Dienstag, 19. März 2024

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Weihnachtsbräuche im Elsass
Historische Lebkuchenbäckereien und besondere Weihnachtsbäume

Im französischen Elsass haben Weihnachtsbräuche eine lange Tradition. Der Ort Selestat etwa gilt als Geburtsort des Weihnachtsbaums, das kleine Dorf Gertwiller als die Metropole der Lebkuchenhäuser. Dort wird noch mit alten Maschinen und nach historischen Rezepten gearbeitet.

Von Rita und Rudi Schneider | 09.12.2018
    Das Gertwiller Lebkuchenhaus
    Das Gertwiller Lebkuchenhaus (Rudi & Rita Schneider )
    Weihnachtszauber im Elsass, das ist ohne Übertreibung eine uralte Tradition. Um genau zu sein, etliche der Weihnachtsbräuche blicken auf eine 500-jährige Geschichte zurück. In Colmar beispielsweise ist nicht nur die ganze Stadt festlich dekoriert. In dem Stadtteil, den man auch als "Klein-Venedig" bezeichnet, kommt Santa Claus natürlich auf einem Schiff, begleitet von weiteren Schiffen, in denen Musikgruppen die Gäste am Ufer und auf den Brücken mit weihnachtlicher Musik verzaubern.
    Gute 20 Kilometer nördlich von Colmar liegt Selestat. Sélestat nennt man auch den Geburtsort des Weihnachtsbaums. Die Humanistische Bibliothek von Sélestat besitzt ein Dokument vom 21. Dezember 1521, das als die älteste bekannte schriftliche Erwähnung eines Weihnachtsbaumes bekannt ist. Und rundherum übertreffen sich die Weihnachtsbräuche, sei es Kayersberg, Riquewihr oder auch das Winzerdorf Mittelbergheim. Dort schauen wir kurz in den Saal der evangelischen Gemeinde, wo die Schulkinder vor großem Publikum das Krippenspiel aufführen. Das Krippenspiel der Schulkinder in Mittelbergheim ist nur eines von vielen Beispielen weihnachtslichen Brauchtums im Elsass.
    Metropole des Lebkuchens
    Die beiden Dörfer Mittelbergheim und Gertwiller liegen zu Füßen des Klosterberges der Schutzpatronin des Eslass, der heiligen Odilie. Wir machen uns nun auf den Weg nach Gertwiller, der Metropole des Lebkuchens. Andreas Schmidt war es, der in dem 800-Seelendorf bereits 1730 als der erste Lebkuchenbäcker bekannt wurde. Zur Blütezeit gab es in Gertwiller neun Lebkuchenbäckereien. Heute existieren nur noch zwei, und nur eine arbeitet noch immer mit historischen Maschinen aus dem vergangenen Jahrhundert und traditionellen Rezepten, die zum Teil 150 Jahre alt sind. Es ist die Bäckerei Lips. Das Haus der Bäckerei Lips gleicht von außen dem Lebkuchenhaus von Hänsel und Gretel, und wer die Lebkuchenwelt entdecken möchte, muß durch diese Tür gehen.
    Öffnen wir diese Tür, dann stehen wir in der Weihnachtsbäckerei. Manche Leckerei, das hier ist ein Schlaraffenland der Weihnachtsleckereien. Michel Habsiger ist der Bäckermeister und er hat uns in sein Lebkuchen-Reich eingeladen. Seine Backstube ist alles andere als eine moderne Industrieanlage, sie ist eher ein immer noch perfekt arbeitendes Backmuseum.
    Arbeiten mit historischen Maschinen
    "Das ist ein ganz kleiner Betrieb, nicht der Großhandel, denn wir schaffen immer noch wie früher. Wir haben sogar eine Anerkennung vom Staat. Wir sind labelisiert. Auf Deutsch kann ichs nicht übersetzen. Wir arbeiten immer noch im Patrimonium. Wir haben sogar Maschinen, die sind älter wie ich. Wir schaffen immer noch mit den alten Rezepten vom 19. Jahrhundert."
    Das wichtigste Element, lächelt Michel vielsagend, ist der Teig, besonders, wenn man immer noch nach so alten Original Rezepten backt.
    "Wir schaffen besonders mit Mutterteig. Mutterteig ist Milch und Honig, Zucker und Mehl. Der wird sechs Monate vorgelagert. Da gibt es eine biologische Reaktion wegen der Lagerung. Marmoriertes Mehl, 15 Prozent, das ist ein paar Wochen alt. Das bringt den Geschmack und die Lockerheit und ist ein natürliches Konservierungsmittel. Wir brauchen keine chemischen Produkte."
    Manche Kleckerei, der sage und schreibe ein halbes Jahr gereifte Teig kommt dann in Michels historische Teigmaschine.
    "Das ist eine ganz alte Teigmaschine von 1880. Die war noch mit Wasserantrieb damals. Der Kessel ist aus Eichenholz. Die ist sogar älter wie ich. Das ist die Wallmaschine. Die ist noch älter. Das hier ist eine Bank. Bei uns sagt man 'Brezelknetsch' dazu. Da hat man den Brezel- und Lebkuchenteig geknetet, die festen Teige."
    In Michels Teigmaschine werden auch nach so langer Zeit täglich 200 Kilogramm Teig gerührt und geknetet.
    "Wir arbeiten mit uralten Maschinen. Das geht immer noch. Reparaturen sind ganz einfach durchzuführen, wenn man nicht industriell mit den modernen vollautomatischen Maschinen arbeiten will. Sonst müssten wir unseren ganzen Teigrezepte ändern. Unsere Teige, in denen so viele gute Sachen drin sind, würden in der vollautomatischen Maschine verkleben. Mit Handarbeit kann man sich immer dem Teig anpassen."
    Lebkuchenrezepte aus dem 19. Jahrhundert
    Und wenn es dann kleben würde, wäre es nicht wie im Lied der Knilch, sondern die moderne Industrieanlage, die die große Kleckerei produziert hätte. Weit mehr als ein Jahrhundert alt sind die Rezepte, nach denen in dieser Backstube mit Äpfeln, Feigen und Zimt, mit Orangen oder Ingwer und Honig Lebkuchen in malerischen Formen, Mandelmakronen und Nikoläuse gebacken werden.
    "Das ist die Streich- und Glasiermaschine. Die steicht den Zucker auf die Lebkuchen. Wir machen viele kleine Züngle und auch viel mit Bildern, den alten Nostalgiebildern, die es früher in Deutschland gab. Die gibt’s aber schon 40, 50 Jahre nicht mehr bei Ihnen, die gibt’s immer noch bei uns. Wir haben ein ganz großes Sortiment für Weihnachten und sogar für Ostern. Die werden entweder drauf gelegt oder drauf geklebt mit ein bischen Zucker."
    Natürlich auf den Ofen, und den hat Michel gerade eingeschaltet.
    "Die Backzeit, wenn es ein dünner Lebkuchen ist, beträgt zwischen sieben bis zehn Minuten bei 270 Grad, sehr heiß, aber ganz schnell. Wenn es ein dicker Lebkuchen ist, ob Natur oder mit verschiedenen Früchten, nur 145 Grad, aber der backt dann über eineinhalb Stunden."
    Gut Ding will Weile haben, so ist das in wirklich alter Tradition.
    Weihnachtsbäckerei, wo sind wir eigentlich? Im Erdgeschoss eines sehr historischen Gebäudes erzählt Michel Habsiger.
    "Was noch sehr alt ist, ist das Gebäude an sich selbst. Das ist 1756 gebaut worden. Der Dachstuhl ist noch original. Früher war das die 'Zehntel-Scheuer'. Der ganze Hof gehörte zum Odilienberg, Mont St. Odile. In diesem Hof wurde der zehnte Teil der landwirtschaftlichen Produktion abgeliefert. Das war die Kirchensteuer damals. Nach der französichen Revolution wurde das Gebäude versteigert. Seit 1806 ist die Lebkuchenbäckerei in diesem Gebäude."
    Die "Scheuer" oder der Zehnt-Stadel befindet sich im Obergeschoss über der Backstube und dorthin lädt uns Michel nun ein.
    Sammlung im Gertwiller Lebkuchen Museum
    Sammlung im Gertwiller Lebkuchen Museum (Rita & Rudi Schneider)
    "Mein Handwerk ist Lebkuchenbäcker, aber daneben bin ich auch noch Sammler. Das mache ich jetzt schon über 50 Jahre. Ich habe versucht, Dinge zu sammeln, was den Lebkuchen anbelangt und besonders unsere elsässichen Traditionen."
    Sammeln ist eine elsässische Tradition und nachdem wir die alte Holztreppe zu Michels Sammlerparadis erklommen haben, bleibt uns ehrlich gesagt etwas der Atem stehen, denn wir blicken ohne Übertreibung auf tausende Objekte, die Michel fein thematisch sortiert hier oben präsentiert.
    "Ich hab viele Obladenbilder, das sind die Bilder, die auf den Lebkuchen aufgeklebt werden, viele Lebkuchen-Ausstecher, da hatte man ausgestochene Bretter mit denen man Lebkuchen und Springerle gemacht hat. Und außerdem habe ich noch eine große Sammlung von Schokoladenmodel, etwa 1000 Tonmodel. Die hat man früher für die verschiedenen Feste benutzt, ob sie religiös oder Familienfeste waren."
    Museum gesammelter Schätze und Weihnachtsbräuche
    Kopfschüttelnd wandern wir durch diese unglaubliche Sammlung. Mehr als 300 Keramiken der Familie Hannong aus Straßburg, Bierflaschen aller elsässichen Brauerein, die es schon lange nicht mehr gibt. Historische Spielzeuge und natürlich ein Hänsel & Gretel-Lebkuchenhaus und unzähliges mehr. Ein komplette historische Bauernstube hat Michel in der Tenne aufgebaut.
    "Dann habe ich auch noch die Bauernstube, sehr alt. Das hier war das Speisezimmer, Aufenthaltszimmer und Schlafzimmer gleichzeitig. Es ist sehr niedrig und deshalb im Winter gut zu wärmen. Daneben ist die alte Küche mit allen Töpfen und dem Mobiliar, was man früher so hatte."
    Dann finden wir uns vor einem Weihnachtsbaum ein, der wie wir gelernt haben, seinen Ursprung hier im Elsass hat. Diese Weihnachtsbäume, so erzählt Michel, wurden in elsässischen Wohnstuben nicht aufgestellt, nein, sie wurden an der Decke aus einem ganz besonderen Grund aufgehängt.
    "Das ist der Weihnachtsbaum wie früher mit dem alten Dekor. Früher hat man den Tannenbaum einfach aufgehängt. Denn sie haben die kleinen Springerle und Nüsse drangehängt. Sie haben die Bäume aufgehängt, damit die Mäuse die Springer nicht fressen."
    Natürlich, die Lebkuchen-Springerle waren nicht nur für die Menschenkinder eine Köstlichkeit, sondern auch für die kleinen Mäuschen. Als wir uns von Michel Habsiger und seinem Lebkuchenreich verabschieden, empfiehlt er uns noch einen Besuch oberhalb seiner Backstube, und damit meint er nicht den Stadel im Haus, sondern, oberhalb auf dem Klosterberg der heiligen Odilie, wo jedes Jahr der klösterliche Weihnachtsmarkt stattfindet.
    Während wir durch den Marché de Noel des Odilienklosters wandern, die besondere spirituelle Atmophäre hier oben über all den Dörfern des Elsass auf uns wirken lassen, wird uns das Wesen der Zeit bewußt, das vieles über Jahrhunderte für uns heute noch erlebbar bewahrt hat, aber auch manches für immer in die Geschichtsbücher überführte.