der Klassenprimus gewesen. Aber das hat die kleine Republik nicht davor geschützt, wie alle anderen neuen Schengen-Länder pauschal kritisiert zu werden. Tschechen und Polen trafen vor allem auf deutsche Skepsis, die Österreicher trauten Ungarn und Slowaken wenig zu, und in Sloweniens Fall kamen die Vorbehalte aus dem Nachbarland Italien. Das allerdings findet der slowenische Europaabgeordnete absurd: Die Mafia gebe es schließlich nicht in seinem Land:

    "Ich habe gehört, dass man auf der italienischen Seite Angst vor der Grenzöffnung hat wegen der Kriminellen. Das gilt aber auch für unsere Seite, denn Slowenien ist ein sehr friedliches Land. Wir haben keine dieser riesigen kriminellen Vereinigungen, und unsere Polizei ist äußerst effizient."

    Sowohl der Slowene Brejc als auch der Ungar Szajar glauben, die jahrelange Kritik und die Skepsis der Altschengen-Länder hätten den nötigen Druck aufgebaut, dass die Neuen nun wirklich gerüstet sind. Aber das müsse man in Europa nun auch anerkennen:

    "Ich bin gegen jeden Ansatz, der die Schengenerweiterung darstellt als reine Konzession an die Neuen. Hier geht es um ein Zugeständnis an die Freiheit, für ganz Europa. Das ist eine tolle Sache und keine Konzession. Unsere Freiheit nimmt dadurch enorm zu."

    Zugenommen hat auch das Selbstbewusstsein der Europaabgeordneten, die jahrelang für den Schengen-Eintritt ihrer Länder gekämpft haben. Wenn etwa die Innenpolitiker der EVP-Fraktion zusammensitzen, überlegen es sich vor allem die Europaabgeordneten aus den Südländern der EU neuerdings, ob sie Kritik an der Sicherung der künftigen Ostgrenzen üben. Besser sollte man jetzt auch die Außengrenzen im Westen und im Süden mal ordentlich überprüfen, haben zuletzt immer wieder Abgeordnete aus den neuen Schengen-Ländern gefordert: Die Schlamperei dort sei ja bestens bekannt, trotzdem würde die nie von Brüsseler Experten unter die Lupe genommen. Warum eigentlich nicht?

    Grenzen in den Köpfen
    Morgen nun fallen die Schlagbäume, verlieren die Grenzabfertigungshäuschen zu neun weiteren Ländern in der Europäischen Union ihre Funktion. Doch damit sind die letzten Grenzen in der Europäischen Union noch lange nicht beseitigt, glaubt der tschechische Europaabgeordnete Jan Brezina:

    "Die letzte Grenze lebt in den Köpfen vieler Westeuropäer. Viele Menschen glauben noch, dass wir neuen Mitgliedsländer immer noch hinter dem Eisernen Vorhang leben. Im Kopf gibt es den Eisernen Vorhang noch. Die Menschen in Deutschland und Frankreich und anderswo sehen uns Bürger aus den neuen EU-Ländern als Gefahr, etwa auf dem Arbeitsmarkt. Aber das stimmt nicht. Bis diese letzte Grenze fällt, wird es noch 10, 15 Jahre dauern."

    So wie in Tschechien spüren auch Polen dieser Tage die Skepsis ihrer Nachbarn. Viele polnische Grenzschützer glauben ihren Ohren nicht zu trauen. Seit Jahren haben sie sich gemeinsam mit ihren deutschen Kollegen auf die bevorstehende Grenzöffnung vorbereitet. Seit Jahren arbeitete man tagtäglich zusammen, um nun die deutschen Sicherheitszweifel unter die Nase gerieben zu bekommen. Grenzschutzdirektor Roman Lubinski ist enttäuscht:

    "Ich wundere mich wirklich, dass die Deutschen, die uns in der Vergangenheit am meisten geholfen haben, nun in Frage stellen, ob wir gut auf Schengen vorbereitet sind. Dabei sollte die deutsche Bundespolizei vielmehr hervorheben, wie gut wir vorbereitet sind."

    Auch Polens Ex-Innenminister Wladyslaw Stasiak, bei dem alle Fäden der Vorbereitung des polnischen Schengen-Beitritts zusammenliefen, kann nur mit dem Kopf schütteln:

    "Polen hat alle Forderungen des Schengenbeitritts hervorragend erfüllt. EU-Kommissar Franco Frattini hat von einem wahrhaftigen Erfolg gesprochen. Viele Menschen haben dafür solide gearbeitet. Wir haben modernste Sicherheitsstrukturen geschaffen, weil die doch erst die Voraussetzung dafür waren, dass wir Schengen beitreten konnten."

    Die etwa 1200 Kilometer lange EU-Außengrenze in Polen wurde zu einem technischen Bollwerk hochgerüstet. Herzstück ist dabei das SIS-Informationssystem, mit dem die Schengen-Länder Fahndungsdaten aller Art austauschen können. Wird beispielsweise eine Person in Frankreich oder Italien an der Einreise in die EU gehindert, hat der Betroffene im selben Moment auch an der polnischen Grenze keine Chancen mehr. An der grünen Grenze zur Ukraine oder auch zu Weißrussland ist jeder Quadratmeter im Blick spezieller Wärmebildkameras, die jede Bewegung und damit auch jeden illegalen Grenzübertritt bemerken würden. Alles andere sei nur noch eine Frage der Zeit, meint Grenzer Andrzej Wojcik:

    "Unser Grenzschutz kann innerhalb von sieben Minuten jeden Punkt der Grenze erreichen. Wenn also wirklich jemand illegal die Grenze überschreitet, hat er keine Chance weit zu kommen oder gar zu flüchten."

    Andrzej Wojcik weist auch auf spezielle Bodensensoren hin, die jeden Schritt eines Menschen registrieren und an die Grenzschutzzentrale melden würden. Auch auf den flugplatzgroßen Betonflächen des Lkw-Übergangs in Terespol-Kukuryki bleibt keine Bewegung unbeobachtet. Hier fertigen der polnische Zoll und Grenzschutz täglich rund 5000 Lkw in jede Richtung ab.

    Die Ampel schaltet auf Grün und in diesem Fall fährt ein russischer Lkw in die Kontrollspur. Zwei polnische Beamte sitzen vor einem großen Monitor und lassen das Fahrzeug an ihren Röntgenaugen vorbeirollen. Marzena Siemieniuk, Mitte 30 und schon seit einigen Jahren beim Zoll, ist sicher, dass sie nichts übersieht:

    "Schon seit unserem EU-Beitritt wurde diese Grenze maximal gesichert. Bei den Geräten, über die wir hier verfügen, ist beispielsweise ein organisierter Zigarettenschmuggel per Lkw nicht mehr möglich."

    Auch Personen, die sich als illegale Einwanderer in den Fahrzeugen versteckt halten könnten, hätten keine Chance, versichert Grenzkommandant Artur Barej:

    "Wir haben hier ein Gerät namens Microsearch. Damit können wir den Herzschlag eines Menschen entdecken."

    Auch die polnische Politologin Malgorzata Glownia vermutet weniger reale Sicherheitsbedenken als vielmehr polizeigewerkschaftlichen Standesdünkel und alte Klischees hinter manch deutschen Protesten gegen die Öffnung der Grenzen zu Polen:

    "Man behauptet einfach: Polen kann man nicht vertrauen! Die kritischen Stimmen sagen, wir könnten die EU-Außengrenze nicht dicht halten. Aber dabei halten wir sie schon lange dicht, und das, obwohl wir noch gar nicht Schengen beigetreten sind."

    Für Polens Innenminister Grzegorz Schetyna wird die Zeit der politischen Bedenkenträger gegen den polnischen Beitritt zur Schengen-Zone schon bald abgelaufen sein. Wir sollten in Europa nicht nur mögliche Probleme vor uns hertragen, sondern den Wegfall der Grenzkontrollen am 21. Dezember auch als historische Möglichkeit sehen, mahnte Schetyna. Es gelte, die europäische Dimension dieses Ereignisses nicht aus den Augen zu verlieren:

    "Schengen, das ist in Wirklichkeit der Vollzug der durch Polen erreichten Freiheit. Damit werden wir endlich nach den gleichen Grundsätzen in Europa sein, wie alle anderen Europäer in einem freien Europa mit freien Bürgern ohne Grenzen."

    Langer Weg bis zum Fall der Grenzkontrollen
    Eine Freiheit, die viele Westeuropäer seit Langem zu schätzen wissen. Bei der Unterzeichnung des Abkommens von Schengen 1985 ist die Tragweite nur wenigen bewusst. Die Bürger spüren davon erst einmal gar nichts. Denn wegen der komplizierten und umfangreichen Ausgleichsmaßnahmen dauert die Umsetzung des Vertrages ganze zehn Jahre. Auf halbem Weg, 1990, einigen sich die Länder auf ein zusätzliches Papier, das die Einreisevorschriften für Drittstaatler vereinheitlicht, die Zusammenarbeit von Polizei und Justiz festlegt und die Staaten dazu verpflichtet, Drogenhandel grenzüberschreitend zu bekämpfen. Noch einmal fünf Jahre später tritt das Abkommen von Schengen dann endgültig in Kraft. Der belgische EU-Abgeordnete Gerard Deprez:

    "Schengen ist eine echte Revolution, aber es ist eine sanfte Revolution, weil sie sich Zeit gelassen hat. Vorher waren die einzelnen Mitgliedsstaaten dafür verantwortlich zu entscheiden, wer auf ihr Territorium einreisen durfte und wer nicht. Mit Schengen teilen sie sich diese Verantwortung plötzlich mit den Behörden der anderen Mitglieder. Denn wenn jemand in einen Schengenstaat eingereist ist, durfte er plötzlich auch in allen anderen frei reisen. Das war eine wirkliche Revolution."

    Und so entfaltet das Abkommen von Schengen seine geradezu magische Anziehungskraft. Schon 1990 tritt Italien dem Club bei, ein Jahr später folgen Spanien und Portugal. Griechenland kommt 1992 hinzu, Österreich 1995 und Dänemark, Finnland sowie Schweden 1996. So wurde aus dem Schengener Abkommen von 1985 eine Art Automatismus: Wer der Europäischen Union beitritt, wird - mit einiger Zeitverzögerung - auch Schengen-Mitglied. Das gilt uneingeschränkt seit 1997. Denn seit dem Vertrag von Amsterdam ist Schengen in die europäische Gesetzgebung integriert. Die Regeln sind damit verbindlich für alle EU-Mitglieder, neue und alte. Und wie immer in Europa kennt auch diese Regel ihre Ausnahmen: Großbritannien und Irland machen nicht oder nur teilweise mit. Beide Länder haben zwar das Schengener Informationssystem übernommen und speisen ihre Informationen in die gemeinsame Datenbank ein. Aber sie behalten sich das Recht vor, ihre Grenzkontrollen aufrecht zu erhalten. Freizügigkeit auf der Insel gibt es also nicht. Bis heute müssen deshalb EU-Bürger bei der Einreise nach Großbritannien und Irland ihre Ausweise vorzeigen. Stattdessen haben sich zwei andere Länder dem Schengen-Puzzle angeschlossen, die gar nicht Mitglieder der Europäischen Union sind: Im Jahr 2000 haben die Schengen-Staaten ein Kooperationsabkommen mit Norwegen und Island abgeschlossen. Der Politikwissenschaftler Jerome Bacquias vom European Policy Center in Brüssel:

    "Weil sie keine EU-Staaten sind, haben sie kein Recht auf Mitentscheidung. Sie sind schon Teil des Entscheidungsprozesses, sie können mitreden, aber sie haben kein Stimmrecht. Sie haben also eine schwächere Position, aber gleichzeitig haben sie natürlich alle Vorteile, die Schengen mit sich bringt."

    Kompliziert ist bis heute auch die Verteilung der Kompetenzen innerhalb des Schengen-Systems, der Kompetenzen zwischen den Mitgliedsstaaten und den Institutionen der Europäischen Union. Schengen hängt gleichsam zwischen dem Gemeinschaftsrecht einerseits und der zwischenstaatlichen Kooperation andererseits: Sowohl die EU-Kommission als auch die Mitgliedsstaaten haben im Schengen-System Entscheidungsrechte. Diese Verwirrung hat ihre Gründe. Jerome Bacquias:

    "Damals, beim Vertrag von Amsterdam, hat eine Arbeitsgruppe sehr lange darüber verhandelt, was wie geregelt wird. Schengen ist ein sehr sensibler Bereich und berührt ganz direkt die Souveränität der Mitgliedsstaaten. Deshalb wollen sie nicht alles auf die Gemeinschaftsebene heben, weil das zum Beispiel bedeuten würde, dass die Entscheidungen nicht mehr einstimmig getroffen werden müssen, dass die Staaten also die Kontrolle darüber verlieren. Deshalb bleiben bis heute Teile, vor allem das SIS, in der zwischenstaatlichen Kooperation."

    Ein Schild "Halt! Bundesgrenze!" an der deutsch-polnischen Grenze am Strand von Ahlbeck, Insel Usedom.
    Ein Schild "Halt! Bundesgrenze!" an der deutsch-polnischen Grenze am Strand von Ahlbeck auf der Insel Usedom. (AP)
    Staaten büßen Souveränität ein
    Wer Teil des Schengensystems ist, trifft seine Entscheidungen nicht mehr im luftleeren Raum. Der Verlust zumindest eines Teils der staatlichen Souveränität, ist denn auch für den liberalen EU-Abgeordneten Gérard Deprez der problematische Aspekt im europäischen Raum der Freizügigkeit:

    "Wenn ein Schengen-Staat zum Beispiel die Politik verfolgt, dass alle Personen, die aus einem bestimmten Land kommen und bestimmte Eigenschaften haben, nicht mehr zugelassen werden, dann gilt das plötzlich für den gesamten Schengen-Raum. Wenn zum Beispiel ein Algerier von Frankreich die Einreise verweigert wird und er mit einer negativen Beurteilung in das Schengen-Informations-System eingegeben wird, dann hat dieser Algerier auch keine Chance mehr, wenn er nach Belgien kommt. Auch dann, wenn er Belgien gar nicht verlassen möchte. Denn ob ein Drittstaatler sich in Schengen aufhalten darf oder nicht, wird von dem Staat festgelegt, in dem er zum ersten Mal den Antrag stellt."

    Dennoch gilt Schengen als Erfolgsgeschichte. Denn das Schengener Abkommen hat nicht nur für die Bürger die Reisefreiheit gebracht. Es hat auch die Mitgliedsstaaten gezwungen, sich dennoch gemeinsam Gedanken zu machen über Fragen wie Visa, Asyl und die Bekämpfung der Kriminalität. Schengen sei deshalb ein Schlüsselelement für die europäische Integration, sagt Jerome Bacquias vom European Policy Center in Brüssel:

    "Damals, in den 80er Jahren, steckte die Europäische Gemeinschaft in einer Krise. Es ging nicht so recht vorwärts. Schengen hat Perspektiven geöffnet und dafür gesorgt, dass die Mitgliedsstaaten heute in dem ganzen Bereich von juristischer und polizeilicher Zusammenarbeit kooperieren. Es hat einen Schneeball-Effekt ausgelöst, der viele andere Elemente der europäischen Integration nach sich gezogen hat."