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Welt der Selbstbildnisse

Als der italienische Kunsthistoriker Omar Calabrese das Angebot bekam, eine umfassende Einführung zum Thema des Selbstbildnisses zu schreiben, versuchte er eine ebenso zugängliche wie anspruchsvolle Lösung zu finden. Der Balanceakt ist ihm gelungen.

Von Volkmar Mühleis | 06.11.2006
    Es ist kein einfacher Weg, um in Italien ein Kunstbuch zu veröffentlichen. Während in Deutschland und Großbritannien das opulent gestaltete Übersichtswerk "Die Geschichte des Selbstporträts" von Omar Calabrese nun erschienen ist, kann man im Heimatland des Kunsthistorikers den Band nicht erwerben, obwohl der Text zunächst auf Italienisch verfasst wurde. Dass es sich dabei um keinen Einzelfall handelt, erklärt der renommierte Professor an der Universität von Siena mit durchaus gemischten Gefühlen:

    "Im Original liegt das Buch leider nicht vor. Das hat vor allem mit der wirtschaftlich schlechten Lage in Italien zu tun. Es gibt zu wenige Käufer für aufwendig gedruckte Kunstbücher. Wenn hier ein Bildband produziert wird, dann allein von Seiten der Banken, die solche Bücher gern zu Weihnachten an ihre Geschäftspartner verteilen oder auch Wissenschaftlern zur Verfügung stellen. Der italienische Buchmarkt ist ein Alptraum: Auf jedes in Italien verkaufte Buch kommen fünf verkaufte Exemplare in Frankreich, sieben in Deutschland oder zehn in England. Bei uns erscheinen jährlich 90.000 Titel, aber gekauft werden nur 6 Millionen Bücher im Jahr, was verschwindend gering ist im Vergleich mit anderen Ländern."

    Die Tugend einer solchen Not liegt im internationalen Austausch italienischer Kunstwissenschaftler. Omar Calabrese ist Teil einer Gruppe von Forschern in Frankreich, Italien und den USA, die ausgehend von historischen Kunsttheorien einzelne Werke untersuchen. Als er das Angebot bekam, eine umfassende Einführung zum Thema des Selbstbildnisses zu schreiben, versuchte er eine ebenso zugängliche wie anspruchsvolle Lösung zu finden für ein populäres Buch auf hohem Niveau. Der Balanceakt ist ihm hervorragend gelungen, auch mag man sich fachlich vielleicht über die ein oder andere Einschätzung streiten, doch in Abwandlung einer Redensart gilt natürlich auch in der Wissenschaft: Streiten - sprich Interpretieren - gehört zum Geschäft. Wie hat also Calabrese sein Buch konzipiert? Darf man bei dem Titel "DieGeschichte des Selbstporträts" schlichtweg einen chronologischen Überblick erwarten?

    "Der Titel verrät eigentlich mehr über die Mentalität in den Ländern, wo das Buch erschienen ist. In Deutschland spricht man eher von der Kunstgeschichte, weshalb der Verlag den Titel 'Die Geschichte des Selbstporträts' bevorzugte. In Frankreich dagegen behält man die Kunstgeschichte den Museen vor und betrachtet begleitende Veröffentlichungen als Interpretationen, weshalb mein Buch dort als eine Analyse betitelt wurde, 'Die Strukturen des Selbstporträts', was mir persönlich, ehrlich gesagt, lieber ist. Selbstverständlich gehe ich auf die zeitlichen Veränderungen mit Blick auf das Selbstbildnis ein, doch ich bin froh, dass auch in der deutschen Ausgabe meine elf GHrundkategorien hierzu als inhaltliche Abfolge beibehalten wurden."

    Diese elf Grundkategorien erwachsen aus der Ansicht, dass zum einen Kunst rein visuell sich bereits ausreichend selbst thematisieren kann und zum andern, dass nichtsdestoweniger Methoden der Erzählweisen, der Zeichentheorie und der kognitiven Psychologie diesen visuellen Gehalt verdeutlichen vermögen. Anstatt die Gliederung selbst zu skizzieren, sei hier nur auf einige Beispiele dieser durchgängig flüssig geschriebenen und stets auch jeden theoretischen Schritt erklärenden Darstellung verwiesen: So bilden eine Reihe zu erwartender Themen mehrere Schwerpunkte, etwa die ersten Künstlersignaturen als Selbstverweis der Maler oder die Rolle es Spiegels für das Selbstporträt, aber auch weniger vertraute werden vorgestellt, wie etwa Selbstporträts von Malerinnen seit dem 16. Jahrhundert. Zu einer der faszinierendsten Künstlerinnen, Sofonisba Anguissola, meint der Autor:

    "Sie war eine der ersten selbstbewusst auftretenden Künstlerinnen, zusammen mit Catharina van Hemessen in Deutschland. Während van Hemessen jedoch einer Künstlerfamilie angehörte, war Sofonisba Anguissola eine Adelige. Malerei galt auch im 16. Jahrhundert noch vielerorts als Handarbeit und einer Adeligen nicht würdig, also brach sie mit ihrer Familie. Sie hatte sehr gute Lehrer, und aufgrund ihrer Kontakte wusste sie sich als Porträtistin an königlichen Höfen zu etablieren, zum Beispiel in Spanien. Als Künstlerin und Frau war sie jedoch gezwungen, ein Doppelleben zu führen. So heiratete sie aus Gründen der Etikette einen sizilianischen Adeligen, aber sie hat ihn kaum gesehen. Stattdessen arbeitete sie fortwährend an ihren Gemälden in Neapel oder Paris."

    Angesichts des diesjährigen Rembrandt-Jubiläums zu seinem 400. Geburtstag, ist natürlich auch ein Blick auf den Maler der meisten Selbstportraits interessant, und wie der italienische Kunsthistoriker diese umfangreiche Produktion bewertet. Die Meinungen darüber gingen jedenfalls auch in diesem Jahr wieder auseinander. Traditionell glaubte man darin eine Seelenerkundung des niederländischen Meisters zu erkennen, hat er sich doch sein Leben lang stets von neuem seinem eigenen Gesicht zugewandt. Dem entgegen gibt es auch nüchterne Sichtweisen: Rembrandt habe eher seinen Status als Maler festhalten wollen, von romantisch verklärten Psychologisierungen solle man sich fernhalten. Omar Calabrese hält jedoch an der psychologischen Interpretation der späten Selbstporträts fest:

    "Ich kenne die Debatte, gerade wie sie in den Niederlanden hierzu geführt wird. Dass ich mich dennoch dafür entschieden habe, Rembrandt unter die psychologischen Selbstporträts zu fassen, hat allein mit seinem Spätwerk zu tun. Natürlich, zu Anfang hatte er vielleicht nicht immer das Geld, um ein Model zu bezahlen, also malte er sich auch selbst. Und mit dem ersten Reichtum wollte er ebenfalls seinen Ruhm darstellen. Nach seinem Bankrott jedoch gab es keine Statusgründe mehr. Und ein Jahr vor seinem Tod hat er einem Selbstporträt einen Brief an seinen Sohn Titus beigefügt, in dem steht: In den letzten Jahren habe ich versucht zu verstehen, wer ich bin, und nur eines habe ich entdeckt - bereits tot zu sein."

    Calabreses "Geschichte des Selbstporträts" ist somit ein thematischer Gang durch die Welt der Selbstbildnisse, in der zeitlichen Reihenfolge, wie sich die von ihm als zentral erachteten Schwerpunkte herauskistallisiert haben. Dabei bietet er auch in den meisten Kapiteln stets Ausblicke bis in die Gegenwart, wenn er Ironisierungen des Selbstporträts von Daniel Spoerri oder Meret Oppenheim miteinbezieht und die Kritik der Repräsentation in der modernen Kunst behandelt. Was stellt das Bild einer Person eigentlich dar und was auch nicht? Von der Antike bis ins 20. Jahrhundert breitet Omar Calabrese seine Sichtweise des Selbstportraits aus, überaus bilderreich, was das Buch tatsächlich zu einer Augenweide macht, im genussvollen wie auch im mitunter bedenklichen Sinn, ganz danach, worauf man achtet: Viele Leser werden sich an den eleganten graphischen Auflösungen und zahlreichen Bildausschnitten erfreuen, manche Wissenschaftler werden sich dagegen fragen, warum viele Bilder nicht überssichtlich im Ganzen, sondern oft angeschnitten oder randlos über die volle Seite abgedruckt wurden. Das Buch lädt so zwar sehr abwechslungsreich zum Schmökern ein, zugleich jedoch auch weniger zum kritischen Betrachten. Aber solang es sich immer noch siebenmal mehr verkaufen sollte, als wie in Italien überhaupt nicht zu erscheinen, ist einem jede animierende Grafik herzlich willkommen.