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Weltkriegsgedenken
Exil für "Onkel Willy"

Huis Doorn in den Niederlanden war die letzte Residenz des deutschen Kaisers. Wilhelm II. fand dort nach dem Sturz des Kaiserreichs 1918 Unterschlupf. Obwohl die Niederlande im Krieg neutral waren. Die damalige niederländische Königin soll ihre Finger im Spiel gehabt haben.

Von Kerstin Schweighöfer | 27.12.2018
    Eine Büste von Kaiser Wilhelm II. (1859-1941) im Garten von Haus Doorn in Doorn (Niederlande), aufgenommen am 23.02.2013. Der letzte deutsche Kaiser, Friedrich Wilhelm Viktor Albert von Preußen, lebte nach seiner Abdankung in den neutralen Niederlanden und von 1920 bis zu seinem Tod im Exil auf diesem Landgut. Die Residenz des Kaisers beherbergt ein Museum, indem Kunstwerke der Hohenzollernfamilie ausgestellt sind und über die herrschaftlichen Bewohner berichtet wird. Foto: Jens Wolf/dpa | Verwendung weltweit
    In Huis Doorn bei Utrecht verbrachte der exilierte Kaiser Wilhelm II. die letzten Jahrzehnte seines Lebens (picture alliance / dpa / Jens Wolf)
    Auf dem Schreibtisch steht noch immer sein Briefpapier samt Schreibfeder und Brille. Auch der Tisch im Speisesaal ist festlich gedeckt, als würde an diesem Abend der europäische Hochadel anrücken. An der Schlafzimmertür hängt der Morgenmantel. Und neben dem Bett stehen die kaiserlichen Pantoffeln.
    In Huis Doorn, der letzten Residenz des letzten deutschen Kaisers, sieht alles immer noch so aus, als würde Wilhelm II. nur mal schnell im Schlosspark frische Luft schnappen und gleich wieder zur Tür hereinkommen. In diesem kleinen Palast unweit der Stadt Utrecht hat er die letzten 20 Jahre seines Lebens im Exil verbracht.
    Nach dem Sturz des Kaisers im November 1918 hatte er in den Niederlanden um Asyl gebeten, erklärt Letty Corbijn, die seit vielen Jahren Besucher durch Palast und Schlosspark führt:
    "Wir waren im Krieg neutral, deshalb mussten wir dem Kaiser Asyl gewähren, das verlangt unser Grundgesetz. Obwohl die Alliierten mehrmals seine Auslieferung forderten. Wirklich erfreut war Den Haag über den kaiserlichen Asylbewerber nicht. Er musste sein Exil auch selbst finanzieren und zwei seiner Privatyachten verkaufen. Mit dem Geld konnte er dann Huis Doorn anschaffen. Es gehörte vorher der Baronesse van Heemstra, der Urgroßmutter von Hollywood-Schauspielerin Audrey Hepburn."
    Erst half die Königin, dann schwieg sie
    Die damalige Königin Wilhelmina hatte bis zu ihrem Tod behauptet, von der Asylanfrage des Kaisers völlig überrascht worden zu sein. Doch die niederländische Historikerin Beatrice de Graaf hat vor kurzem in Berliner Archiven entdeckt, dass Wilhelmina lange im Voraus Bescheid wusste. Sie hat "Onkel Willy", wie sie ihn nannte, sogar geholfen, sich bei ihr niederzulassen, aber wegen der damaligen Neutralitätspolitik der Niederländer dazu ihr Leben lang geschwiegen.
    Das letzte offizielle Porträt, bevor Wilhelmina 1948 als Königin der Niederlande abdankte
    Königin Wilhelmina soll bei "Onkel Willys" Asyl in den Niederlanden geholfen haben, schwieg aber ihr Leben lang darüber (imago stock&people)
    Schon als Kind hatte Wilhelmina fast jeden Sommer ein paar Tage am kaiserlichen Hof in Berlin verbracht. Kaiser Wilhelm hatte im gesamten europäischen Hochadel Verwandte, berichtet Museumsführerin Letty Corbijn:
    "Hören Sie die Glocken? Die hat Wilhelm von seiner zweiten Frau Hermine bekommen, zu seinem 70. Geburtstag! Die klingen genauso wie die vom Big Ben in London! Weil die englische Queen Victoria Wilhelms Großmutter war!"
    Einzigartiger Erinnerungsort
    Heute ist Huis Doorn ein einzigartiger Erinnerungsort an ein dunkles Kapitel der europäischen Geschichte. Im Herbst 2018 wurde das Anwesen sogar in den "Kanon der Niederlande" aufgenommen, zu dem die wichtigsten Orte, Geschehnisse und Personen der Nation gehören.
    Die Zahl der Besucher hat sich 2018 verdoppelt auf mehr als 50.000.
    Dabei war das Museum vor kurzem noch von der Schließung bedroht. Im Rahmen drastischer Einsparungen sollten die Subventionen halbiert werden. Huis Doorn, fand die Regierung, sei zu wenig niederländisch und zu deutsch. "Was für ein Unsinn!", schnaubt Hetty. Ein Glück, dass die Regierung zum Einlenken gebracht werden konnte:
    "Es geht um einen Teil des europäischen Kulturerbes, der zugänglich bleiben muss für künftige Generationen. Das ist unsere Pflicht. Wir verherrlichen ja nichts, sonst würde ich hier nicht arbeiten. Wir dokumentieren. Den Ersten Weltkrieg und die niederländische Neutralität. Und das Leben eines Mannes, der einer der Hauptakteure dieses furchtbaren Krieges war."