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Weltklimareport
Sorge um Fischbestände in armen Ländern

Besonders in den Tropen führt die globale Erwärmung dazu, dass Fische Reißaus nehmen - in kältere Gefilde. Während die Fischbestände auf der Nordhalbkugel zunehmen werden, haben zahlreiche Entwicklungsländer das Nachsehen, prognostiziert der zweite Teil des Weltklimareports.

Von Volker Mrasek | 31.03.2014
    Boot auf dem Wasser vor der Küste von Sansibar, Tansania
    Kein Fisch! Die Tropen leeren sich, höhere Breiten bekommen hingegen mehr Zuwanderer. (dpa/picture alliance/Yannick Tylle)
    Auch den zweiten Teil des neuen Weltklimaberichtes wird kaum jemand komplett durchblättern. Er hat über 2.000 Seiten. Da begnügt man sich lieber mit der "Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger". Die liegt seit heute vor. Eine ganze Woche lang brüteten Regierungsvertreter und Fachautoren in Japan darüber. Und segneten den Text mühselig ab, Zeile für Zeile.
    Eine schlaflose Nacht bescherte das auch dem Agrarbiologen Josef Settele vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Halle.
    "Wir haben also die letzten anderthalb Tage durchgearbeitet, um das Ganze dann hinzukriegen am Ende."
    Im Team der Leitautoren des Reports ist ein weiterer deutscher Experte: Hans Pörtner vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven. Der Zoologe fühlte sich ...
    "... ja, nachher wie durch den Wolf gedreht. Das ist schon sehr anstrengend."
    Was ist der Lohn dieser Mühen? Welche neuen Kernaussagen stehen nun im zweiten Teil des neuen Weltklimareports über die Folgen der globalen Erwärmung für Gesellschaft und Ökosysteme? Dazu der US-Ökologe Christopher Field. Er ist einer der beiden Vorsitzenden der zuständigen Arbeitsgruppe im Weltklimarat und äußerte sich auf der Pressekonferenz in Yokohama:
    "Eine der wichtigsten Erkenntnisse ist, dass wir in einer Welt leben, in der sich der Klimawandel bereits bemerkbar macht. Wir spüren seine Auswirkungen vom Äquator bis zu den Polen und von den Küstenniederungen bis in die Berge. In Amerika genauso wie in Asien, Europa und Afrika. Egal, wo man hinschaut: Überall sind bereits Veränderungen durch den Klimawandel aufgetreten."
    Tiere und Pflanzen verlassen angestammte Lebensräume
    Hier nennt der Bericht zum Beispiel gehäufte Wetterextreme wie Hitzewellen und Starkniederschläge. Oder den Anstieg des Meeresspiegels, der an den Küsten nagt und Sturmfluten verstärken kann, weil sie weiter landeinwärts vordringen, wenn die Pegel steigen.Auch die Ökosysteme verändern sich. Tiere und Pflanzen verlassen angestammte Lebensräume, weil sie ihnen zu warm werden.
    "In einer Studie wurde die Verbreitung von fast 360 verschiedenen Arten im Ozean untersucht. Dabei zeigte sich: Es gibt Meeresorganismen, die innerhalb von zehn Jahren über 400 Kilometer gewandert sind, um in kühlere Lebensräume zu gelangen."
    In diesem Fall handelt es sich um einen Vertreter des Meeresplanktons. Aber auch Fische ziehen fort, weil sich der Ozean erwärmt. Die Tropen leeren sich, höhere Breiten bekommen immer mehr Zuwanderer – das sei der Trend, sagt Hans Pörtner, Leitautor des Kapitels über die Ozeane im neuen Teilbericht des Weltklimarates:
    "Die Gewinner sind mal wieder die Industrieländer - auf der Nordhemisphäre zum Beispiel, vor deren Küsten die Fischbestände reichhaltiger werden. Und die Länder nahe am Äquator, die oft auch Entwicklungsländer sind, haben das Nachsehen, weil ihnen die Ressourcen fehlen, um den abwandernden Fischbeständen zu folgen."
    Zurückgehen im Zuge des Klimawandels könnten auch die globalen Ernteerträge, wie es in dem neuen Report heißt und wie auch Christopher Field in Yokohama hervorhob:
    "Seit den 60er-Jahren und dem Start der Grünen Revolution haben die Ernteerträge jedes Jahr um fast zwei Prozent zugenommen. Inzwischen liegen wir bei vielen wichtigen Getreidesorten aber nur noch bei einem Prozent. Nach unseren Erkenntnissen liegt das zum Teil an der Klimaerwärmung. Weizen und Mais macht sie schon heute zu schaffen. Und die Aussichten für die Zukunft sind düster. Einige der von uns ausgewerteten Studien kommen zu dem Schluss, dass die Ernteerträge der wichtigsten Getreidesorten bis zum Ende des Jahrhunderts um mehr als die Hälfte einbrechen könnten."
    Ganz so schlimm muss es zwar nicht kommen. Und schon jetzt sind Agrarforscher eifrig dabei, hitzetolerantere Sorten zu züchten. Doch dass das Risiko für Missernten durch Wetterextreme und damit für Ernährungskrisen stark wächst – darin sind sich die Experten des Weltklimarates sicher. In ihrem Report verweisen sie auf Ereignisse in den letzten Jahren, als die Weltmarktpreise für verschiedene Getreidesorten in die Höhe schossen – als Reaktion auf wetterbedingte Ernteausfälle – und sich Menschen in den armen Ländern diese Agrarprodukte nicht mehr leisten konnten.
    Noch während der Beratungen in Yokohama war in verschiedenen Medien spekuliert worden, der neue Report werde allzu alarmistisch ausfallen. Ein Vorwurf, den Hans Pörtner zurückweist:
    "Nein, das kann man eigentlich nicht so sagen. Das ist gar keine Panikmache, dass wir eben den Klimawandel nicht ungebremst weiterlaufen lassen können, weil uns dann die Auswirkungen extrem zu schaffen machen werden."
    Stärker als in den vorangegangen Berichten werde diesmal auch auf Unsicherheiten im Wissen eingegangen, sagt Josef Settele. Und auf andere Faktoren, die die Klimaerwärmung flankierten und manchmal eine größere Rolle spielten. Das ist zum Beispiel der Verlust von Regenwald durch Abholzungen. Oder die Entstehung sauerstoffarmer, sogenannter Todeszonen im Meer durch zu hohe Nährstoffabflüsse vom Land. Dadurch, so der Agrarbiologe, sei der neue Report ...
    "... auch eine Ecke ehrlicher. Aber in der Summe, würde ich sagen, ist es dennoch so, dass es vom Trend her immer noch sehr bedenklich ist und auch bedenklicher als vorher, ohne Alarmismus auslösen zu wollen."
    Die Politik dürfe die Ergebnisse des neuen Reports nicht ignorieren, mahnte der Vorsitzende des Weltklimarates in Japan, der Inder Rajendra Pachauri:
    "Wir haben Grund zu der Annahme: Wenn die Welt nichts gegen die Klimaerwärmung unternimmt, steht sogar der Zusammenhalt unserer Gesellschaft auf dem Spiel."