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Weihnachten 2016
Musikalische Geschenktipps

Ob Bücher, Filme, Vinyl oder CD-Empfehlungen - die Corso-Redaktion liefert kurz vor Weihnachten noch ein paar Hinweise, welche Geschenke für Musikfans eine gelungene Überraschung sein können.

17.12.2016
    Kopfhörer liegen auf einem Sofa, dahinter leuchtet ein Weihnachtsbaum
    Musik zu Weihnachten - die Corso-Redakteure haben ihre persönlichen Geschenktipps zusammengestellt. (Imago)
    The Last Shadow Puppets: "Everything you've come to expect" - Vinyl
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    Mein Geschenktipp ist das Album "Everything you've come to expect" von dem britischen Duo "The Last Shadow Puppets". Man hat hier das Gefühl, wieder eine Art cineastische Popmusik zu erleben, wie man sie von den Beach Boys, den Walker Brothers oder den frühen Songs von David Bowie her kennt. Das Album steckt voller Überraschungen, ist perfekt inszeniert und, wie gute Popmusik halt so ist, völlig zeitlos.Es gibt tolle Streicherarrangements, das Album hat viele Ohrwürmer zu bieten und die beiden Stimmen von Alex Turner und Miles Kane ergänzen sich perfekt. Sollten Sie einen Plattenspieler haben, dann empfehle ich die Vinyl-Version, alleine wegen des tollen Covers, das eine Aufnahme aus den späten 1960ern von einer tanzenden Tina Turner zeigt. (Thomas Elbern)
    Shirley Collins: "Lodestar" - CD
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    Wenn Künstler längere Zeit mal nichts veröffentlichen, wird es gerne als "Sensation" gefeiert, wenn endlich mal wieder ein neues Album erscheint. War bei den Stones gerade so: "Blue & Lonesome" – das erste neue Studioalbum seit elf Jahren. Wie soll man denn das dann nennen, was Shirley Collins gemacht hat? Sie hat vor ein paar Tagen ein neues Album veröffentlicht: Ihr erstes seit 38 Jahren! Die englische Folksängerin ist mittlerweile 81 Jahre alt – und hat vor allem in den 1960er-Jahren ziemlich grandiose Alben veröffentlicht. Englischer Folk – gespielt auf einigermaßen abgefahrenen Instrumenten wie der Kniegeige oder Miniaturorgeln und Miniaturgeigen. Ihr Folk hatte irgendwie auch was Psychedelisches – und tatsächlich gab es in England in dieser Zeit gar nicht mal so wenig Bands, die Folk mit Psychedelic vermischt haben: Acid Folk heißt das heute… Und auch das neue Album von Shirley Collins hat leicht psychedelische Tendenzen. Auf "Lodestar" dröhnt ein Hurdy Gurdy, es gibt immer wieder kleine Soundeffekte – und die Texte sind finster finster finster. In Shirley Collins-Songs sterben mehr Menschen als auf jedem Gansterrapperalbum. Also: Wenn man's Weihnachten ein bisschen hintergründig morbide mag, zu Musik, die einfach himmlisch schön ist – "Lodestar" löst das ziemlich gut ein. Da wartet man dann auch gerne mal 38 Jahre auf ein neues Album. (Sascha Ziehn)
    Album-Cover: "Lodestar" von Shirley Collins (Ausschnitt)
    "Lodestar" - das neue Album der britischen Folkmusikerin Shirley Collins (Domino Records)
    Johnny Trunk (Hrsg.): "The Music Library" - Buch
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    Mein Geschenktipp für dieses Jahr ist ein Buch. Es nennt sich "The Music Library" und ist erschienen im englischen Fuel Verlag, herausgeben von Johnny Trunk. Johnny Trunk ist ein englischer DJ und Labelbetreiber, der hier so eine Art Lexikon zum Thema "Library Music" zusammengetragen hat. Library Music ist ein Phänomen, das im Deutschen unter dem Titel Produktionsmusik bekannt ist. Das waren speziell für die Untermalung von Dokumentationen und Spielfilmen hergestellte Schallplatten, die rechtefrei verwendet werden konnten, ohne langwierige Lizenzverhandlungen. In diesem Bereich gibt es sehr, sehr interessante Veröffentlichungen, sowohl graphisch als auch musikalisch. Andere wiederum sind weniger spektakulär, aber insgesamt ist das ein spannendes Phänomen und Johnny Trunk ist Experte für diesen Bereich und hat hier erstmals ein umfassendes, graphisch wunderschön gestaltetes Buch zum Thema Produktionsmusik zusammengestellt. Das ist insgesamt ein super Paket aus Gestaltung, Musikhistorie und einem kleinen Schuss Nerdtum. (Steffen Irlinger)
    "Miles Ahead" - DVD
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    Don Cheadles Biopic "Miles Ahead" über die Jazz-Legende Miles Davis: Ein Film, der glücklicherweise kein konventionelles Biopic ist, also eines dieser Machwerke, das uns vormacht, man könne von einem Leben erzählen, indem man einfach nur die Stationen aneinanderreiht und verbindet mit süßlicher Erinnerungssoße. Don Cheadle, Regie, Autor, Produzent, Hauptdarsteller, erzählt vom New York 1980. Miles Davis hat seit fünf Jahren keine Platte mehr veröffentlicht, trinkt, kokst, ist ein Kotzbrocken, hat Hüftprobleme, und hat sich in seiner Wohnung vergraben. Ein Rolling-Stone-Reporter - Ewan McGregor - stöbert ihn auf, weil er hörte, dass der legendärer Musiker eine Session eingespielt hat und nun eine große Comeback-Story wittert. Aber ein Interview bekommt der Journalist nicht, sondern einen Einstieg in das wilde, chaotische Leben der Legende, dem man persönlich nie gerne begegnen würde, dessen Musik aber … Cheadle und McGregor spielen großartig. Der Film: dynamisch, rhythmisch, wunderbar montiert, flirrend, voller Energie und Überraschungen. Eine Annäherung an einen genialen Musiker, die sich bewusst ist, dass nur eine Annäherung, die von sich nichts mehr als Annäherung behauptet, Sinn macht. Und dann noch mal die Musik hören. (Hartwig Tegeler)
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Der Schauspieler und Regisseur Don Cheadle bei der Vorstellung seines Films "Miles Ahead" am 18. Februar 2016 in Berlin (picture alliance / dpa / Britta Pedersen)
    D.D. Dumbo: "Utopia Defeated" - CD
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    "Utopia Defeated", das Debütalbum von D.D. Dumbo - so nennt sich der junge Australier Hugh Perry, dessen erste Song schon vor Jahren durch die Blogs gereicht wurden - worauf er erst mal aus der Großstadt Melbourne in sein Heimatkaff geflüchtet ist. Vielleicht hat er die Langeweile gebraucht, um aus allerlei Samples, afrikanischen Einflüssen, Holzbläsern und Halleffekten einen ganz eignen Stil zu basteln. Und Songs, die nicht ohrwurm-prägnant sein wollen, die einen aber ständig überraschen. Dass D.D. Dumbos Singstimme eine Sting-Stimme ist, schadet auch nicht. Mit der singt er von reitenden UFOs und von Fröschen in der öffentlichen Sauna, aber er verpackt da als Veganer und Tierschützer durchaus ernsthafte Anliegen. Ich hab ihn durch den Song "Walrus" im Netz entdeckt, der tatsächlich in poetischen Worten gegen Gänsemast Stellung bezieht - aber es reicht auch, sich in das unwiderstehliche Gitarrenlick zu verlieben. Vielleicht nicht die wichtigste oder spektakulärste oder allerbeste Platte des Jahres, aber eine sehr lohnende Entdeckung. (Bernd Lechler)
    Viv Albertine: "A Typical Girl" - Autobiografie
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    Mein Geschenktipp ist "A Typical Girl" – die Autobiografie von Viv Albertine, die in diesem Jahr auch endlich auf Deutsch erschienen ist. Übrigens sehr toll übersetzt von Conny Lösch. Klar: Es geht um Viv Albertine. Ende der 70er wurde sie bekannt, als Gitarristin der Punk-Band The Slits. Im Kern eine Frauenband, was damals wie heute schon noch eine Rolle spielt – und zu der Zeit durchaus gefährlich war: Weil die Slits sich nicht so adrett angezogen haben, wie es das Frauenbild von damals wollte, wurden sie offen angefeindet – sie wurden angespuckt oder geschlagen. Aber die Slits verloren nie ihr Selbstbewusstsein. Sie ließen zum Beispiel rotgefärbte Tampons von ihren Ohren baumeln. Die Zeit des Punk war aber dann bald vorüber, und für Albertine begann ein neues Leben, mit allen Höhen und Tiefen: Eheglück, Ehekrise, Krankheit, viel Geld, wenig Geld und so weiter. Viv Albertine schreibt das alles ganz nüchtern und uneitel auf, ohne sich im Nachhinein schlauer zu machen, als sie es damals war. Das macht das Lesen total angenehm. Was aber vor allem toll ist: Die Autobiografie zeigt, was es bedeutet, ein Punk zu sein. Nämlich nicht möglichst schnell möglichst wenige Akkorde zu schrabbeln. Nein. Punk ist eine Einstellung. Punk ist Selbstermächtigung in allen Lebenslagen. Das zieht sich durch dieses Buch – und man will sofort selbst ein kleiner Punk sein. (Christoph Reimann)
    Die britische Musikerin Viv Albertine
    Die britische Musikerin Viv Albertine (Deutschlandradio / Liliane Mofti)
    David Crosby: "Lighthouse" - CD
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    David Crosbys "Lighthouse" ist das fünfte Solo-Album für den Altmeister, das erste unter eigenem Namen erschien 1971: "If I Could Only Remember My Name". Schon damals hatte er sich mit seinen Bands einen Namen gemacht, er war Gründungsmitglied sowohl der Byrds wie auch auch von Crosby, Stills & Nash Ende der 60er-Jahre (später kam Neil Young dazu). David Crosby ist inzwischen 75, dass er überhaupt noch lebt, grenzt an ein Wunder: Hepatitis C, Diabetes, Leber-Transplantation, Herz-OP. Und immer noch singt der alte Haudegen seine leicht verschrobenen Lieder mit einer Stimme, die über die Jahrzehnte kaum gealtert ist. Das neue Album hat er zusammen mit dem New Yorker Musiker Michael League aufgenommen, die Songs kommen auf leisen Sohlen daher, reduziert auf das Wesentliche: Gesang und akustische Gitarre bestimmen das Klangbild, kein Schlagzeug, keine Band. (Günter Janssen)
    David Crosby bei einem Konzert der US-Band Crosby, Stills and Nash in Nyon (Schweiz) am 22. Juli 2010
    David Crosby bei einem Konzert der US-Band Crosby, Stills and Nash in Nyon (Schweiz) am 22. Juli 2010 (dpa / picture alliance / Martial Trezzini)
    Me + Marie: "One Eyed Love"
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    Manchmal sind es Kleinigkeiten: Ein Riff, ein Groove, eine Melodie – oder die Art und Weise, wie zwei Stimmen zusammen klingen. Beim Duo Me + Marie hat das einen Grund: Die beiden haben sich auf Anraten ihres Produzenten mit Aktionen wie Wandern, Gras schneiden mit der Sense und einem entspannenden Bierchen ein gutes Körpergefühl für ihre Gesangsaufnahmen hergestellt. Und das hört man ihnen an (Gut, dass Bierchen direkt vielleicht nicht). Me + Marie, das sind Maria de Val und Roland Scandella. Sie kommt aus Südtirol, er aus der Ostschweiz. Sie spricht von Haus aus ladinisch, er rätoromanisch - und auf dem Album meist englisch. Sie spielt Schlagzeug und singt, er spielt Gitarre und singt. Dabei war Maria früher in leisen Ensembles unterwegs und Roland eher in lauten – aber sie haben beide voneinander gelernt. Und aus diesem Lernprozess ist ein richtig gutes gemeinsames Debut entstanden. Zwischen leise und laut, zwischen Folk und Indierock, handgemacht, organisch, eingängig. Nicht das aufregendste Album des Jahres 2016, aber ein sehr gutes. Und mit zwei wunderbar harmonierenden Stimmen.