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Weltliteratur aus Dänemark

Henrik Pontoppidan ist einer von drei dänischen Literaturnobelpreisträgern. Er erhielt die Auszeichnung 1917. Sein bekanntester Roman ist ”Hans im Glück”. Mit Thomas Mann wurde Pontopiddan oft verglichen, aber im Gegensatz zu Mann ist Pontoppidan in Vergessenheit geraten - zumindest in Deutschland.

Von Peter Urban-Halle | 24.07.2007
    In früheren Zeiten war es beliebt, seinen Namen zu latinisieren, auch in Dänemark. So wurde aus Broby, auf deutsch ”Brückenstadt”, ein vornehmeres Pontoppidan. Die Familie war weitverzweigt und schenkte der lutherischen Kirche eine beträchtliche Zahl von Geistlichen - und dem Land einen Nobelpreisträger: Henrik Pontoppidan.

    Henrik wurde am 24. Juli 1857 in Fredericia in Jütland in einer Pastorenfamilie geboren. Als er sechs Jahre alt war, wurde der Vater nach Randers versetzt, nördlich von Ärhus. In dem Städtchen verbrachte der Junge zehn prägende Jahre. Als der Stadtrat ihn 1933 zum Ehrenbürger machte, versicherte er in seiner Dankesrede:

    "”Bei all meinem Umherschweifen unter den verschiedensten Lebensbedingungen kehrten meine Gedanken immer in den Kindheitsort am Fluß Gudenå zurück, welcher der feste Punkt meines Daseins wurde, mein Ankerplatz.”"

    Doch dem jungen Pontoppidan wurde das idyllische Randers zu klein und die pietistische Atmosphäre daheim zu miefig. Schon mit sechzehn Jahren, gleich nach dem Realexamen, verließ er die Stadt, ging nach Kopenhagen und studierte an der Polytechnischen Lehranstalt. Er wollte Ingenieur werden und hatte ehrgeizige Pläne im Kopf. Eine Reise in die Schweiz und die Eindrücke der Natur brachten ihn zum Schreiben. Über den Journalismus kam er zum Roman. In ”Lykke-Per”, auf deutsch ”Hans im Glück”, der in endgültiger Form 1905 erschien, beschreibt Pontoppidan Anfang und Aufbruch des eigenen Lebens recht genau.

    Ernst Bloch zählte ”Hans im Glück” zu den ”Grundbüchern der Weltliteratur”. Im Gegensatz zu dem deutschen Märchen gleichen Titels, in dem der einfältige Hans immer weniger hat und immer glücklicher wird, erreicht der dänische Hans immer mehr und wird dabei immer unglücklicher. Erst nach dem Tod der Eltern besinnt er sich und kehrt als einfacher Straßenbau-Assistent in seine Heimat zurück. Für Bloch ist das Ende dieses Romans

    "”ein Ende der tiefsten Resignation, aber mit einem Licht darüber wie auf den Bildern des letzten Rembrandt. Es ist ein Roman mit lauter Verlusten, wie erkennbar, der Roman eines Menschen, der auf seine Weise die ganze Welt gewonnen hat, sogar eine Überwelt, und sie Stück für Stück wieder läßt.”"

    ”Hans im Glück” ist das mittlere von Pontoppidans drei großen Romanwerken, die andern beiden sind ”Das gelobte Land” und ”Das Totenreich”. Über letzteres fällte der Autor später ein überraschendes Urteil:

    "”’Das Totenreich’ ist überhaupt kein richtiger Roman - und auch nicht als solcher gedacht -, sondern ein Filmversuch, der nicht ganz geglückt ist.”"

    Für Pontoppidan gehören die drei Romane eng zusammen, sie ”spiegeln die sozialen, religiösen und politischen Kämpfe der Zeit”. Er erfüllte damit die Hauptforderung des einflussreichen Kritikers Georg Brandes, der von lebendiger Literatur erwartete, dass sie Probleme zur Debatte stellte. Pontoppidans Rolle für das dänische und nordische Geistesleben wurde mit der Thomas Manns in der Zeit zwischen den Weltkriegen verglichen. Eben Thomas Mann schrieb zum 70. Geburtstag des dänischen Kollegen 1927:

    "”Dieser Dichter ist ein geborener Epiker und ein Kritiker des Lebens und der Gesellschaft von europäischem Rang. Als echter Konservativer erhält er, inmitten einer kurzatmigen Zeit, den großen Stil der Erzählung aufrecht. Als echter Revolutionär sieht er in der Prosa in erster Linie eine urteilende Macht.”"

    1917 wurde Pontoppidan zusammen mit seinem Landsmann Karl Gjellerup der Literaturnobelpreis verliehen. ”Lykke-Per” suchte Erfolg und Glück, indem er gegen die Verhältnisse aufbegehrte, so dachte auch der junge Pontoppidan. Jetzt, Jahrzehnte später, sieht der frisch gekürte Nobelpreisträger einen anderen Sinn im Dasein:

    "”Das Leben muss erlitten werden, wir bevölkern das Land nicht allein um der Freude willen.”"

    Damit greift Pontoppidan fast wieder pietistisches Gedankengut auf, er war ein Mann der Gegensätze. Das lässt ihn ein wenig zerrissen erscheinen, das macht sein Werk aber auch umfassender. Der Roman als Gattung ist für ihn ein totales Gebilde, das sämtliche Strömungen der Zeit und der Gesellschaft einbegreift. Obwohl am Ende seines Lebens Resignation und Pessimismus überwogen, blieb er immer ein politischer Schriftsteller.

    Kurz nach Abschluss seiner Erinnerungen starb Henrik Pontoppidan mit 86 Jahren am 21. August 1943 in Charlottenlund bei Kopenhagen.