Freitag, 29. März 2024

Archiv

Welt-Aids-Konferenz
"Aids zu beenden, ist sehr schnell umsetzbar"

Mit dem nötigen Geld und Kraft könne die Zahl der Aids-Erkrankungen stark gesenkt werden, sagte Holger Wicht, Sprecher der Deutschen Aids-Hilfe, im DLF. Ein Ende der HIV-Epidemie bis 2030 sei aber utopisch.

Holger Wicht im Gespräch mit Sandra Schulz | 21.07.2014
    Holger Wicht, Sprecher der Deutschen Aids-Hilfe
    Holger Wicht, Sprecher der Deutschen Aids-Hilfe (picture alliance / dpa - Deutsche Aidshilfe)
    In den vergangenen Jahren seien enorme Fortschritte gemacht worden in der Medizin, sagte Wicht. "Viele Millionen HIV-Infektionen werden verhindert, weil Menschen diese Therapien bekommen." Derzeit seien die Wissenschaftler allerdings "ein bisschen desillusioniert", seit bei einem ursprünglich als geheilt geltenden Baby wieder HI-Viren nachgewiesen werden konnten. "Die Heilungsforschung hat einen kleinen Dämpfer erhalten."
    Die große politische Botschaft der Welt-Aids-Konferenz sei, dass sich die Präventionsarbeit ändern müsse. Die größten Risikogruppen - homosexuelle Männer, Drogenabhängige und Sexarbeiter - bekämen die schlechteste Prävention, beklagte Wicht. Positiv sei, dass die Zahl der Aids-Kranken und -Toten im südlichen Afrika zurückgehe. "Wir sehen, dass die Maßnahmen greifen". Sie müssten nun nur noch stärker angewandt werden. Wicht betonte, um die Zahl der HIV-Infektionen zu senken, sei neben Prävention auch Antidiskriminierungsarbeit notwendig. Ein Grund, weshalb Deutschland im Vergleich zu den Nachbarländern gut dastehe bei den Neuinfektionen sei, dass HIV kein Tabu sei.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Dieser Auftakt war nicht geplant. Gewünscht hat ihn sich auch niemand. Auch auf der Internationalen Aids-Konferenz in Melbourne ist die Trauer um die knapp 300 Opfer des Flugzeugabsturzes über der Ukraine präsent, denn unter ihnen waren mehrere Delegierte der Konferenz. Ihrer haben die Teilnehmer in einer Schweigeminute gedacht, natürlich auch der anderen Opfer. Ursprünglich will die 20. Welt- Aids-Konferenz einen anderen Ton treffen. Der Exekutivdirektor der UN-Organisation UN-Aids formuliert eine ausgesprochen zuversichtliche Vision. Er sagt, bis 2030 könne die Epidemie beendet sein. Wie zuversichtlich das ist, das zeigt allein eine Zahl: Im vergangenen Jahr starben weltweit anderthalb Millionen Menschen an Aids. - Das weiter einzuordnen, dabei hilft uns jetzt Holger Wicht. Er ist Sprecher der Deutschen Aids-Hilfe und wir erreichen ihn im Konferenzzentrum in Melbourne. Guten Morgen.
    Holger Wicht: Guten Morgen!
    Schulz: Ein Ende der Epidemie bis 2030, ich habe es gerade zitiert, ist das wirklich realistisch?
    Wicht: Ja solche Zahlen muss man mit ein bisschen Vorsicht genießen. Das sind politische Ziele, die ausgerufen werden. UN-Aids macht das, die Aids-Organisation der Vereinten Nationen, die WHO macht das auch häufiger. Das wird gemacht, um Druck aufzubauen und um alle Länder in die Verantwortung zu nehmen zu sagen, wir können das schaffen, wir können noch viel mehr tun, aber wir müssen jetzt auch wirklich damit beginnen. Das heißt, wirklich voraussagen kann man nicht, ob das möglich sein wird. Es hängt von der Forschung ab, aber es hängt auch ganz massiv davon ab, wie viel Geld Länder geben, wie engagiert sie sind, und wir werden sehen, was dabei herauskommt. Aber auf jeden Fall macht es eine sehr positive Stimmung.
    "Wir können ja heute schon Aids verhindern"
    Schulz: Ein Ende der Epidemie, worüber sprechen wir da überhaupt? Hieße das, dass weltweit kein Mensch mehr an Aids sterben müsste?
    Wicht: Ja das wäre eigentlich das nächstliegende Ziel, denn wir können ja heute schon Aids verhindern. Wenn man rechtzeitig auf HIV getestet wird und dann gegebenenfalls Medikamente bekommt, muss man heute nicht mehr an Aids erkranken, jedenfalls nicht, wenn man sich erst vor relativ kurzer Zeit infiziert hat. Das heißt, Aids zu beenden ist eigentlich sehr schnell umsetzbar, wenn man entsprechend Geld und Kraft investiert. Das Ende der HIV-Epidemie hat der Michel Sidibé von UN-Aids gestern ins Auge gefasst und gesagt, lasst uns das bis 2030 schaffen. Das würde wirklich heißen, niemand infiziert sich mehr und Menschen, die es bereits haben, sind so gut therapiert, dass sie nicht mehr erkranken. Das ist ein hochgestecktes Ziel und ich würde sagen, es ist tatsächlich ein bisschen utopisch, aber es lohnt sich, so einen Fixstern, so einen Leitstern sich zu setzen.
    Schulz: Und welche von den Säulen, die Sie da ansprechen, ist wichtiger, tatsächlich die Behandlung Infizierter, oder die Vorbeugung?
    Wicht: Es ist beides unabdingbar. Wir haben enorme Fortschritte erlebt in der Medizin in den letzten Jahren und Jahrzehnten und wir wissen heute, dass die Medikamente gegen HIV auch die Übertragung verhindern. Das heißt, viele Millionen HIV-Infektionen werden verhindert, weil Menschen diese Therapien bekommen. Die Zahl der Menschen, die diese Therapien bekommen, ist enorm gestiegen. Deswegen sinkt die Zahl der Neuinfektionen.
    Wir wissen aber auch, dass das niemals ausreichen kann, denn viele Infektionen finden statt, wenn Menschen selbst noch gar nicht wissen, dass sie HIV-positiv sind und das Virus übertragen können. Das heißt, wir brauchen beides, die Therapie für alle, die sie brauchen, und auf der anderen Seite eine HIV-Prävention vor allem für die Gruppen, die am stärksten betroffen sind: schwule Männer, Drogenkonsumenten, Menschen, die Heroin spritzen zum Beispiel, Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter und so weiter. Da haben wir das Problem, das hat die Weltgesundheitsorganisation WHO vor ein paar Tagen gerade noch mal deutlich gemacht, dass genau diese Gruppen weltweit eigentlich die schlechtesten Präventionsangebote bekommen, obwohl sie das größte Risiko haben. Da muss sich dringend was ändern und das ist die große politische Botschaft dieser Konferenz hier.
    "Täglich kleine Schritte nach vorne"
    Schulz: Und die Aids-Forschung und die neuen Ergebnisse - das haben Sie gerade schon angesprochen -, die Befunde waren da zuletzt ja etwas durchwachsen. Würden Sie so weit gehen zu sagen, eine HIV-Infektion ist heilbar?
    Wicht: Das kann man auf keinen Fall sagen bisher. Was wir erlebt haben in den letzten Jahren, sind enorme Fortschritte in der Heilungsforschung, sodass wir erstmals nach all den Jahrzehnten sagen konnten, Heilung können wir uns vorstellen. Es könnte sein, dass wir das alle noch erleben. Jetzt hat diese Forschung einen kleinen Dämpfer bekommen. Es gab ja dieses vermeintlich geheilte Baby in den USA, das Mississippi-Baby, das sehr kurz nach der Geburt therapiert worden war, als man herausgefunden hatte, dass es HIV-positiv ist, und dann hat es eine ganze Zeit lang später ohne Therapie leben können und man dachte, es sei geheilt. Nun wurde vor kurzer Zeit gemeldet, dass es doch wieder HIV im Blut dieses Babys gibt. Es ist wieder nachweisbar, das Virus vermehrt sich wieder. Das heißt, die Heilungsforschung hat einen kleinen Dämpfer bekommen. Trotzdem gibt es hier eine Fülle von Wissenschaftlern, die hier ihre Projekte vorstellen und die täglich kleine Schritte nach vorne machen. Es gibt verschiedene Ansätze, die zu einer Heilung beitragen könnten, und alle sind so ein bisschen, man kann vielleicht sogar sagen, desillusioniert. Das wird doch nicht ganz so schnell gehen, wie man gedacht hat. Aber gleichzeitig sieht man auch, dass es weiterhin möglich sein kann, wenn man diese verschiedenen Methoden eines Tages vielleicht kombinieren kann und wenn sie noch ein paar Schritte weiter gekommen sind.
    "Diskriminierung ist der natürliche Feind der HIV-Prävention"
    Schulz: Der Stand heute ist, dass geschätzt 35 Millionen Menschen weltweit HIV-positiv sind. Die allermeisten von ihnen leben ja in Afrika. Gibt es von da auch gute Nachrichten im Kampf gegen Aids?
    Wicht: Ja, gerade in Afrika gibt es seit einigen Jahren sehr gute Nachrichten. Wir sehen nämlich dort, dass die Maßnahmen greifen. Die Therapieprogramme sind ausgeweitet worden. Wir haben heute 14 Millionen Menschen weltweit, die die Medikamente erhalten. Das ist ein ganz enormer Zuwachs. Und die Infektionszahlen sinken in dieser Weltregion im südlichen Afrika und die Zahl der Todesfälle auch. Das heißt, wir wissen, was wirkt, und wir müssen es nur noch stärker zum Einsatz bringen. Ein ganz wichtiges Ziel dieser Konferenz ist, dass das jetzt auch in Ländern zum Beispiel in Zentralasien und Osteuropa begriffen wird. Wir wissen, Diskriminierung ist der natürliche Feind der HIV-Prävention, weil sie dazu führt, dass man Menschen nicht mehr erreicht, ihnen Schutzverhalten nicht erklären kann, wenn man sie ins Abseits drängt. Wenn man Menschen mit HIV diskriminiert und stigmatisiert, dann ist es auch ein Motor der Epidemie, weil es zum Tabu beiträgt und die Menschen nicht mehr darüber reden. Das heißt, die wichtigste Maßnahme - das sieht man in Afrika eben so gut - ist, Medikamente zu kombinieren mit einer sinnvollen Prävention und Anti-Diskriminierungsarbeit. Deswegen haben wir in Deutschland so niedrige Infektionszahlen und wir hoffen, dass Länder von uns lernen.
    Schulz: Wir haben nicht mehr viel Zeit, aber die kurze Frage noch. Sie haben es gerade schon angedeutet. Wie ist denn die Lage in Deutschland?
    Wicht: Die Lage in Deutschland ist recht erfreulich. Es gibt natürlich HIV-Infektionen, ungefähr 3400 pro Jahr, schätzt das Robert-Koch-Institut. Das sind natürlich zu viele. Man würde sich wünschen, jede einzelne davon vermeiden zu können. Aber im Vergleich mit unseren Nachbarländern und anderen westlichen Ländern stehen wir sehr gut da. Wir sind eines der Länder mit den niedrigsten Infektionsraten der Welt überhaupt, und das liegt daran, dass wir diese Präventionsarbeit haben, einerseits für die breite Bevölkerung durch staatliche Organisationen wie die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung und die speziellen Programme, die spezielle Prävention für schwule Männer, Heroinkonsumenten und so weiter durch uns vor allem, also die Deutsche Aids-Hilfe.
    Schulz: Holger Wicht von der Deutschen Aids-Hilfe live von der Welt-Aids-Konferenz in Melbourne und hier heute in den „Informationen am Morgen". Haben Sie herzlichen Dank dafür.
    Wicht: Ganz herzlichen Dank nach Deutschland.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.