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Weimarer Republik, Drittes Reich und Exil

"Dietrich & Riefenstahl" ist eine Doppelbiografie Karin Wielands. So verschieden ihre Ausgangspositionen und später ihre Wege nach 1933 waren: Bei beiden waren am Anfang Inhalt und Sinn ihres Tuns zweitrangig im Vergleich zum Aufstiegswillen, dem alles untergeordnet wurde.

Von Helmut Mörchen | 26.01.2012
    "Dietrich & Riefenstahl" – schon dieser minimalistische Titel der Doppelbiografie Karin Wielands heischt Aufmerksamkeit. Die Beschränkung auf die Nachnamen, mit denen früher üblicherweise Jungen militärisch knapp aufgerufen wurden, passt zum Parallelkampf zweier von grenzenlosem Ehrgeiz getriebener Frauen um Plätze ganz oben in der männlich geprägten Neuen Sachlichkeit der Weimarer Republik.

    So verschieden ihre Ausgangspositionen und später ihre Wege nach 1933 waren: Bei beiden waren anfangs Inhalt und Sinn ihres Tuns zweitrangig im Vergleich zum Aufstiegswillen, dem alles untergeordnet wurde. Ob Musik, Tanz, Schauspiel, Filmen und Fotografieren: Alles verlief in den Bahnen sportlicher Wettkämpfe. Verletzungen und Verletzungspausen, Konkurrenz und Intrigen gehörten klaglos hingenommen dazu. Männer waren weniger als Bewunderer und Liebhaber, sondern mehr als Coaches, Trainer und Förderer willkommen.

    Die Dietrich, 1901 geboren und 1992 gestorben, die Riefenstahl, ein Jahr jünger und bei ihrem Tod im Jahre 2003 101 Jahre alt, sind mit ihren Lebensläufen Zeuginnen des ganzen 20. Jahrhunderts. Noch im Kaiserreich geboren, gehörten sie zur Generation, die der Schriftsteller Ernst Glaeser in seinem Roman "Jahrgang 1902" als die zu spät Geborene beschrieben hat. Sie haben den Beginn des Ersten Weltkriegs noch als Kinder erlebt und wurden durch die Kriegsjahre dann um ihre Jugend betrogen. In der Weimarer Republik wurden sie erwachsen und gehörten zu denen, die dann danach, wenn sie denn mitmachten, zur Modernität des Dritten Reichs maßgeblich beitrugen. Ein Beispiel dafür ist die Parteitagsdokumentation "Triumph des Willens" von Leni Riefenstahl, eine - unabhängig von ihrer fatalen Tendenz - perfekte mediale Umsetzung der Nürnberger Masseninszenierung Albert Speers.

    Während Leni Riefenstahl nach dem Welterfolg ihres Olympia-Films ihren Weg an der Seite der Nazis bis zum bitteren Ende fortsetzte, wurde Marlene Dietrich schon vor 1933 nach dem Welterfolg des "Blauen Engels" mithilfe ihres großen Entdeckers, Förderers und Liebhabers Josef von Sternberg zum Hollywoodstar. Zwischen den USA und Frankreich pendelnd entschied sie sich 1939 für die amerikanische Staatsbürgerschaft. Nach Deutschland kehrte sie erst wieder zum Kriegsende in der GI-Uniform zurück, um amerikanische Truppen als Sängerin zu betreuen.

    Leni Riefenstahl – eine Meisterin im Verdrängen und Zurechtbiegen ihrer mit Hitlers Reich so eng verknüpften Biografie – setzte ihre Karriere in der neuen Bundesrepublik problemlos und erfolgreich als Fotografin und Autorin fort. Riefenstahl, die auch im hohen Alter noch ihrer Leidenschaft, dem Tiefseetauchen, nachging, engagierte sich in ihrem letzten Film "Impressionen unter Wasser", den sie als Hundertjährige herausbrachte, gegen die Verschmutzung der Meere. Dazu ihr lapidares, in seiner Dreistigkeit kaum zu überbietendes Bekenntnis: "Ich war niemals in der NSDAP und fühle mich nicht der Naziideologie verbunden. Die einzige Organisation, der ich angehöre, ist Greenpeace."

    Marlene Dietrich dagegen blieb bis zu ihrem Tod heimatlos. Aus Koffern lebend reiste sie seit Kriegsende von einem Ort zum anderen - bis zu ihrem einsamen Tod in einem Pariser Appartement.

    Karin Wieland versteht es in der Art ihres reportageartigen Erzählens – meist in einem flüssigen, das Präsenz geschickt nutzenden Parlando - , unterschiedliche Leserbedürfnisse zu befriedigen. Wer an Klatsch und Tratsch interessiert ist, erfährt etwa über das so reiche, anstrengende und oft so traurige Liebesleben der Dietrich sehr viel. Die nachhaltigsten Beziehungen hatte sie zu Josef von Sternburg, Erich Maria Remarque und Jean Gabin. Gleichzeitig blieb sie mit ihrem Ehemann und Vater ihrer Tochter Maria, dem Filmproduzenten Rudolf Sieber, bis zu dessen Tod in einer Fernbeziehung verbunden. Sieber blieb ihr penibler Organisator und – wie dies Karin Wieland pointiert – verwaltete er die Liebhaber seiner Frau und sorgte dafür, dass ihr die Schminke nicht ausging.

    Die Politologin Karin Wieland vermag aber auch politisch interessierte Leser anzusprechen. Sie bettet beide Lebensgeschichten geschickt und kenntnisreich in die historischen, gesellschaftlichen und mediengeschichtlichen Hintergründe vor allem der Weimarer Republik, des Dritten Reichs und des Exils ein. Gerade weil die beiden sich trotz vieler Berührungspunkte und mancher gemeinsamen Bekannten wohl nur einmal flüchtig begegnet sind, lohnt sich Karin Wielands Blick nun einmal auf beide, bisher nur getrennt gewürdigten Künstlerinnen. Denn beiden gemeinsam ist bei aller Verschiedenheit ihrer Wege das Ausnutzen sich zufällig ergebender Gelegenheiten.

    Karin Wieland hat dies wohl bei einer ins Auge fallenden Beobachtung zum Berlin der Weimarer Republik im Sinn gehabt. Die deutsche Hauptstadt sei "heil geblieben und eine Stadt der Frauen." Nach der Niederlage hätten sich in der Kapitale "der geschlagene Mann und die 'neue Frau'" gegenübergestanden. Zitat: "1918 ist der deutsche Mann eine Gestalt der Geschichte und die deutsche Frau eine Gestalt der Gesellschaft. Die Politiker trauen dieser Stadt Berlin nicht, die sich so schnell in die Arme der Frauen und der Gesellschaft geworfen hat."

    Weil dies dann leider nicht näher ausführt wird, bleibt der Untertitel des Buches "Der Traum von der neuen Frau" merkwürdig in der Schwebe. Denn je ausführlicher die Lebensläufe in dem 600-seitigen Buch entfaltet werden, desto deutlicher wird, dass sie weder vorbildlich noch etwa repräsentativ sein können. Vor 13 Jahren hat Karin Wieland mit einer bei Suhrkamp erschienenen Studie "Worte und Blut. Das männliche Selbst im Übergang zur Neuzeit" debütiert. Und sie ist Mitherausgeberin eines 1999 erschienenen Bandes "Willensmenschen. Über deutsche Offiziere". Der enthält ihren Aufsatz "Die Offizierstochter. Marlene Dietrich aus Berlin". Dieser Essay ist ein Ausgangspunkt der hier vorgestellten Studie, deren Entstehung Jan Philipp Reemtsma fünf Jahre lang gefördert und begleitet hat. Vielleicht hat Karin Wieland den ursprünglichen Plan, einen Fortsetzungsband zu ihrer Männerstudie zu schreiben, während dieser langen Entstehungszeit aufgegeben müssen. Was letztlich aber der Lesbarkeit ihrer nun im Hanser Verlag erschienenen reportagenhaften Biografie fern jeder Theorielastigkeit sicher förderlich ist.

    Karin Wieland: "Dietrich & Riefenstahl. Der Traum von der neuen Frau"
    Carl Hanser Verlag, München 2011. 630 Seiten, Euro 27,90.

    Besprochen von Helmut Mörchen.