Freitag, 29. März 2024

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Weihnachtsempfehlungen der Buchredaktion
Schlaue Literatur, Sachbuch, Bildband für Leser jeden Alters

Alle Jahre wieder: Die Deutschlandfunk-Buchredaktion gibt Buchempfehlungen zu Weihnachten.

Von Dina Netz, Hubert Winkels, Jan Drees, Antje Deistler und Angela Gutzeit | 19.12.2016
    Die DLF-Büchermarkt Redaktion und ihre Lesetipps für die Feiertage: Hubert Winkels, Jan Drees, Antje Deistler, Dina Netz.
    Die DLF-Büchermarkt Redaktion und ihre Lesetipps für die Feiertage: Hubert Winkels, Jan Drees, Antje Deistler, Dina Netz. (Deutschlandradio / Tina Schimansky)
    Weihnachtsempfehlungen der Buchredaktion:
    Dina Netz:
    Tahar Ben Jelloun: "Papa, was ist ein Terrorist?".
    Aus dem Französischen von Christiane Kayser, Berlin Verlag, Berlin 2016, 128 Seiten, 14 Euro
    Hut ab vor Tahar Ben Jelloun! Hut ab davor, dass er sich in einer politisch derart aufgeladenen Stimmung traut, ein Erklärbuch über den Terrorismus zu veröffentlichen. In "Papa, was ist ein Terrorist?" führt Ben Jelloun wieder einen imaginären Dialog mit seiner jugendlichen Tochter und versucht, ihr die Dinge zu erklären, die auch für uns westliche Erwachsene eigentlich unverständlich sind. Mehrfach lässt er die Tochter die Frage wiederholen, wieso in Europa aufgewachsene junge Männer zu Mördern werden und wie man das künftig verhindern könne. Ben Jelloun gibt selbst zu, dass seine Antwort naiv und hilflos klingt, aber eine bessere hat - natürlich - auch er nicht: Bildung, Bildung, Bildung
    Thor Hanson: "Federn. Ein Wunderwerk der Natur".
    Aus dem amerikanischen Englisch von Nina Sottrell, Meike Herrmann und Daniel Fastner.
    Reihe Naturkunden No. 26 (Hg. Judith Schalansky).
    Verlag Matthes & Seitz Berlin, Berlin 2016, 276 Seiten, 38 Euro
    Federn sind so alltäglich wie staunenswert. "Ein Wunderwerk der Natur" nennt der US-amerikanische Biologe Thor Hanson sie im Vorwort seines Buches, das sich ausschließlich Entwicklung und Nutzen der Federn widmet. Hansons Buch ist alles andere als eine trockene naturwissenschaftliche Abhandlung, sondern eine Verneigung vor einem äußerst komplexen Gebilde, das den Vögeln etwas ermöglicht, wovon wir Menschen seit Jahrtausenden träumen – das Fliegen.

    Hubert Winkels:
    "Die große Geschichte der zeitgenössischen Photographie. 1920-1960."
    MoMA Schirmer/Mosel 2015 und 16, je ca. 400 S., 600 Abb. je 78 Euro
    Wenn das Museum zum Buch wird: Das Museum of Modern Art in New York besitzt eine der weltweit größten Sammlungen zur Photographie des 20. Jahrhunderts. Um diese reichen Bestände der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sind drei Bände geplant. Zwei sind bereits erschienen: Band III der zeitlich letzte also, in dem die Jahre 1960 bis heute behandelt werden, als erster – das MoMA zäumt seine Geschichte der Photographie des 20. Jahrhunderts also von hinten auf. Der vorgezogene Blick auf die letzten gut fünf Jahrzehnte hat insofern brisante Priorität, als sich die technischen und künstlerischen Bedingungen des Mediums in diesem Zeitraum dramatisch verändert haben. Am Beispiel der 350 hier versammelten Bilder von rund 250 international namhaften Photographen aller Gattungen wird die Suche nach neuem Ausdruck ebenso deutlich wie das Ringen um Definitionen dessen, was Photographie im Zeitalter der digitalen Bildproduktion sein kann.
    Mit dem Folgeband, der den Zeitraum von 1920 bis 1960 behandelt, geht das MoMA in seiner Geschichtsschreibung zurück in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts. Es sind entscheidende Jahre für die ästhetische, gesellschaftspolitische und technische Entwicklung des Mediums, und ihre Akteure gehören zu den Heroen der Photogeschichte: Ansel Adams, Alfred Stieglitz, Karl Blossfeldt, August Sander, Man Ray, Brassaï, Walker Evans, Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, Edward Steichen, Diane Arbus, Robert Frank.
    In acht Kapiteln umspannt der historische Bogen die europäischen, hier insbesondere die deutschen Avantgarden, die amerikanische Moderne, den Surrealismus und den sogenannten "dokumentarischen Stil" bis hin zu Schnappschuss, Studio- und Subjektiver Photographie und Street Photography.
    Mitherausgeber Quentin Bajac, Chefkurator für Photographie am MoMA, legt mit diesen Bänden gleichzeitig eine historische Rekapitulation, eine kritische Analyse und ein in Umfang und Qualität beeindruckendes Bildlexikon der Gegenwartsphotographie vor.
    Didier Eribon: "Rückkehr nach Reims"
    Aus dem Französischen von Tobias Haberkorn.
    Suhrkamp Verlag, Berlin. 240 S., 18,30 Euro
    Als sein Vater stirbt, reist Didier Eribon zum ersten Mal nach Jahrzehnten in seine Heimatstadt. Gemeinsam mit seiner Mutter sieht er sich Fotos an – das ist die Ausgangskonstellation dieses Buchs, das autobiografisches Schreiben mit soziologischer Reflexion verknüpft. Eribon realisiert, wie sehr er unter der Homophobie seines Herkunftsmilieus litt und dass es der Habitus einer armen Arbeiterfamilie war, der es ihm schwer machte, in der Pariser Gesellschaft Fuß zu fassen. Darüber hinaus liefert er eine Analyse des sozialen und intellektuellen Lebens seit den fünfziger Jahren und fragt, warum ein Teil der Arbeiterschaft zum Front National übergelaufen ist. Das Buch sorgt seit seinem Erscheinen international für Aufsehen.
    Didier Eribon, geboren 1953 in Reims, lehrt Soziologie an der Universität von Amiens. Er gilt als einer der wichtigsten öffentlichen Intellektuellen Frankreichs und bezieht regelmäßig Stellung zum politischen Zeitgeschehen. International bekannt wurde er durch seine Biographie über seinen Freund Michel Foucault.

    Jan Drees:
    MarcMarcel Proust: "Briefe 1879 – 1922" (2 Bde.)
    Suhrkamp Verlag, Berlin 2016, 1479 Seiten, 78,00 Euroel Proust: "Briefe 1879-1922"
    Marcel Proust behauptete, dass er seine Briefe vor seinem Tod vernichten wolle. Denn er würde die Korrespondenzen eigentlich hassen. Seiner Haushälterin gestand er sogar, dass er das viele Briefe schreiben als einen der großen Fehler in seinem Leben betrachte. Hätte Proust seine Androhung jedoch umgesetzt, all seine Nachrichten an Freunde, Kollegen, Liebhaber und Verwandte zu vernichten, dann wäre er wohl noch über lange Zeit ein viel beschäftigter Mann gewesen. 50.000 Briefe soll er angeblich verfasst haben. Durchschnittlich fünf am Tag. Selbstverständlich in dem mythenumrankten, mit Kork ausgekleideten Zimmer, in dem er die meiste seiner Zeit verbrachte. Die Briefe schrieb er ähnlich passioniert, feinfühlig und ausschweifend wie seine Literatur – sie erwecken förmlich den Eindruck als seien sie Marginalien seines Magnum Opus "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Eine Auswahl von knapp 600 dieser Briefe gibt in der zweibändigen Edition intime Einsichten in seine Person, seine Zeit und seine Welt.
    "Die Apokalypse" (Kommentiert und Neuübersetzt aus dem Altgriechischen von Kurt Steinmann; mit sieben farbigen Illustrationen von Daniel Egnéus)
    Manesse Verlag, Zürich 2016, 176 Seiten, 49,95 Euro
    Der biblische Endzeit-Fiebertraum der "Johannesoffenbarung" ist eine der drastischsten Untergangsschilderungen, die je aufgeschrieben wurden. Eine gewaltige Bilderflut und eine poetische Ausdruckskraft greifen hier ineinander und machen die "Apokalypse", das letzte Buch des Neuen Testaments, zu einem beeindruckenden, intensiven Stück Literatur. Die Neuübersetzung aus dem Altgriechischen von Kurt Steinmann hebt gerade die Literatizität des Textes hervor und zeigt den Weltuntergang von seiner faszinierendsten Seite. Eigens für diese Prachtausgabe im Schuber fertigte der renommierte, schwedische Illustrator Daniel Egnéus sieben farbige Illustrationen an.

    Antje Deistler
    "Das Walt Disney Filmarchiv. Die Animationsfilme 1921–1968"
    Daniel Kothenschulte, John Lasseter, Russell Merritt, Charles Solomon, Robin Allan, Didier Ghez, J. B. Kaufman, Katja Lüthge, Brian Sibley, Leonard Maltin, Mindy Johnson, Dave Smith, Andreas Platthaus
    Hardcover, Halbleinen, 41,1 x 30 cm, 620 Seiten, 1500 Abbildungen in s/w und Farbe,
    Englische Originalausgabe mit deutscher Übersetzung in einem Beiheft
    Taschen Verlag, Köln, 50 Euro, ISBN der deutschen Ausgabe: 978-3-8365-5289-9
    Spätestens an Weihnachten kann man ihr kaum noch entkommen: Der magischen Welt von Walt Disney. Der Kölner Filmjournalist Daniel Kothenschulte hat Walt Disney und den Filmen, die zu seinen Lebzeiten entstanden, jetzt einen Prachtband bei Taschen gewidmet. Von Schneewittchen bis zum Dschungelbuch. Eine Augenweide nicht nur für schau-lustige Fans, sondern auch eine Fundgrube für Cineasten. Denn Kothenschulte und seine Co-Autorinnen und –Autoren hatten erstmals vollständigen Zugang zu den Disney-Archiven. So finden sich in diesem Bildband im Breitwandformat neben Entwürfen der verschiedenen Zeichner, Storyboards, Stillshots aus den Filmen und seltenen Fotografien auch Protokolle von Teambesprechungen. Insgesamt ein ebenso schöner wie hochinteressanter Einblick in die Mechanismen von Disneys Traumfabrik.
    Alexander Gerst: "166 Tage im All"
    Mit Texten von Lars Abromeit
    Frederking & Thaler Verlag GmbH München, Gebundene Ausgabe, 192 Seiten, 39,99 Euro
    Der deutsche Astronaut Alexander Gerst ist mit seiner unwiderstehlich ansteckenden Begeisterung für das Weltall ist ein Glücksfall für die Wissenschaft. Während seiner 166 Tage dauernden Mission auf der Raumstation ISS teilte er Bilder und Nachrichten auf Facebook und Twitter und erreichte damit ein großes Publikum. Zusammen mit dem Geo-Reporter und Wissenschaftsjournalisten Lars Abromeit fasst er die atemberaubenden Fotos aus der Umlaufbahn in diesem Bildband zusammen und lässt die spannendsten Augenblicke der »Blue Dot«-Mission vom Start bis zur Landung Revue passieren.

    Angela Gutzeit:
    Barbara Vinken: "Die Blumen der Mode. Klassische und Neue Texte zur Philosophie der Mode"
    Klett-Cotta, 551 Seiten, 49,95 Euro.
    Die Münchner Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken beschäftigt sich in ihren Büchern immer wieder mit Mode unter kulturhistorischen Gesichtspunkten und mit dem Anspruch, dem "Geheimnis der Mode" auf die Spur zu kommen und dabei eine Theorie der Mode zu entwickeln. In Ihrem sehr erfolgreichen Buch "Angezogen" von 2013 machte Vinken die Mode als differenziertes Zeichensystem im historischen Wandel kenntlich. Repräsentation und Rang, Männerbilder und Frauenrollen spiegeln sich nach ihrer Darstellung in Kleidung, Mode und Schmuck. In ihrem neuen Buch "Die Blumen der Mode" versammelt sie 45 Texte zum diesem Thema. Schriftsteller, Philosophen und Soziologen aus über drei Jahrhunderten kommen zu Wort. Eine unterhaltsame wie lehrreiche Anthologie über Mode als Zeichen von Klassen- und Geschlechterhierarchie, als "Theater der Obsessionen", als Indiz für die menschliche Eitelkeit.
    Georg Forster: "Ansichten vom Niederrhein, von Brabant, Flandern, Holland, England und Frankreich im April, Mai und Juni 1790."
    Die Andere Bibliothek. Mit einem Vorwort von Jürgen Goldstein. Illustriert durch 54 Kunstwerke und zeitgenössische Stiche. 480 Seiten. 79 Euro.
    Georg Forster (1754-1794) war Weltreisender, Ethnologe, Naturforscher und Schriftsteller. Bekannt wurde er mit seinem Buch "Reise um die Welt" als Ergebnis seiner Beteiligung an der Cook-Expedition 1775/1776. Forster war aber auch ein politischer Kopf, ein Freund der Aufklärung, Augenzeuge der französischen Revolution und Protagonist des kurzen revolutionären Experiments in Mainz. 1790 unternahm Forster zusammen mit dem jungen Alexander von Humboldt eine Reise, die ihn vom Rheingau, über Köln, Düsseldorf, Aachen bis in die Niederlande und schließlich nach Paris führte. Seine Beobachtungen hielt er fest in seinem letzten, unvollendeten Werk "Ansichten vom Niederrhein". Hinter dem wohl mit Absicht harmlos gewählten Titel und eingekleidet in Reisebeschreibungen mit Betrachtungen von Architektur und Kunst verbergen sich Gedanken von revolutionärer Sprengkraft.- Ein prächtiger Band in ansprechender Aufmachung und mit vielen farbigen Abbildungen.