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Weltsozialforum in Bombay

In der indischen Industrie-Metropole Bombay beginnt heute das vierte Welt-Sozialforum. Dazu werden etwa 100.000 Globalisierungskritiker und Friedensaktivisten aus über 150 Ländern erwartet. Sie wollen bis Mittwoch nächster Woche über Strategien gegen Armut, Unterdrückung, Fundamentalismus und Krieg diskutieren. Unter dem Motto "Eine andere Welt ist möglich" sind rund eintausend Veranstaltungen geplant.

Von Klaus Remme | 16.01.2004
    Klaus Remme: Herr Weizsäcker, bedeutet die rasche Zunahme von Teilnehmern, von Themen und von Diskussionsforen allein schon den Erfolg dieser Veranstaltung?

    Ernst-Ulrich von Weizsäcker: Da würde ich sagen, ja. Bisher war das ja immer in Brasilien. Für die Inder war das ein furchtbar weiter Weg und die haben ja eine große Anti-Globalisierungs-Bewegung. Das fing schon Anfang der 90er Jahre an und die fanden, das muss jetzt mal bei ihnen sein.

    Remme: Was kann man als konkrete Ergebnisse anführen, die diese Konferenz legitimieren?

    Weizsäcker: Na ja, was heißt konkret? Da werden keine Gesetze beschlossen, da wird Bewusstsein gebildet, da werden Verbindungen geknüpft, da wird für Verständnis geworben, dafür, dass heute die Schwachen der Welt keine hinreichende Interessenvertretung mehr haben. Das ist eine Botschaft, die sich Demokraten und Mächtige auf der ganzen Welt hinter die Ohren schreiben müssen.

    Remme: Es ist ein Treffen der Globalisierungskritiker. Verstehen Sie sich als solcher?

    Weizsäcker: Als Kritiker ja, als Gegner sicher nein, denn erstens ist die Globalisierung völlig unumkehrbar und zweitens lebt Deutschland in erheblichem Umfang vom Export. Nur, auch bei uns im Land sehen wir ja, dass es den Starken eher besser und den Schwachen eher schlechter geht. Das ist in allen Ländern so. Auch in Brasilien, mit einem Lula, der sozusagen links von Lafontaine angetreten ist, geht es den Starken besser und den Schwachen eher schlechter.

    Remme: Und ist es mehr als "schön", dass wir mal drüber geredet haben?

    Weizsäcker: Ja selbstverständlich. Bei jeder sozialen Bewegung fängt es mit dem Bewusstsein an. Viele Leute, die anfangs nur im stillen Kämmerlein traurig waren, dass es ihnen schlechter geht, finden sich zusammen und merken dann "es gibt auch noch ganz andere Leute, denen es auch nicht so gut geht" und dann entsteht so etwas wie ein politischer Wille und vielleicht auch Strukturen für mehr Recht auf der Welt.

    Remme: Gibt es für Sie thematische Schwerpunkte jetzt in den nächsten Tagen in Bombay?

    Weizsäcker: Ja, ich habe selber zwei konkrete Aufgaben: Erstens bin ich Mitglied der Weltkommission für die soziale Dimension der Globalisierung, die von der Weltarbeitsorganisation eingerichtet worden war und deren Bericht ist jetzt gerade fertig geworden ist. Darüber macht die Weltarbeitsorganisation ein Forum in Bombay und da bin ich dann mit dabei. Zweitens habe ich zusammen mit internationalen Autoren ein Buch aufgelegt, das zunächst nur auf englisch erscheint – Grenzen der Privatisierung – und die Vorausversion dieses Buches wird dort vorgestellt. Das sind die Konkreten Aufgaben. Im Übrigen will ich vor allem zuhören.

    Remme: Immer wieder, Herr von Weizsäcker, wird der bewusste Kontrast zum Treffen der Mächtigen in Davos gesucht und dargestellt. Akzeptieren Sie diesen Kontrast?

    Weizsäcker: Er ist objektiv richtig. In Davos treffen sich eher die Mächtigen, wobei es ja gar nichts dagegen zu sagen gibt, dass sich die Wirtschaftsführer und auch die führenden Politiker miteinander treffen. Denn in Davos – das ist ja absolut nicht eine unmoralische Veranstaltung – da wird auch darüber geredet, wie man den gesellschaftlichen Anstand in der Wirtschaft aufrechterhält. Kofi Annan hat in Davos seinen Global Compact für Anstand in der Wirtschaft ausgerufen.

    Remme: Es gibt Kritiker, die sagen, gerade bei dieser Kontraststellung von Davos und Porto Alegre oder jetzt Bombay, fehlt eben der Brückenschlag, fehlt eben der Dialog zwischen diesen beiden Veranstaltungen. Ist das tatsächlich ein Manko Ihrer Ansicht nach?

    Weizsäcker: Nun, zunächst mal, in das Dorf Davos würden die 100.000 oder 200.000 Leute, die wir in Bombay ja haben, gar nicht passen.

    Remme: Ich meinte es auch eher bildlich gesehen.

    Weizsäcker: Ja, gewiss. Natürlich brauchen wir einen gedanklichen, politischen Brückenschlag. Diese ILO-Weltkommission, der ich angehört habe, hat diesen Brückenschlag ja auch versucht und ich bin in Bombay vermutlich eher ein Vertreter der Privilegierten und der Starken und werde dafür mit Sicherheit auch kritisiert und ich bin sozusagen ein professioneller Brückenschläger. Wenn ich in Davos wäre, würde ich als ein Interessenvertreter der Schwachen angesehen. Die Leute, die zwischen den Fronten operieren, haben manchmal sehr viel härtere Arbeit, als die Vertreter der engeren Positionen.

    Remme: Ich habe es Eingangs erwähnt, dass die Zahl der Teilnehmer so rapide gestiegen ist und wohl auch das Spektrum der Teilnehmer. Wie lang ist diese breite Basis, also dieses "jeder kann kommen und mitreden" ein Vorteil und wann fängt das Beliebige an, dass ja möglicherweise auch hinter dem Motto "eine andere Welt ist möglich" steht?

    Weizsäcker: Nun, eine gewissen Beliebigkeit ist unvermeidlich. Die ganze Welt ist voll von "tausend Blumen", wie man manchmal im Chinesischen sagt und es ist nicht nötig immer alles über genau einen Leisten zu scheren. Ich finde das nicht unbedingt einen Nachteil. Es gibt ein gewisses Organisationschaos. Man weiß manchmal erst am Tag vorher, an welcher Stelle man eigentlich auftreten soll oder in welche Veranstaltung man wo gehen kann. Es ist ein echtes Organisationsproblem. Vielleicht sind da die Veranstalter ein bisschen überfordert.

    Remme: Ist ein Weltsozialforum demnächst in Deutschland vorstellbar, oder nicht?

    Weizsäcker: Ich halte es für sehr wohl vorstellbar, aber die Entwicklungsländer würden das nicht wahnsinnig gerne sehen. Sie finden, dass sei ihr Forum.

    Remme: Und ist es das?

    Weizsäcker: Ich würde denken, von der Teilnehmerzahl her, ja. In Porto Alegre, wo ich auch dabei war, waren doch sehr viele Südamerikaner, aber es kamen auch ganz viele aus Asien und Afrika.