Dienstag, 16. April 2024

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Welt-Workaholic-Tag
Hungrig nach Anerkennung

Der Drang nach Karriere und Anerkennung im Beruf treibt viele Menschen in die Arbeitssucht. Die Folgen: wenig Privatleben, keine Hobbys, keine Freunde. Forscher gehen von bis zu 500.000 Betroffenen in Deutschland aus. Tendenz steigend.

Von Astrid Wulf | 05.07.2016
    Eine Frau sitzt an ihrem Schreibtisch in der Frankfurter Börse und stützt den Kopf mit der Hand ab.
    Öfter mal "Nein" sagen: Immer mehr Arbeitnehmer sind im Beruf gestresst. (dpa/picture alliance/Frank Rumpenhorst)
    "Ich denke, ich arbeite zu viel, aus den organisatorischen Gegebenheiten heraus. Dass ich alleine bin, und dementsprechend keiner das tut, was ich liegenlassen würde. Von daher sagen meine Frau und meine Kinder schon, du arbeitest zu viel und bist in Richtung Workaholic."
    "Unser Sohn, Schwiegertochter, arbeiten ohne Ende. Tun mir auch leid – noch geht’s, sie sind jung. Die Frage ist, wie lang man es durchhält und ob es das wert ist"
    "Ich war so ein großer Workaholic, dass ich mich nur noch über die Arbeit und die Leistung definiert habe. Als ich dann gesundheitliche Probleme hatte, ging gar nichts mehr. Das ging bis zum Burnout."
    Nur wenige Überstunden werden bezahlt
    Die Deutschen arbeiten viel. Häufig mehr, als sie laut ihrer Arbeitsverträge müssten. Studien zufolge machen 64% aller Arbeitnehmer regelmäßig Überstunden, nur 42% davon werden bezahlt oder anders ausgeglichen. Warum man trotzdem soviel ackert, kann viele Gründe haben. Finanzieller Druck, man ist selbständig oder kann im Büro einfach nicht nein sagen, wenn der Chef einem noch ein paar Projekte auf den Tisch packt. Ein Teil dieser Vielarbeiter ist allerdings Workaholic im eigentlichen Sinne – süchtig nach Arbeit, sagt Dirk Schippel, psychotherapeutischer Coach in Lübeck.
    "Man schätzt zwischen 300 und 500.000, es gibt natürlich eine hohe Dunkelziffer, man schätzt dass in Deutschland zwischen 800 Millionen bezahlte Überstunden anfallen."
    Workaholism, also Arbeitssucht, ist keine anerkannte Suchterkrankung wie Alkoholismus zum Beispiel, die Symptome ähneln sich aber. Die Betroffenen arbeiten viel, obwohl sie wissen, dass es ihnen nicht gut tut, das Pensum wird immer höher, es gibt sogar Entzugserscheinungen. Ein ruhiges Wochenende? Undenkbar für den Arbeitssüchtigen. Außerdem rücken nach und nach Familie, Freunde und Hobbys in den Hintergrund. Für viele mag es schwer nachvollziehbar sein, wie man nach Arbeit süchtig werden kann – wie bei jeder Droge spielt allerdings auch hier das Belohnungszentrum im Gehirn eine entscheidende Rolle.
    "Was süchtig macht, ist die Anerkennung, weil im Rahmen der Anerkennung ein Transmitter ausgestoßen wird – Dopamin. Jeder kennt das Glücksgefühl, wenn ich eine Aufgabe bewältigt habe, vielleicht nach Zeit langer Entbehrung, dass ich dieses gute Gefühl habe: Das habe ich geschafft. Und da ist es so, dass das Gehirn bestrebt ist, diese Glücksgefühle zu erhöhen."
    Es gibt zwar vereinzelt das Phänomen des Downshiftings, dass man also zum Beispiel bewusst in Teilzeit wechselt. Besonders für die sogenannte "Generation Y", die in den 80er und 90er geborenen sind Sinnhaftigkeit in der Arbeit und Work-Life-Balance immer wichtiger. Workaholics sind aber nach wie vor verbreitet. Viele von ihnen sind Menschen, die früh gelernt haben, dass man am ehesten Anerkennung bekommt und geliebt wird, wenn man gute Leistungen bringt, sagt Coach Dirk Schippel.
    "Also zum Beispiel ein Vater, der nach einer Schulnote fragt und das Kind hat eine zwei geschrieben, freut sich vielleicht sogar darüber, und der Vater fragt: Und wer hat eine Eins geschrieben?"
    Öfter mal "Nein" sagen
    Immer hungrig nach Anerkennung und dem guten Gefühl, etwas weggeschafft zu haben – Workaholics sind besonders burnoutgefährdet. Wer merkt, dass er schlecht schlafen kann, auch in der Freizeit viel über die Arbeit nachdenkt oder im Urlaub erst mal krank wird, sollte dringend die Notbremse ziehen. Um ein gesundes Arbeitspensum zu finden ist das wichtigste und wohl auch das Schwierigste: Im Job öfter mal "Nein" sagen. Und dann: die Freizeit wieder wichtig nehmen, Freunde treffen und Sport machen, nichts hilft besser gegen Druck im Job:
    "Wir wissen aus der Forschung, dass soziale Kontakte ein wichtiger Entstressor für uns sind, weil ich von meinen eigenen Problemen einfach häufiger mal abgelenkt bin. Und dann zu überlegen: Was hat mir früher mal Spaß gemacht? Sportlich, Freizeitinteressen, und da wieder anzuknüpfen, dann passiert häufig folgendes: dass die Leute weniger Lust haben, zu arbeiten, weil sie diese Gefühle einfach aus anderen Lebensbereichen ziehen können."
    Nicht jeder, der viel und gern arbeitet ist arbeitssüchtig. Wie bei allem sollte man es ganz einfach auch mit der Arbeit nicht übertreiben, sagt der psychotherapeutische Coach Dirk Schippel.
    "Wir wissen aus vielen Studien, dass es ok ist, 40 Stunden zu arbeiten. Aber: wer viel arbeitet und zum Beispiel 25 Überstunden hat, dass es definitiv nicht gesund ist und eher blöd macht."