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Wellness am Riff

Zoologie.- Kneten, Walken, Streichen: Nach einer Massage sind wir Menschen meist eines besonders: entspannt. Doch auch Säugetiere mögen diesen angenehmen Körperkontakt – das ist bekannt. Nun aber haben Schweizer Forscher herausgefunden, dass sogar bei Fischen eine Massage beruhigend wirkt.

Von Sabine Goldhahn | 01.12.2011
    Eigentlich müsste der braun gestreifte Doktorfisch mit den vielen orangen Punkten am Kopf unter Stress stehen. Statt im Korallenriff schwimmt das über 20 Zentimeter große Exemplar in einem engen Wasserbecken im Labor. Doch er scheint weder unruhig noch verstört, sondern trudelt wohlig im Wasser und wirkt völlig entspannt. Hier in seinem Aquarium kann er sich nämlich eine Massage abholen: von einem künstlichen schwarz blau gestreiften Putzerfisch, der an Kabeln im Wasser hängt. Die fingergroße täuschend echte Attrappe mit Borsten an den Seiten und einem kleinen Schwamm am Bauch kann elektrisch gesteuert werden und bewegt sich dann wie ein echter Putzerfisch. Der Verhaltensbiologe Redouan Bshary von der Universität Neuchâtel erklärt:

    "Hier sieht man jetzt den Doktorfisch, wie er sich schon sehr viel Mühe gibt, um sich so zu positionieren, dass dieses Modell ihn jetzt streichelt."

    Für den Doktorfisch ist das fast wie am Korallenriff. In seiner natürlichen Umgebung sucht er mehrmals pro Tag eine sogenannte Putzstation auf. Diese wird von dem Gemeinen Putzerlippfisch bewohnt, der dem Doktorfisch die Parasiten aus den Schuppen klaubt. Ein Vorteil für beide Seiten. Der Putzerfisch bekommt sein Futter und der Doktorfisch wird sauber. Das geht nicht immer reibungslos.

    "Ab und zu beißt der Putzer und dann reagiert der Kunde ab und zu aggressiv, ab und zu flieht er einfach nur, und dann sieht man eben immer wieder mal, dass der Putzer auf dem Rücken vom Kunden reitet und ihn massiert, mit seinen Brust- und Bauchflossen."

    Diese Streicheleinheiten für den Doktorfisch sind jedoch alles andere als ein reiner Freundschaftsdienst. Es ist ganz offensichtlich Symbiose.

    "Also der Putzerfisch will eigentlich gar nicht streicheln, der will fressen. Das heisst, das Streicheln für ihn ist wirklich eine Extraarbeit, die er gerne vermeiden würde. Und nur, wenn der Putzer was falsch gemacht hat, dass er zum Beispiel den Kunden gebissen hat, oder wenn der Kunde eigentlich gar nicht zum Putzer will, dann kriegt er eine Streicheleinheit, damit er vielleicht anhält."

    Nur für Raubfische macht der Putzer eine Ausnahme: die bekommen ihre Massage umsonst.

    "Die Raubfische könnten den Putzer ja auch fressen eventuell, und da muss der Putzer offensichtlich alles tun, um diese Wahrscheinlichkeit zu verringern. Ab und zu eine schöne Massage, das hilft anscheinend, um die Raubfische friedlich zu stimmen."

    Streicheln hilft immer. Das sieht man am entspannten Verhalten der Doktorfische nach der Massage und sogar an ihren Blutwerten. Bshary hat bei den Fischen in seinem Labor das Stresshormon Cortisol untersucht. Jene Doktorfische, die regelmäßig von einem künstlichen Putzer massiert wurden, hatten weniger Cortisol im Blut als solche, die keine Massage bekommen hatten. Umgekehrt haben Fische, die sich nicht unter Stress fühlen, gar kein Interesse, einen Putzer zu besuchen.

    "Wir haben also dieselben Doktorfische hergenommen und dann ein Implantat gemacht, das eine Substanz langsam im Körper verteilt, das die Wirkung von Cortisol blockiert, und dann haben wir eine Woche später eben geschaut, wie sich diese Fische verhalten und haben eben gefunden, dass diese Fische nicht sonderlich daran interessiert sind, zu diesen Putzerstationen zu gehen und geputzt zu werden",

    erklärt der Schweizer Forscher. Jetzt vermutet er, dass der Doktorfisch durch die Parasiten auf seiner Haut unter Stress steht und deshalb zum Putzer geht – um beides loszuwerden. Daher sieht er in der Fischmassage als Anti-Stress-Programm auch grosses Potenzial:

    "Was wir jetzt probieren wollen ist, ob man diese Effekte mit der Stressreduzierung bei Fischen findet, die eben keinen Putzerfisch nebendran haben, der ihnen so was regelmäßig gibt, und vor allen Dingen halt mit Fischen, die kommerziell interessant sind für den Aquariumhandel und auch für Fischzuchten fürs Essen."