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Weder Satellit noch marktwirtschaftliche Nische

Alexander Schalck-Golodkowski, der "oberste Devisenbeschaffer der DDR", gilt bis heute als tief verstrickt in illegale Geschäfte. Dieses Bild korrigiert der Wirtschaftshistoriker Matthias Judt in seinem Buch "Der Bereich Kommerzielle Koordinierung". Es untersucht Mythos und Realität des DDR-Wirtschaftsimperiums.

Von Isabel Fannrich | 23.05.2013
    "Wir haben exportiert. Die Devisenerlöse aus diesem außerplanmäßigen Export sind an Schalck. Und Schalck hat mit diesen Devisen dann bei den einzelnen Firmen, vorwiegend in der Bundesrepublik, dann die Ersatz- und Verschleißteile gekauft."

    Hans-Joachim Jeschke war in den 80er-Jahren Generaldirektor des VEB Synthesewerks Schwarzheide – eines volkseigenen Betriebs im Braunkohleabbaugebiet in der Lausitz. Dieser verkaufte Polyurethan und Pflanzenschutzmittel in die Ostblock-Staaten, aber auch ins sogenannte nicht-sozialistische Wirtschaftsgebiet: etwa in die Bundesrepublik, von Spanien und Italien bis nach Nordeuropa.

    Außer diesem Export nach Plan galt es auch das mit Alexander Schalck-Golodkowski vereinbarte Soll zu erfüllen – ein außerplanmäßiges Geschäft mit dem "Bereich Kommerzielle Koordinierung", kurz KoKo genannt, von dem die Öffentlichkeit damals nichts ahnte. Innerbetrieblich habe man allerdings Bescheid gewusst, erzählt Jeschke:

    "Wenn Sie so ne Vereinbarung mit Schalck für ein Jahr geschlossen hatten über bestimmte Mengen des Verkaufs für sein Geschäft und mit entsprechenden Valuta-Erlösen und Sie haben das nicht erfüllt – waren Sie nicht mehr für Schalck vorhanden, waren Sie sofort abgemeldet."

    Die Podiumsdiskussion bei der Stiftung Aufarbeitung zeigt, wie eng der planmäßige DDR-Außenhandel mit dem nicht-planmäßigen von Alexander Schalck-Golodkowski verbunden war. Dass der "oberste Devisenbeschaffer" der DDR darin eine Sonderstellung einnahm, bestreitet der Wirtschaftshistoriker Matthias Judt nicht. Allerdings will er mit dem Mythos brechen, Schalck habe mit seiner "KoKo" überwiegend illegale und moralisch fragwürdige Geschäfte betrieben.

    "Der eine Mythos besteht darin, dass man sagt, es sei also eine besonders befähigte, sensationelle Firmengruppe gewesen, die besonders gewiefte Geschäfte gemacht hat. Und der andere Mythos ist, dass sie vor allen Dingen fragwürdige Geschäfte durchgeführt haben – also was sie in der Tat auch gemacht haben, auch illegale Geschäfte durchgeführt haben. Und dieses Bild ist eigentlich falsch, (...) und prägt übrigens auch die Wahrnehmung von Koko bis heute. "

    Im gesellschaftlichen und politischen Umbruch 1989/90 sei Schalck-Golodkowski als Sündenbock instrumentalisiert worden, betont Matthias Judt. Damals flog vieles auf: ein Lager mit Waffen, eines mit Kunst und Antiquitäten. Schalck, der als "Offizier im besonderen Einsatz" für die Stasi berichtete, hatte Waffen in Kriegsgebiete geliefert, beim Häftlingsfreikauf mitgewirkt sowie Ware bezogen, die vom Westen mit einem Embargo belegt war – zum Beispiel Spionagetechnik.

    Was weniger bekannt ist: Hinter Schalck-Golodkowski und seinem 1966 gegründeten "Bereich Kommerzielle Koordinierung" steckten ein paar Dutzend Firmen in der DDR und im Ausland mit etwa 3000 Mitarbeitern. Ein kompliziertes Geflecht, das eng mit der Stasi verzahnt und ab 1977 dem Wirtschaftssekretär des Zentralkomitees, Günter Mittag, unterstellt war.

    Die großen Firmen der "KoKo" in der DDR bestimmten das Geschäft: Die "Intershop GmbH" betrieb die Devisenläden, und die Firma "Intrac" steuerte mit insgesamt rund 12,5 Milliarden Valuta- oder DM den größten Umsatz bei. Sie vermarktete die im Häftlingsfreikauf von westdeutschen Unternehmen gelieferten Rohstoffe wie Erdöl, Kupfer und Silber. Aber: Sie handelte auch generell mit Chemieerzeugnissen, Rohstoffen und anderen Waren. Zwar habe die "KoKo" 15 Prozent ihres Gesamtgewinns von rund 28 Milliarden DM durch fragwürdige Geschäfte erworben, sagt Matthias Judt:

    "Aber das größte Geschäft, was sie gemacht haben, war zum Beispiel Westberlin mit Benzin, Diesel, Heizöl, anderen Brennstoffen, mit Lebensmitteln zu versorgen und daraus Milliardengewinne zu generieren, (…) Ein anderes wichtiges Geschäft ist der Betrieb der Intershops, woraus ebenso Milliarden heraus gezogen werden. Oder überhaupt der Handel mit Rohstoffen, die Abnahme von Abfallstoffen aus West-Berlin. Das ist sozusagen das Kerngeschäft, das sie durchführen, und das ist völlig legal, international üblich."

    Als der "Bereich Kommerzielle Koordinierung" 1966 gegründet wurde, war die DDR außenpolitisch isoliert. Sie konnte weder Handels- und Zahlungsabkommen schließen noch Kredite bekommen. Für Devisen sollte die "KoKo" sorgen – mit riskanten Spekulationsgeschäften.

    Warum aber existierte das Wirtschaftsimperium weiter, als die DDR international anerkannt war' Warum übernahmen nicht die planmäßigen volkseigenen Außenhandelsbetriebe die Geschäfte'

    Das Gegenteil geschah, resümiert der Wissenschaftler vom Zentrum für Zeithistorische Forschung: Die Bedeutung der "KoKo" habe in den 70er- und 80er-Jahren immer mehr zugenommen – genoss sie doch eine Reihe von Sonderrechten: Anders als die Planbetriebe musste sie nicht alle Erträge an eine staatliche Bank abführen. Sie konnte sogar im Ausland über höhere Kontobestände frei verfügen und dadurch auch finanzwirtschaftlich operieren:

    "Und man sagt eben: Die sind wahrscheinlich viel flexibler. Man muss auch sagen, der Außenhandel der DDR ansonsten ist stark spezialisiert auf einzelne Branchen oder sogar auf bestimmte Kombinate. Und die Koko-Unternehmen führen verschiedene Bereiche zusammen. Also die Intrac ist eine Firma, die am Ende der 70er-Jahre mit Rohstoffen handelt, mit Chemieerzeugnissen, mit Agrarerzeugnissen, Müll abnimmt."

    Von Anfang an konnte Schalck für seine Spekulationsgeschäfte auf die Rohstoff- und Devisenreserven der DDR zurückgreifen. Nach der schweren Kreditkrise 1982 und drohender Zahlungsunfähigkeit hatte er sogar Zugang zu den Produktionskapazitäten der DDR-Wirtschaft. Für die KoKo sei dies die große Stunde gewesen: Sie dehnte den Außenhandel aus und griff dabei massiv in die Volkswirtschaft ein – zum Nachteil der Bevölkerung.

    Die Verschuldung stieg weiter, und trotzdem sei die DDR 1989/90 noch nicht pleite gewesen, betont Judt. Schalck habe mit dem "Bereich Kommerzielle Koordinierung" zwar kurzfristig Gelder erwirtschaftet und die Zahlungsfähigkeit bei den westlichen Gläubigern erhalten:

    "... wenn man aber fragt, ob KoKo sozusagen der DDR sehr genutzt oder vielleicht am Ende sogar geschadet hat, dann würde ich eher dazu neigen zu sagen, es hat am Ende der DDR geschadet. Das Grundproblem der DDR-Volkswirtschaft, dass sie nicht innovationsfähig genug war, dass sie keine konkurrenzfähigen Produkte mehr angeboten hat, also eigene selbst entwickelte Produkte auf internationalen Märkten absetzen konnte, dass die Devisenerträge aus dem Absatz solcher Produkte immer geringer wurden, ist insofern von Koko beschleunigt worden, dass KoKo auf sichere Produkte gesetzt hat: also Handel mit Mineralölerzeugnissen."

    Trotz aller Privilegien war das Wirtschaftsimperium von Alexander Schalck-Golodkowski weder ein Satellit noch eine marktwirtschaftliche Nische inmitten der Planwirtschaft – zu eng waren beide Bereiche miteinander verzahnt.

    Für Hans-Joachim Jeschke steht die Bedeutung der "KoKo" fest:

    "Schalck war betriebswirtschaftlich für die exportstarken Betriebe ein Gewinn. Aber volkswirtschaftlich war es ein großer Schaden, der dort angerichtet wurde."