Donnerstag, 28. März 2024

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Wege aus der Eurokrise
"Neue Form der Abhängigkeit"

Mithilfe der Finanzhilfen aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus habe Zypern die Eurokrise erfolgreich hinter sich gelassen, sagte ARD-Korrespondent Michael Lehmann im Dlf. Trotzdem seien die EU-Hilfen im Land stark umstritten - auch weil die Bevölkerung teils herbe Verluste hinnehmen musste.

Michael Lehmann im Gespräch mit Birgid Becker | 06.08.2018
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    Die zyprische Bevölkerung kritisierte die harten Auflagen für die Finanzhilfen (picture alliance / dpa)
    Birgid Becker: Unsere Serie zum Weg aus der Eurokrise und der Rolle, die der Europäische Stabilitätsmechanismus dabei spielt oder in vielen Fällen gespielt hat. Der ESM, landläufig europäischer Rettungsschirm genannt, war der Anker für untergehende oder zumindest stark in Bedrängnis geratene EU-Krisenstaaten Griechenland vor allem, aber auch Irland, Spanien, Portugal und Zypern. Zypern hat als letztes der fünf sogenannten Programmländer Finanzhilfen vom ESM erhalten. Im Juni vor sechs Jahren hat Zypern Hilfen bei der EU und dem Internationalen Währungsfonds beantragt. Wie geht es Zypern heute? Wie war der Weg und ist die Krise wirklich beendet? Mit Zypern beginnt die Serie zum ESM und seinen, nun ja,– "Kunden". Mit dem ARD-Korrespondenten Michael Lehmann, der auch für Zypern zuständig ist, habe ich vor der Sendung gesprochen und zunächst nach dem Blick zurück gefragt: Zypern 2012 - Was waren die Probleme damals?
    Michael Lehmann: Es war ein Land, das wirklich vor dem Staatsbankrott stand. Es gab Journalisten, die haben dramatisch geschildert, dass viele Menschen tatsächlich um ihr Erspartes zittern müssen, dass es unklar war, ob dieses Land so weit weg von Europa gelegen geografisch gesehen, sich auch schnell wird verabschieden müssen von der Eurozone. Und dann gab es eben, ähnlich wie wir das von Griechenland meistens ja in besserer Erinnerung hatten, weil es insgesamt für Griechenland länger ging, dann eben auch auf Zypern sehr, sehr lange Verhandlungsnächte, Bangen, Hin-und-Her-Ringen und am Ende ein Lösungspaket, das nicht nur dastand, sondern das offenbar auch sehr schnell wirksam wurde.
    Finzanzielle Hilfen gar nicht aufgebraucht
    Becker: Das war dann 2013, da hat sich die Euro-Gruppe aufs Hilfsprogramm für Zypern verständigt: Zehn Milliarden Euro, neun Milliarden kamen vom ESM, eine vom IWF, vom Internationalen Währungsfonds. Interessant war ja dann, dass Zypern das Geld gar nicht ganz gebraucht hat. Wie kam das?
    Lehmann: Das kam vor allem durch Beteiligung des eigenen Volkes und seiner Gäste, denn die wichtigste Zutat dieser Rettung, die traf tatsächlich alle Menschen mit etwas mehr Vermögen auf der Insel. Es gab ja die Regel, dass alle Konten, auf denen mehr als 100.000 Euro lagerten, zur Kasse gebeten werden, die Besitzer und Besitzerinnen. 47,5 Prozent dieser Geldeinlagen wurden quasi einfach beschlagnahmt, so nannten das viele Menschen, und de facto war es auch nichts anderes. Und da kam dann die stolze Summe zusammen, die eben Zypern so schnell dann eben half, aus dieser Krise nachhaltig und schnell zu kommen. Aber das bedeutete tatsächlich, dass jemand, der eben 200.000, 300.000 auf der hohen Kante hatte, einen stolzen Teil dieses Geldes aus Solidaritätsgründen zur Rettung seines eigenen Landes beisteuern musste. Und das galt und gilt bis heute auch für all die Menschen, die auf Zypern Geld zwischengeparkt hatten. Sie haben jetzt noch die Hoffnung, vielleicht mal irgendwann, so steht das im Kleingedruckten, einen Teil des Geldes zurückzubekommen, aber ob das tatsächlich auch passiert, ist unklar.
    "Verdacht, dass hier die Falschen gefördert werden"
    Becker: Und es war auch eine Besonderheit dieses Rettungsprogramms, eine Besonderheit, die erstmals angewendet wurde. Trotzdem waren ja die Hilfen gerade für Zypern nicht unumstritten. Es hieß ja, schwerreiche Ausländer, russische Oligarchen oder Schweizer Multimillionäre hätten da vor allem ihre Gelder geparkt, und die nun zu schützen, das kam ja nicht überall gut an.
    Lehmann: Nein, und natürlich, wenn man in Zypern unterwegs ist, sieht man auch zum Teil Städte, Stichwort Limassol, wo sehr viele russische Gäste und sehr viele russische Geschäftsleute ein sehr extrem wohlhabendes Leben führen können, und die Menschen, die mit ihnen Geld verdienen, dem entsprechend. Und deshalb gab es eben auch für Zypern anders als bei den anderen Krisenländern durchaus auch den Verdacht, dass hier vielleicht auch die Falschen gefördert werden und man nicht tatsächlich nachhaltig geguckt hat, ob das Land aus eigener Kraft vielleicht schneller und besser aus dem Schlamassel kommen könnte. Da gab es dann natürlich auch von europäischer Seite kritische Nachfragen, ob hier tatsächlich ein Rettungsschirm so vonnöten ist.
    "Eine neue Form der Abhängigkeit"
    Becker: Nun ist das ja bei allen Rettungsprogrammen so gewesen, dass es die nicht ohne Gegenleistung gab. Was genau wurde denn verlangt von Zypern?
    Lehmann: Zypern musste natürlich in den eigenen Reihen, Stichwort Finanzdienstleistungen, sich zum einen etwas gläserner machen, als das vielleicht auch gewünscht war, denn es ist ja auch ähnlich wie bei Griechenland so gewesen, dass da Kontrolleure im Land waren, die einen genauen Kassensturz gemacht haben und die auch der Politik natürlich verordnen mussten, was zu tun ist. Das war zum einen relativ unangenehm, zum anderen hat man natürlich dann auch wiederum Maßnahmen treffen müssen, die man vielleicht als Politiker anders oder etwas langsamer, schonender gemacht hätte. Man musste eben schauen, dass man zum Beispiel auch in Sachen Arbeitsmarkt, in Sachen Finanzdienstleistungsaufsicht Dinge verbessert. Das ist zwar umstritten, ob da tatsächlich so viel wie gewünscht auch passiert ist, aber insgesamt ist man doch hier in eine neue Form der Abhängigkeit auch gekommen von Europa, von den Geldgebern, die vielen im Land gerade deshalb nicht gepasst hat, weil man da vielleicht auch verwöhnt war so weit weg von Europa auf einer großen Insel sitzend und sich in Sachen Kontrollen und Sich-in-die-Karten-Schauen überhaupt nicht kümmern musste.
    Becker: Dann ist es nicht so, als würde die Rettungsaktion damals nur positiv gesehen?
    Lehmann: Nein, es gab natürlich auch diese anderen Stimmen, und ich selbst hab das auch bei meiner Recherche damals gemerkt, dass man da jetzt beispielsweise nur sehr schwer Gesprächspartner gefunden hatte, die da eben, wenn sie beim Finanzdienstleister waren, genaue Fragen beantworten wollten. Da ist eine große Reserviertheit gewesen, bis heute. Und manche sagen ja auch, dass das deshalb auch so schnell nach oben ging, das ist durchaus auch schmunzelnd heute zu hören , weil man es dann geschafft hat, vielleicht doch auch wieder rechtzeitig abzuschotten und sich eben doch nicht mehr so genau in die Karten schauen lassen zu müssen.
    Becker: Herzlichen Dank fürs Gespräch, Herr Lehmann!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.