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Weltmusik 2.0
Das Berliner "Worldtronics"-Festival

Das Berliner Festival "Worldtronics" widmet sich den neuesten Entwicklungen der Elektronik-Musikszene auf der ganzen Welt. Das Motto "Teams & Tools" umfasst sowohl internationale Kooperationen als auch die Werkzeuge der digitalen Musikproduktion.

Von Ole Schulz | 30.11.2013
    Donnerstagabend im HKW, dem Berliner "Haus der Kulturen der Welt": Der britisch-indische Musiker Talvin Singh spielt mit der Band "Shruti Sonic" zum Auftakt des "Worldtronics"-Festivals im großen Auditorium - das Publikum lauscht gebannt.
    "Shruti" - so heißt die kleinste Intervalleinheit der indischen Musik. Im Bereich der Mikrotonalität treffen sich die Traditionen Indiens und die elektronische Musik. Beide haben mit den seit Bach gültigen Skalen gebrochen - und verwenden auch kleinere Tonschritte als Halbtöne. Detlef Diederichsen, der HKW-Musikchef und Kurator der Worldtronics:
    "Die Skalen, die zwölf Töne, die wir haben, die Ganztöne und die Halbtöne, haben ja Hunderte Jahre sozusagen das Musikverständnis bestimmt. Und das ist in Indien halt anders gewesen, da gab es andere Skalen, andere Stimmungen. Und das ist natürlich auch von der elektronischen Musik ganz stark aufgenommen worden, weil man da eben diese ganz normalen mechanischen Beschränkungen nicht mehr hat. Und das wiederum hat Talvin Singh fasziniert, dass eben von völlig unterschiedlichen Perspektiven aus an ähnlichen tonalen Ereignissen gearbeitet wurde, und das versucht er, in diesem Projekt sozusagen zusammenzubringen."
    Dieses "Zusammenbringen" gelingt dem Tabla-Meister Talvin Singh beim Auftritt im Haus der Kulturen der Welt. Der Pionier des "Asian Undergrounds“ thront in langem Mantel zwischen seinen Trommeln auf der Bühne und hat keine Mühe damit, in seiner sphärischen Musik, indische Traditionen und Clubmusik westlichen Ursprungs miteinander zu verbinden. Zu "Shruti Sonic" gehören neben Virtuosen indischer Instrumente auch die Sängerin Amelia Cuni und der Engländer Leafcutter John: Er steuert mit Taschenlampen über einen lichtempfindlichen Controller digital erzeugte Töne bei.
    Im HKW geht es im kleinen Saal weiter mit "Neobyrd", "Bikyia" und "Wetrobots", neuer clubtauglicher Musik aus Kairo. Bei allen Unterschieden der Musiker aus Ägypten fällt das Zitieren älterer Stile auf - beim Trio "Bikyia" etwa die Vorliebe für Glamrock und ausufernde 70er Jahre-Arrangements:
    Mit Absicht geografisch weit gefächert sei das Worldtronics-Programm, sagt Detlef Diederichsen. Elektronische Sounds aus allen Kontinenten statt herkömmlicher "Weltmusik":
    "Wir nennens intern ja auch immer so bisschen das Trüffelschwein-Festival, weil wir immer gucken, wo findet sich auf der Welt irgendwas Spannendes, noch nicht Gehörtes, so noch nicht Gemachtes in Sachen elektronischer Musik. Wobei wir ganz bewusst von einer weiten Auslegung des Wortes elektronischer Musik ausgehen."
    "Teams & Tools" lautet das Motto der siebten Ausgabe der Worldtronics."Tools" meint Tüfteln und Selbermachen, "Teams" dagegen grenzüberschreitende Kooperationen. So gab es am Freitag einen Einblick in die vielfältige Elektronik-Musikszene Südasiens zwischen Colombo und Delhi, Teheran und Karachi - darunter auch Monitor Lizards, ein srilankisch-deutsches Projekt, entstanden bei einem Austausch des Goethe-Instituts.
    Heute wird dann das Schlagwort "Tools" praktisch umgesetzt. In Workshops auf dem "Elektro-Fachmarkt" können Interessierte mit entsprechenden "Werkzeugen" selber Effektgeräte bauen. Und auf der Bühne stehen Musiker wie Eli Gras aus Barcelona, die aus Müll und Alltagsgegenständen Instrumente bastelt, oder der mit Schraubenzieher und Lötkolben bewaffnete Franzose Pierre Bastien.
    "Also Samstag ist der Spieltrieb gefragt am Abend. Da sind dann halt die Leute da, die mit Instrumenten zu Gange sind, die man normalerweise nicht sieht oder erlebt. Ich meine, das hat dann eben auch immer seine optische Komponente, die sehr unterhaltsam ist, dass man die Leute halt sieht, wie sie den unmöglichsten Kram auf der Bühne auskippen und dann Sachen, von denen man es nie erwarten würde, plötzlich zu einem Musikinstrument ernennen, und damit irgendetwas machen."
    Zum Abschluss der Worldtronics steht morgen ein letztes Highlight an: Felix Kubin, eigentlich Einzelgänger und "Bedroom"-Produzent, und das neunköpfige Warschauer Avantgarde-Orchester Mitch & Mitch führen ihre Version osteuropäischen Retrofuturismus´ aus Zeiten des Eisernen Vorhangs auf.