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Weißrussland: Todesstrafe für angebliche Minsker Metro-Attentäter

In Minsk soll heute ein Urteil gesprochen werden - vielleicht ein Todesurteil. Vor Gericht stehen zwei junge Männer. Sie haben im April mutmaßlich eine Bombe in der Minsker U-Bahn explodieren lassen.

Von Gesine Dornblüth | 30.11.2011
    Die Metrostation "Oktjabrskaja" im Zentrum von Minsk. Feierabendverkehr. Dicht gedrängt eilen die Menschen zu den Zügen. So wie am 11. April, als die Bombe explodierte. Die beiden Tatverdächtigen, Dmitrij Konowalow und Wladislaw Kowaljow, beide 25 Jahre alt, stammen aus der Stadt Witebsk im Osten Weißrusslands. Der Hauptverdächtige, Konowalow, soll in den Jahren zuvor bereits zwei Anschläge verübt haben. Sämtliche Taten soll er während der Ermittlungen gestanden haben, auch den Anschlag in der Metro in Minsk. Im Prozess aber widerrief er das Geständnis. Auf ihn sei Druck ausgeübt worden. Umstände, die in der weißrussischen Öffentlichkeit Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verfahrens nähren, erläutert Vladimir Matzkiewitsch, Philosoph und politischer Beobachter in Minsk:

    "In Weißrussland glaubt so gut wie niemand, dass diese Männer den Anschlag geplant und ausgeführt haben. Und selbst wenn sie es waren, wirft das eine Menge Fragen auf. Denn die beiden Männer waren den Sicherheitsorganen, dem KGB und der Miliz, schon vor dem Anschlag in der Metro bekannt. Warum wurden also keine Sicherheitsvorkehrungen getroffen? Wer hat zugelassen, dass die beiden den Anschlag verüben – wenn sie es denn waren? Es ist überhaupt nicht sicher, ob die angeblichen Fakten nicht konstruiert wurden."
    Der Menschenrechtler Walentin Stefanowitsch arbeitet für das Menschenrechtszentrum Viasna, dessen Leiter jüngst zu viereinhalb Jahren Lagerhaft verurteilt wurde. Stefanowitsch vermisst vor allem schlüssige Aussagen über das Motiv der Täter:

    "Warum haben diese jungen Leute das getan – wenn sie es waren? Ich verstehe das nicht. Während der Ermittlungen hieß es, der Hauptangeklagte habe ausgesagt, dass er die politische Situation im Land destabilisieren und einen Machtwechsel herbeiführen wollte. Das war die wörtliche Formulierung. So redet aber niemand. Das klingt vielmehr nach den Worten eines KGB-Ermittlers."

    Die weißrussische Justiz gilt als gelenkt. Präsident Alexander Lukaschenko regiert autoritär. In die Ermittlungen rund um den Anschlag in der Metro hat er sich von vornherein eingemischt. Lukaschenko persönlich ließ das Volk wissen, der Hauptverdächtige, Konowalow, habe in einem Verhör gesagt, er wolle "als Terrorist in die Geschichte eingehen".

    Weil so wenig objektive Informationen an die Öffentlichkeit dringen, blühen Spekulationen. Viele fragen sich: Wer sind die Hintermänner? Wem nützte die Tat? Steckt am Ende sogar die Regierung dahinter?

    In Weißrussland hinterließ der Anschlag eine enorme Wirkung. Bis zum Frühjahr 2011 war das Land von derartigen Angriffen weitgehend verschont geblieben. Viele Weißrussen hatten sich gleichsam auf einer Insel der Glückseligen geglaubt: Sie genossen weniger Freiheiten, wähnten sich aber sicher. Das ist vorbei. Eine Frau auf einem Minsker Markt:

    "Mein Sohn fährt mit der Metro zur Universität, und ich rufe ihn ständig an und frage, wo er ist. Heute kann man vor nichts mehr sicher sein."
    Manch einer glaubt, das Regime habe mit dem Anschlag von den wirtschaftlichen Problemen des Landes ablenken wollen. Bewiesen ist das nicht.

    Der Staatsanwalt hat unterdessen die Höchststrafe für die Angeklagten gefordert: Tod durch Erschießen. Weißrussland ist das einzige Land in Europa, das die Todesstrafe noch vollstreckt. Im Internet haben Aktivisten eine Petition auf den Weg gebracht, in der sie fordern, die Todesstrafe für die beiden 25-Jährigen auszusetzen – unter anderem, weil sie die Schuld der beiden für nicht bewiesen halten. Bisher haben mehr als 35.000 Menschen die Petition unterschrieben, darunter viele Weißrussen.

    Lukaschenko indes hat bereits Orden an Mitarbeiter des Geheimdienstes verliehen, die den Terroranschlag in der Metro, wie es heißt, "erfolgreich aufgeklärt" haben.

    Der Menschenrechtler Walentin Stefanowitsch glaubt, dass ein Exempel statuiert werden soll.

    "Wir machen seit drei Jahren eine Kampagne gegen die Todesstrafe. Früher hatte die Regierung immer mal wieder angedeutet, die Todesstrafe eventuell auszusetzen. Nach den Anschlägen in der Metro ist es damit vorbei. Ich denke, mindestens einer der Angeklagten wird zum Tode verurteilt werden."

    Anmerkung der Onlineredaktion: Das Urteil ist gefallen, wir zitieren aus den Deutschlandfunk-Nachrichten:

    Das Gericht verurteilte die beiden Angeklagten zum Tode. Die Hinrichtung der Männer könne bereits morgen erfolgen, hieß es von Seiten der Justiz. Mit dem Urteil folgte das Gericht dem Antrag der Anklage. Bei dem Attentat kamen 15 Menschen ums Leben; mehr als 300 Personen erlitten Verletzungen. Das autoritär geführte Weißrussland vollstreckt als einziges Land in Europa trotz internationaler Kritik noch die Todesstrafe.