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Welchen Status, welchen Schutz genießt ein Embryo? Die Zukunft der Gentechnologie

31.05.2001
    Remme: Was kann, was darf, was soll der Mensch tun, wenn es um die neuen gentechnischen Möglichkeiten geht, die die Biomedizin in den vergangenen Jahren revolutioniert haben? Die Präimplantations-Diagnostik, die verbrauchende Embryonenforschung, das therapeutische Klonen, das sind zwar einerseits wissenschaftlich hoch komplizierte Prozesse, doch andererseits berühren sie elementare Fragen unseres Menschenbildes, Fragen, die uns aus der politischen Debatte um den Schwangerschaftsabbruch vertraut sind, ohne dass die Antworten darauf leichter geworden sind. Wann beginnt das Leben? Welchen Status, welchen Schutz genießt ein Embryo? Der Bundestag wird sich in einer Grundsatzdebatte mit diesen Problemen heute auseinandersetzen. Die Meinungen gehen quer durch die Fraktionen. Wir wollen heute Morgen zwei Auffassungen hören: zum einen die von Franz Kamphaus, Bischof des Bistums Limburg, und zum anderen von Ernst-Ludwig Winnacker, einer der führenden Genforscher in Deutschland. Er ist Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Guten Morgen Bischof Kamphaus!

    Kamphaus: Guten Morgen Herr Remme.

    Remme: Herr Kamphaus, Sie haben sich in einem offenen Brief an die Bundestagsabgeordneten Ihres Bistums gewandt und vor den Gefahren gewarnt. Warum dieser für Sie ungewöhnliche Schritt?

    Kamphaus: Wenn es ums Leben geht, dann steht einiges auf dem Spiel, erst recht wenn es ans Leben geht. In diesem Fall ist es so, dass es ans Leben, an die Grundlagen des menschlichen Lebens geht. Darum bin ich diesen ungewöhnlichen Weg gegangen in einer ungewöhnlichen Situation in einer nicht alltäglichen Debatte, wie sie heute im Bundestag geführt wird.

    Remme: Bischof Kamphaus, welche Gefahren sehen Sie konkret?

    Kamphaus: Ich sehe konkret und an erster Stelle die Gefahr der Selektion, dass bestimmte Menschen von vornherein ausgesiebt, ausgelesen werden. Selektion der Schwachen. Man sagt immer - und das ist ja auch richtig und gut -, dass es darum geht, Krankheiten zu bekämpfen. Mit Nachdruck ja! Da bin ich also voll dafür. Es ist aber ein Unterschied, ob man die Schwächen und Krankheiten eines Menschen angeht, oder ob man sozusagen frontal die Schwachen angeht. Mir scheint, dass diese Diskussion und vor allen Dingen die Praxis, um die es in der Präimplantations-Diagnostik geht, doch zumindest die große Gefahr hat, dass wir die Schwachen aussortieren. Es kann nicht sein, dass wir uns mehr und mehr in vielen gesellschaftlichen Bereichen zu einer Gesellschaft der Starken entwickeln, in der die Schwachen keinen Platz mehr haben. Die Schwachen sind zum Beispiel die Behinderten.

    Remme: Bischof Kamphaus, die meisten Frauen, so schreiben Sie, seien inzwischen nicht mehr guter Hoffnung, sondern voller Ängste. Glauben Sie das wird sich wieder ändern, wenn man die neuen Möglichkeiten verbietet?

    Kamphaus: Das Verbot ist eine Sache. Mir scheint es am wichtigsten zu sein: Ich habe gerade gestern mit einer Frau gesprochen, die mit 35 Jahren schwanger geworden ist und jetzt in der Situation steht zu überlegen, was wird. Natürlich ist sie vom Arzt auf die Pränatal-Diagnostik hingewiesen worden und jetzt wartet sie, was ist das Ergebnis. Das ist genau die Situation, nicht mehr guter Hoffnung zu sein, sondern voller Angst und Sorge. In einer Gesellschaft der Perfekten setzt man sich gegenseitig unter Druck, dass auch nur noch perfekte Menschen auf die Welt kommen sollen, und das sind wir nun mal nicht. Wir haben Schwächen, Einschränkungen, Behinderungen. Eine Gesellschaft, die das nicht wahrnimmt, die die andere Seite, die Schwachen nicht wahrnimmt, ist im Grunde nicht stark, sondern schließlich halbstark, weil sie eine Hälfte der Gesellschaft einfach ignoriert beziehungsweise aussortieren will.

    Remme: Für wie stark halten Sie denn das Argument, mit PID könne man spätere Abtreibungen im Vorfeld verhindern?

    Kamphaus: Man muss den grundsätzlichen Unterschied zwischen einem Schwangerschaftsabbruch später und dem, was hier sozusagen am Anfang geschieht, erkennen. Schwangerschaftsabbruch ist nach meiner festen Überzeugung so oder so abzulehnen, auch später. Hier wird der Schwangerschaftsabbruch - und das verschärft die Situation - sozusagen zu einem technischen Vorgang, in dem der Mensch nicht mehr unmittelbar mit dabei ist wie eine Mutter, die ihr Kind abtreibt, sondern es ist ein technischer Vorgang, Gentechnik im Reagenzglas. Das ist das schlimme und das ist auch das unterschiedliche in diesem Vergleich.

    Remme: Ihr Brief, Bischof Kamphaus, war an alle Abgeordneten des Bistums gerichtet. Sehen Sie die C-Parteien in einer besonderen Verantwortung?

    Kamphaus: Auf jeden Fall, wenn man den Anspruch ernst nimmt, dass man sich auf die christliche Tradition und auf Jesus Christus beruft. Wer sich auf ihn beruft, der kann das nur überzeugend tun, wenn er sich auf die Seite der Schwachen stellt. Ob das mit der christlichen Partei verbunden ist, das wird man prüfen, aber insofern ist dies auch ein Prüfstein, wie christlich denn die christliche Partei ist, ob sie sich einseitig auf die Seite der Starken stellt oder ob sie Partei ergreift für die Schwachen.

    Remme: Vielen Dank! - Das war Franz Kamphaus, der Bischof des Bistums Limburg, und mitgehört hat Ernst-Ludwig Winnacker. Er ist Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Guten Morgen Herr Winnacker!

    Winnacker: Guten Morgen.

    Remme: Herr Winnacker, möchten Sie vielleicht auf einen Aspekt, der Ihnen im Gespräch mit Bischof Kamphaus besonders wichtig erschien, direkt antworten?

    Winnacker: Das ist für einen Wissenschaftler nicht so einfach. Ich nehme oder wir Wissenschaftler nehmen eigentlich für uns in Anspruch, Partei für die Schwachen zu nehmen, genauso wie Herr Bischof Kamphaus. Wenn wir uns zum Beispiel für die Forschung an embryonalen Stammzellen eingesetzt haben, dann doch nur deshalb, weil wir erkennen, dass es inzwischen anders als noch vor zwei Jahren Fortschritte der Wissenschaft gibt, vor denen ich die Augen nicht mehr verschließen kann und die uns auch dazu gebracht haben vorzuschlagen, dass man solche Forschungen, die ja zunächst keine medizinischen Anwendungen besitzen, durchführt.

    Remme: Wollen wir auf diesen Kurswechsel noch einmal näher eingehen. Sie haben es gesagt, Sie haben vor einem Jahr noch gegen die Forschung an embryonalen Stammzellen Stellung genommen, haben diese Haltung revidiert. Können Sie noch einmal erläutern, warum dies so ist?

    Winnacker: Es gibt seit drei Jahren in den USA, aber auch anderswo sogenannte embryonale Stammzellen. Das sind Zellen, die das Potenzial haben, nicht ein ganzer Mensch zu werden, aber sich in geeigneter Umgebung in alle Zelltypen des Menschen umwandeln zu können. Die gibt es lange schon in der Maus. Die konnte man im Menschen lange nicht herstellen. Die muss man nämlich durch Tötung von Embryonen herstellen. Das ist völlig richtig, das muss man auch offen sagen. Das ist in Deutschland nach dem Embryonenschutzgesetz verboten, was ich auch für ein gutes Gesetz halte. Nun haben wir in der wissenschaftlichen Literatur beobachtet - und dahinter steht auch sehr viel internationale Wissenschaft -, dass es eben auf diesem Gebiet eine Weiterentwicklung gegeben hat. Während wir vor zwei Jahren noch der Meinung waren, dass diese Entwicklungen und die Versprechen, die dahinter stehen, keine Bedeutung haben, und es damals auch nicht adäquat war, an eine solche sensible Frage auch in der Öffentlichkeit heranzugehen, hat sich die Situation in den letzten Monaten dermaßen verändert. Es gibt manchmal Zeiten in der Wissenschaft, wo es explodiert.

    Remme: Aber sieht es denn danach aus, dass diese Zeiten vorbei gehen, denn mir scheint gerade die Revision dieser Haltung ein weiteres Indiz dafür zu sein, dass es eben immer so weiter gehen wird und diese Grenzen weiter verschoben werden?

    Winnacker: Selbstverständlich wird es weiter gehen. Das ist gar keine Frage. Das wichtige ist aber, dass es transparent und kontrolliert weiter geht, dass wir nicht einfach irgend etwas tun, was irgendwo weltweit von irgend jemandem gesagt wird, sondern dass wir ein transparentes Verfahren entwickeln, das auch der Öffentlichkeit bekannt gemacht wird - das haben wir ja auch der Öffentlichkeit weiß Gott bekannt gemacht - und in dem man sieht, was man tun will. Ich glaube, man muss einmal ganz klar sagen: Wir wollen gar keine Embryonen verbrauchen. Wir wollen auch keine Embryonen für die Forschung herstellen. Das sind große Missverständnisse. Es gibt in Deutschland menschliche Embryonen, die aus verschiedensten Gründen keinerlei Lebenschancen mehr besitzen, die andernfalls beseitigt werden. Dort gibt es dann den Vorschlag, solche Zelllinien daraus zu entwickeln, im Inn- oder im Ausland. Wir sind längst nicht die ersten auf diesem Gebiet und wir haben uns eigentlich davon überzeugt, dass das ein vernünftiger Weg ist. Um noch einmal auf den Herrn Bischof zurückzukommen: Wir leben eigentlich in einer ganz anderen Gesellschaft, als sie sich auch der Bundespräsident vorgestellt hat. Es gibt in Deutschland 180000 Schwangerschaftsabbrüche. Es gibt 80000 Ehepartner, denen man die künstliche Befruchtung schon seit 20 Jahren anbietet. Wenn man das alles macht, dann kann man nicht allen Ernstes diesen Ehepaaren und diesen Frauen verbieten, den Test auf eine schwere Erbkrankheit zu machen, um sie dann nachher in der pränatalen Diagnostik oder durch Abtreibung wiederum zu beseitigen. Das sind viele Widersprüche, die ich als Wissenschaftler nicht tragen kann, zumal das gar nichts mit Selektion zu tun hat. Das ist glaube ich ein Missverständnis. Die Selektion setzt sehr viel früher ein. Die Selektion setzt im Stadium ein, wo man diese künstliche Befruchtung zulässt und damit weite Kreise der Bevölkerung, die an sich nicht in der Lage wären, sich fortzupflanzen, nun doch in die Lage versetzt, dies zu tun.

    Remme: Herr Winnacker, wenn Sie einen PID-Test durchführen und ein Elternpaar entscheidet sich nach diesem Test aufgrund des Resultates für oder gegen das Baby, was ist das anderes als eine Selektion?

    Winnacker: Wenn sie es drei Wochen später nach der Einnistung durch pränatale Diagnostik auch tun? Die Leute machen das ja nicht aus Spaß an der Freude. Das ist ja kein einfacher technischer Vorgang, wie auch immer gesagt wird. Diese künstliche Befruchtung ist eine große Belastung für die Beteiligten. Das macht man nicht einfach so, sondern das macht man nur, weil man ganz gute Gründe dafür hat, weil sie sonst keine Kinder bekommen oder diese schwere Erbkrankheiten haben. Der perfekte Mensch, von dem immer die Rede ist, das ist ohnehin Unsinn, aber es gibt eben ein paar Krankheiten, die man diagnostizieren kann und die man anschließend in einem Schwangerschaftsabbruch ganz legal auch beenden dürfte. Insofern ist das für mich kein Widerspruch.

    Remme: Vielen Dank! - Das war Ernst-Ludwig Winnacker, der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft. Davor führten wir ein Gespräch mit Franz Kamphaus, dem Bischof des Bistums Limburg.

    Link: Interview als RealAudio