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Welt-Braille-Tag
Hilfen und Hürden für blinde Studierende

Ohne Schrift ist ein Studium fast unvorstellbar - das gilt auch für blinde Menschen. Sie nutzen häufig die Braille-Schrift, eine tastbare Punktschrift, die auch in der digitalen Welt ein wichtiges Hilfsmittel geblieben ist.

Von Elisabeth Gregull | 04.01.2018
    Mit einer Braillezeile und einem Smartphone, mit Kopfhörern verbunden, arbeitet Thomas Kahlisch, Präsidiumsmitglied des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV), am 30.05.2017 in Hannover (Niedersachsen).
    Über Kopfhörer kann Thomas Kahlisch die Sprachausgabe nutzen, über die Braille-Zeile recherchieren und lesen. (dpa / Holger Hollemann)
    "Man kann man sich vorstellen, dass das nicht unbedingt zur Beruhigung in einer Vorlesung beiträgt. Aber früher musste man so mitschreiben ..."
    Thomas Kahlisch denkt an seine Studienzeit zurück. Vor ihm steht eine Blindenschriftmaschine. Sie sieht einer Schreibmaschine sehr ähnlich. Aber sie hat nur sechs Tasten - für die sechs Punkte des Braille-Alphabets. Mit der Maschine kann er die Buchstaben auf Papier prägen - und das macht Krach.
    Thomas Kahlisch hat Informatik studiert und war wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Dresden. Heute ist er Professor und Direktor der Deutschen Zentralbücherei für Blinde (DZB) in Leipzig. An seinem Schreibtisch demonstriert er, wie die Digitalisierung ihm das Arbeiten erleichtert. Neben dem Computer stehen Lautsprecher für die Sprachausgabe, vor der Tastatur liegt eine sogenannte Braille-Zeile.
    "Man hört die Sprachausgabe recht schnell sprechen und wenn ich jetzt schreibe: 'Hallo, dies ist ein Test.' Dann habe ich etwas geschrieben, das kann ich jetzt noch mal alles mit den Fingern nachlesen: 'Hallo, dies ist ein Test.'"
    Thomas Kahlisch, Präsidiumsmitglied des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV), bedient sein Smartphone mit einer Braillezeile
    Thomas Kahlisch, Präsidiumsmitglied des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV), bedient sein Smartphone mit einer Braillezeile (dpa / Holger Hollemann)
    Läuft der Cursor über den Bildschirm, wird der Text vorgelesen. Gleichzeitig steuert der Computer kleine Stifte auf der Braille-Zeile an und schiebt sie hoch. So entstehen die Braille-Buchstaben und Thomas Kahlisch kann den Bildschirminhalt mit den Fingern lesen. Die Sprachausgabe allein sei für Schule, Ausbildung und Studium zu flüchtig, meint er:
    "Eine Mathematikaufgabe nur mit Sprachausgabe zu lösen, ist sehr mühsam. Oder stellen Sie sich vor, Sie wollen eine Fremdsprache lernen, ohne sich die Buchstaben aneignen zu können."
    Dann greift Kahlisch zu seinem Smartphone.
    "Was ich berühre, spricht mit mir. Und man hat ja viele Apps oder Objekte, die man auf dem Bildschirm berühren kann ..."
    Er nimmt eine kleine, mobile Braille-Zeile mit Schreibtasten zur Hand und verbindet sie mit dem Smartphone:
    "Bedienungshilfe - Braille-Schrift - Braille-Lex - Voice Over ..."
    Dann hat er alles, was er unterwegs braucht: Über Kopfhörer kann er die Sprachausgabe nutzen, über die Braille-Zeile recherchieren und lesen. Und heute würde er seine Kommilitonen mit seinen Notizen nicht mehr stören:
    "Damit könnte ich also auch einen Text schreiben. Leise schreiben."
    Auch E-Books müssen barrierefrei sein
    Digitale Hilfsmittel ermöglichen blinden Studierenden ein selbstständiges Studium. Aber dafür müssen Lehrmaterialien barrierefrei angelegt sein. Das gilt auch für Websites und E-Books. Sarah Bohnert ist frisch von der Uni an die DZB gekommen. In ihrer Masterarbeit hat sie sich mit Barrierefreiheit bei E-Books beschäftigt:
    "Je komplexer die Strukturen eines Buches sind, umso schwieriger ist die barrierefreie Aufbereitung. Das heißt also, in der Regel ist Fachliteratur etwas anspruchsvoller."
    Wichtig sind unter anderem eine logische Lese-Reihenfolge, klare Überschriften und beschreibende Texte für Grafiken. Sarah Bohnert betreut in der DZB die Entwicklung eines Online-Tools, mit dem Verlage prüfen können, ob ihre E-Books barrierefrei sind. Dafür gibt es international einen Standard, das sogenannte EPUB-3-Format:
    "Wir wollen die Verlage unterstützen dabei, barrierefreie Inhalte aufzubereiten."
    Digitalisieren und drucken
    Die DZB überträgt auch Bücher in Braille-Schrift. Die Vorlage wird digitalisiert und in der hauseigenen Druckerei produziert. Dieser Prozess ist aufwendig und dauert rund ein Jahr. E-Books sind gerade deswegen eine wichtige Alternative für blinde Studierende - zumal wissenschaftliche Literatur im digitalen Zeitalter schnell veraltet:
    "Ein Jahr, bis ein Fachbuch beim Endnutzer ankommt, ist unter Umständen viel zu lang, weil die Entwicklung viel schneller voranschreitet, als das Buch produziert werden kann."
    Thomas Kahlisch lehrt an der Universität und HTWK Leipzig in den Bereichen Medien, Kommunikation und Buchwissenschaften. Sein Thema: die barrierefreie Aufbereitung von Informationen. Wird sie von Anfang an mitgedacht, müssen Hürden nicht im Nachhinein aufwendig abgebaut werden. Für blinde Studierende sei ein Zugang über die Braille-Schrift dabei zentral, betont er:
    "Das reine Hören reicht nicht aus, um sich Informationen intensiv zu erschließen. Ohne Schrift geht das nicht. Und da ist die Braille-Schrift die Schrift blinder Menschen."