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Weder Neandertaler noch Homo sapiens

Paläoanthropologie.- Heute gibt es auf der Erde nur noch eine Menschenart: Homo sapiens. Doch das war nicht immer so. Lange Zeit lebten in Europa unsere Vorfahren zusammen mit Neandertalern. Jetzt gibt es Hinweise darauf, dass sich vor 40.000 Jahren noch mindestens eine weitere Menschenart in Sibirien tummelte.

Von Michael Stang | 25.03.2010
    Bei einer Ausgrabung 2008 in der Denisova-Höhle im Altai-Gebirge entdeckten Archäologen einen Fingerknochen. Da in dieser Höhle mehrfach über Jahrtausende hinweg unsere Vorfahren gelebt hatten und sich in den Nachbarhöhlen auch Neandertaler tummelten, war der Knochen an sich nicht spektakulär. Es wurde vermutet, dass er von einer dieser beiden Menschenarten stammte. Um sicherzugehen, um welche es sich handelte, untersuchten Paläogenetiker vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig den Finger.

    Obwohl der Knochen zwischen 30.000 und 48.000 Jahre alt war, enthielt noch genügend Erbgut, das die Forscher analysieren konnten. Genauer gesagt untersuchten sie die sogenannten Mitochondrien. In diesen Kraftwerken spielen sich biochemische Prozesse ab, die die notwendige Energie für den Organismus liefern. Bei der Analyse des Mitochondrienerbguts, das nur über die mütterliche Linie vererbt wird, gab es jedoch eine Überraschung, sagt Svante Pääbo.

    "Das Erbgut in dem Knochen war erstaunlich gut erhalten. Der große Schock kam bei der Analyse als wir sahen, dass diese genetische Linie weder einem Neandertaler noch einem Vorfahren von uns zuzuordnen ist. Es ist eine eigene, bislang unbekannte Linie. Der letzte gemeinsame Vorfahr dieser neuen Linie, von Neandertalern und Homo sapiens lebte vor über einer Million Jahren, hingegen lebte der letzte gemeinsame Vorfahr von Neandertalern und unseren Ahnen vor rund einer halben Million Jahren."


    Die Leipziger Paläogenetiker hatten die bislang unbekannte Linie mit 54 unserer Vorfahren und sechs Neandertalern verglichen. Da Mutationen in regelmäßigen Abständen auftreten, kann man hochrechnen, wann der letzte gemeinsame Vorfahre der drei Menschenformen gelebt hat. Bislang konnten Svante Pääbo und seine Kollegen nur die mitochondriale DNA untersuchen, von daher muss man bei Schlussfolgerungen noch etwas zurückhaltend sein, sagt Terry Brown von der Universität von Manchester, der die neuen Ergebnisse für das britische Fachblatt "Nature" kommentiert hat.

    "Wir haben zwar die mütterliche Linie, aber in Wahrheit haben wir nur die Informationen eines Gens; die nukleäre DNA hingegen hat Tausende Gene. Von daher wissen wir eigentlich noch nicht viel, nur dass es eine sehr alte menschliche Linie ist. Zweifellos unterscheidet sie sich aber sehr deutlich von Neandertalern und unseren Vorfahren."


    Wie groß die Unterschiede tatsächlich waren, ist also noch nicht geklärt. Auch sind die Erkenntnisse, um was für einen Menschen es sich dabei handelt, noch gering, räumt der Leiter der Studie, Svante Pääbo, ein.


    "Wir wissen nicht, wie der Besitzer des Fingers ausgesehen hat. Wir werden dieser neuen Menschenform auch noch keinen neuen Artnamen geben, solange wir nicht die Kern-DNA untersucht haben. Denn es könnte auch sein, dass es eine Vermischung mit einer sehr alten menschlichen Linie gab, von der wir jetzt die Mitochondrien sehen, das heißt das restliche Erbgut könnte also auch von einem Neandertaler oder einem unserer Vorfahren stammen."

    Die Möglichkeit, dass es sich um eine bislang unbekannte Menschenart handelt, sei damit aber noch nicht vom Tisch. Nichtsdestotrotz zeigen diese Ergebnisse, wie mangelhaft das Verständnis der menschlichen Evolution noch immer ist, gibt Terry Brown zu bedenken.

    "Das ist etwas, worüber wie vorher nie nachgedacht haben. Ob sich diese neuer Frühmensch, Neandertaler und unsere Vorfahren getroffen haben ist schwierig zu beantworten, obwohl alle drei zeitweilig in dieser Höhle gelebt haben. Anhand der Datierungen vermuten wir aber, dass das nie zur selben Zeit der Fall war. Ob sie sich begegnet sind und wie diese Treffen ausgesehen haben könnte, wir wissen es nicht."
    in der Denisova-Höhle
    Der Blick in die Höhle hinein ... (Nature/Johannes Krause)
    Blick von einem Fels über dem Archäologen-Camp, nahe der Denisova-Höhle.
    und über das Tal im Altai-Gebirge. (Nature/Johannes Krause)