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Weltdokumentenerbe
Tonprotokolle aus Auschwitzprozess

318 Zeugenaussagen aus dem Auschwitzprozess 1963 bis 1965 in Frankfurt sind auf Tonband erhalten. Die Tonbandprotokolle des ersten Auschwitzprozesses sind jetzt offiziell UNESCO-Weltdokumentenerbe.

Von Ludger Fittkau | 01.11.2017
    In einem vollbesetzten Gerichtssaal steht der Angeklagte Oswald Kaduk.
    Über 300 Zeugen sagten in Frankfurt im ersten Auschwitzprozess unter anderem gegen Oswald Kaduk (stehend) und Victor Capesius (mit dunkler Brille) aus. Die Tonprotokolle sind jetzt Unesco-Weltdokumentenerbe (picture alliance / dpa / Roland Witschel)
    "Das Gericht muss in zwanzig Monaten der Prozessdauer noch einmal im Geiste all die Leiden und die Qualen erleben, die die Menschen dort erlitten haben und die mit dem Namen Auschwitz auf immer verbunden sein werden. Es wird wohl mancher unter uns sein, der auf lange Zeit nicht mehr in die frohen und gläubigen Augen eines Kindes sehen kann, ohne dass im Hintergrund und im Geist ihm die hohlen, fragenden und verständnislosen, angsterfüllten Augen der Kinder auftauchen, die dort in Ausschwitz ihren letzten Weg gegangen sind."
    318 Zeugen, darunter 181 Überlebende von Auschwitz, vernahm Hans Hofmeyer in diesem vom hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer initiierten, großen Strafprozess zum industrialisierten Massenmord in Auschwitz. Alle diese Aussagen sind auf Tonbändern dokumentiert.
    "Weinen Sie nicht. Sie gehen nur baden"
    Auch die Zeugenaussage des Arztes Mauritius Berner aus Siebenbürgen. Er erkennt an der Rampe von Birkenau auf Täterseite den Apotheker Viktor Capesius aus seiner Heimat, den er bittet, seine Kinder aus der Reihe zu holen, in der sie gemeinsam mit seiner Frau stehen und losgehen sollen, zur Gaskammer, wie später klar sein wird. Dieser Rettungsversuch misslingt:
    "Ich begann zu schluchzen. Worauf Dr. Capesius mir auf Ungarisch sagte: 'Weinen Sie nicht. Sie gehen nur baden. Sie werden sie in einer Stunde wiedersehen.' Ich rufe das noch mit lauter Stimme meiner Frau und meinen Kindern nach. Nie habe ich sie wiedergesehen."
    Komitee würdigt Fritz Bauers Verdienst
    Nach langer Zeit konnten sich Opfer in ihrer jeweils eigenen Sprache oder Dialekt zu dem grauenhaften Geschehen äußern. So begründete Dr. Joachim-Felix Leonhard, der Vorsitzende des deutschen Nominierungskomitees für das "memory of the world", die Nominierung der Tonbandprotokolle des ersten Frankfurter Auschwitz-Prozesses zur Aufnahme in das UNESCO-Weltdokumentenerbe.
    Es sei "das große Verdienst des damaligen hessischen Generalstaatsanwaltes Fritz Bauer gewesen, unerschrocken die Aufklärung über die Ermordungen in Auschwitz voranzutreiben und die Ahndung der Taten herbeizuführen. Vor allem ermöglichte der Prozess den Opfern, sofern sie noch lebten, ihre Würde zurückzubekommen, besonders durch die Verurteilung der Täter", so die Begründung des deutschen UNESCO-Nominierungskomitees.
    "Viele, was selbst in das Feuer gesprungen sind"
    Eine besonders schwierige Zeugenbefragung, die der Gerichtsvorsitzende Hans Hofmeyer durchführen muss, ist die Befragung der überlebenden Mitglieder der sogenannten "Sonderkommandos" In Auschwitz-Birkenau. Das sind Häftlinge, die an den Gaskammern und Massengräbern der Mithäftlinge zum Einsatz kommen. Wie Dov Paisikovic, der Leichen zu Gräben schleppen musste, wo sie verbrannt wurden:
    Richter Hofmeyer: Nun sagen sie, von den Menschen, die mit Ihnen zusammen da gekommen sind, haben die das alle mitmachen können, oder …
    Paisikovic: Es waren von uns viele, was selbst in das Gruppe in das Feuer gesprungen sind.
    Hofmeyer: In das Feuer gesprungen sind?
    Paisikovic: Ja.
    Hofmeyer: Von sich aus?
    Paisikovic: Von sich aus.
    Hofmeyer: Aus lauter Verzweiflung über das, was sie gesehen haben?
    Paisikovic: Ja.