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Weisskirchen: USA haben möglicherweise andere Auffassungen von Folter

Der SPD-Außenexperte Gert Weisskirchen ist nicht zufrieden mit den amerikanischen Angaben über geheime CIA-Flüge in Deutschland und die Entführung des Deutschen el Masri. Für die Öffentlichkeit reiche die Stellungnahme nicht aus, sagte Weisskirchen. Er erwarte nun, dass US-Außenministerin Condoleezza Rice ihren deutschen Kollegen Frank Walter Steinmeier wie angekündigt rasch informieren werde.

07.12.2005
    Heckmann: Aufklärung wurde Bundesaußenminister Steinmeier zugesagt, als er bei seinem Antrittsbesuch in Washington ein Thema ansprach, das in den letzten Tagen für enorme Unruhe sorgte. Flüge des amerikanischen Nachrichtendienstes CIA mit Terrorverdächtigen an Bord, die nach Medienberichten in angebliche Geheimgefängnisse in Osteuropa verschleppt worden sein sollen. Schon vor ihrem Abflug nach Berlin bekräftigte US-Außenministerin Condoleezza Rice, die USA halten sich an das Völkerrecht und die bestehenden Konditionen. Die USA ließen nicht foltern, wenn man auch alle legalen Mittel anwenden müsse, um den Terror zu bekämpfen. Und sie wiederholte dies gestern bei ihrem Treffen mit Bundeskanzlerin Angela Merkel. Bei uns am Telefon, Gert Weisskirchen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. War das die Erklärung, die Sie erwartet haben von den Amerikanern? Und sind Sie damit zufrieden?

    Weisskirchen: Das ist eine klare Stellungnahme, dass man ganz bestimmte Mittel nicht einsetzt in Verhörmethoden. Für die Öffentlichkeit reicht dies natürlich noch längst nicht aus. Denn man hätte erwarten können, dass Frau Rice sehr klar sagt, was nun geschehen ist bei CIA-Flügen in Deutschland beziehungsweise was nicht geschehen ist. ...

    Heckmann: Aber das hat sie ja abgelehnt, dort detailliert Auskunft zu geben. ...

    Weisskirchen: Eben. Und sie hatte es ...

    Heckmann: Und es sieht nicht danach aus, ...

    Weisskirchen: Sie hatte es aber erklärt, dass sie es zeitnah den Außenminister hätte wissen lassen. Das ist nicht geschehen.

    Heckmann: Das heißt, Sie erwarten, dass jetzt in den kommenden Tagen oder Wochen diese Informationen noch kommen?

    Weisskirchen: Das erwarte ich wohl, denn wir müssen ja wissen, was in Deutschland, auf deutschen Flughäfen, geschehen ist. Denn jeder bei uns, auch diejenigen, die bei uns landen, sind an Recht und Gesetz, an internationale Konventionen, aber auch an das Grundgesetz gebunden.

    Heckmann: Was ist denn gesetzt den Fall, diese Informationen kommen nicht mehr nach Berlin?

    Weisskirchen: Nun, dann werden wir das zu bewerten haben. Es kann ja sein, es mag ja sein, dass bestimmte Dinge wir nicht wissen dürfen – dann müsste es aber mindestens vor den zuständigen Gremien des Bundestages eröffnet werden, die Geheimdienst verpflichtet sind.

    Heckmann: Die amerikanische Außenministerin Rice sagte, die USA dulden keine Folter, man bewege sich im Rahmen des Rechtes. Kann es sein, dass die amerikanische Regierung einen anderen Begriff von Folter hat als hierzulande?

    Weisskirchen: Zunächst einmal ist das ja wohl jetzt auch ein anhängiges Gerichtsverfahren. Herr Masri hat zwar die Einreiseerlaubnis in die USA nicht bekommen, wohl aber scheint es so zu sein, dass das Gerichtsverfahren beginnen wird. Es ist nicht besonders klug, jetzt in einem laufenden Gerichtsverfahren – es gibt ja auch eines hier in Deutschland – dazu bewertend Stellung zu nehmen. Man sollte abwarten, was dort geschieht. Aber jedenfalls wird man jetzt schon sagen können: Das wird ein Fall werden, bei dem alle Techniken, die die CIA anwendet, geprüft werden müssen.

    Heckmann: Sie haben den Fall Masri angesprochen, der ein Fall ist. Möglicherweise kommen viele, viele andere Fälle noch dazu. Die amerikanische Seite hat jetzt zurückgewiesen, dass Condoleezza Rice Fehler eingestanden habe in dem Gespräch mit Angela Merkel, so wie die Bundeskanzlerin das dargestellt hat. Wie erklären Sie sich diese unterschiedlichen Interpretationen?

    Weisskirchen: Weil natürlich die Grundverständnisse an manchen Punkten akzentverschoben sind. Sie haben vorhin mit Recht darauf hingewiesen, dass es durchaus sein kann, dass der Begriff, was Folter ist, welche Methoden angewendet werden dürfen, unterschiedlich verstanden werden. Wir haben bei uns in der Bundesrepublik Deutschland ein klares Verständnis, was Folter ist und was nicht. Die USA haben zwar alle internationalen Verpflichtungen selbst unterschrieben, haben aber möglicherweise unterschiedliche Auffassungen. Das wird jetzt zu klären sein. Ob nicht solche unterschiedlichen Auffassungen dann zu Rechtskonflikten bei uns führen könnten. Das muss geklärt werden.

    Heckmann: Die Konsequenz wäre, dass die Praxis der Verbringung von Gefangenen, von angeblichen Terrorverdächtigen über deutschen Boden eingestellt werden müsste?

    Weisskirchen: Ich weiß nicht, ob man zu solchen Schlüssen kommen kann. Jedenfalls macht es doch, glaube ich jedenfalls – schon etwas merkwürdig mutet es einem an, wenn man die unterschiedlichen Begriffe "extradition" beispielsweise und "rendition" hört. "Extradition", das ist bei uns sehr klar durch Grundgesetz geregelt, also Überstellung von Verdächtigen und solchen, bei denen, bei solchen Menschen, bei denen man erwarten kann, dass sie nun auch wirklich Verbrechen begangen hat. Während "rendition" doch wohl etwas ist, das mit unseren Rechtskategorien so einfach nicht in Übereinstimmung zu bringen ist. Hier ist ein wirklicher Klärungsbedarf – und er muss vorgenommen werden.

    Heckmann: Würden Sie denn ausschließen, dass es auch heute noch, in diesen Tagen, zu solchen Transporten über deutschen Luftraum kommt?

    Weisskirchen: Nun, ich kann mir nicht vorstellen, dass die Debatte, wie sie in den USA hochgebrandet ist und bei uns gegenwärtig stattfindet, dass solche Flüge noch gegenwärtig jedenfalls stattfinden. Ich weiß es aber nicht. Wir werden uns in der nächsten Woche im Deutschen Bundestag, die zuständigen Gremien damit befassen.

    Heckmann: Außenminister Steinmeier soll dort in seiner Funktion als ehemaliger Kanzleramtsminister Bericht erstatten, so wie es Angela Merkel gestern gesagt hat. Jetzt ist es so, dass dieses Kontrollgremium vertraulich tagt. Die Opposition aber fordert eine öffentliche Aufklärung. Was halten Sie von dieser Forderung?

    Weisskirchen: Nun, ich weiß nicht, ob es nicht etwas früh ist, eine öffentliche Aufklärung zu fordern. Denn, schauen Sie, die USA müssen ja Informationen uns gegenüber liefern. Und wenn die USA das Gefühl haben könnte, dass ihre Schutzbedürfnisse nicht gewahrt werden, dann könnte es ja sein, dass wir gar nicht die volle Aufklärung bekommen, die wir brauchen, um wirklich bewerten zu können. Sie sehen also, wir vollziehen gegenwärtig eine Gratwanderung. Aber klar ist und klar muss bleiben: Wenn deutsches Recht verletzt worden sein soll, dann kann das von uns nicht angenommen und hingenommen werden.

    Heckmann: Kommen wir mal auf die Regierungsseite: Außenminister Steinmeier hat gestern bestätigt – nach einigen Tagen des Schweigens –, dass er als Kanzleramtsminister informiert war, über den Masri-Anwalt. Wird der Außenminister möglicherweise zu einer Belastung für die Koalition?

    Weisskirchen: Das kann ich mir nicht vorstellen. Einfach deshalb, weil er, wenn überhaupt, dann aus zweiter Hand informiert worden ist. Und Sie mögen vielleicht eine Sekunde noch mal zurückdenken in das Jahr 2004, als der CIA von uns doch sehr kritisch bewertet worden ist. Denn Sie denken bitte noch mal daran zurück, dass der CIA es war, der behauptet hat, es gäbe wirklich Kriegsgründe, die es notwendig machen, gegen den Irak Krieg zu führen. Das war die Quelle. Und die Quelle war unsauber. Man kann auch sagen, noch etwas schärfer: Diese Quelle war verschüttet oder sie war falsch konstruiert. Also, verstehen Sie, der CIA nun, den CIA heranzuziehen als die glaubwürdigste Quelle, das ist mir doch etwas weit hergeholt.