Donnerstag, 25. April 2024

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Weltspiele - Sport und Kolonialismus (1)
Sport - akzeptiertes Erbe des Empire

"Dekolonisiert euch!", ist das Thema der diesjährigen Denkfabrik des Dlf, das auch der Sport in den Fokus nimmt. Im ersten Teil unserer Sonderreihe geht es um die Bedeutung des Sports im britischen Kolonialismus und wie dieser bis heute die ehemaligen Kolonien prägt.

Von Ronny Blaschke | 22.03.2020
Cricket-Spieler vor der National Gallery in Singapur
Ein Erbe des britischen Imperiums: Kricket wird in allen ehemaligen britischen Kolonien gespielt. (Ronny Blaschke)
Eines der wertvollsten Grundstücke in Singapur ist der Padang. Eine große gepflegte Rasenfläche, umgeben von Kolonialbauten mit Säulen und Kuppeln. Das Viertel erinnert an London, weniger an Südostasien. Und das liegt auch an den weiß gekleideten Männern, die auf dem Padang ein Kricketspiel bestreiten. An der südlichen Seite hat der Singapore Cricket Club seine Heimat. Ein imposantes Gebäude mit Restaurants, Pokalvitrinen und Billardzimmer. Präsident des 1852 gegründeten Vereins ist Sher Baljit Singh, ein Unternehmer mit indischen Wurzeln.
"Das hier ist der Ort, von dem sich Singapur immer weiter ausgedehnt hat. Nicht weit von hier entfernt haben im 19. Jahrhundert die ersten britischen Schiffe angelegt. Es muss für die Händler ein eintöniger Alltag gewesen sein. Es dauerte damals sechs Monate, um eine Nachricht nach Europa zu übermitteln. Also haben sie hier auch Kricket gespielt, um sich die Zeit zu vertreiben."
Sport als Teil des britischen Ethos
1819 gründete der Handelsagent Stamford Raffles in Singapur eine britische Niederlassung. Als Umschlaghafen zwischen Europa und China wurde die Insel nahe des Äquators 1867 zur Kronkolonie. Das Vereinigte Königreich stieg zum größten Imperium der Geschichte auf, mit einem Viertel der Weltbevölkerung. Auch in Singapur, 11.000 Kilometer von London entfernt, spiegelte sich der britische Einfluss: In Sprache und Architektur, in Rechtsprechung und Bildung. Und auch im Sport, erzählt Brian Farrell, Historiker an der Nationalen Universität Singapurs:
"Es gibt einen alten Witz über die Kolonialmächte: Die Spanier bauten eine Festung, die Franzosen bauten eine Kirche und die Briten öffneten einen Sportklub. Die Briten waren nicht die alleinigen Erfinder des modernen Sports, aber sie haben ihn in die Welt getragen. Fußball, Tennis, Rugby Golf oder Kricket: Sport förderte in den Kolonien Gesundheit, Zusammenhalt und Disziplin. So wurde er zu einem zentralen Teil des britischen Ethos."
Kricket als Spiegel der Klassen-Gesellschaft
1922, im Jahr seiner größten Ausdehnung, erstreckte sich das britische Imperium auf ein Viertel der weltweiten Landfläche. Die Briten gingen in ihren Kolonien unterschiedlich vor, manchmal brutal, manchmal moderat. Mitunter diente ihnen Sport als Mittel der Erziehung, zum Beispiel in einigen Ländern Afrikas. Missionare, Beamte und Lehrer wollten ihre "Untertanen" mit Fußball "zivilisieren" – so das damalige Denkmuster.
Und in Singapur? Den besten Überblick über die Geschichte des Stadtstaates erhält man im Nationalmuseum. Eines der Gemälde dort stammt von John Turnbull Thomson aus dem Jahr 1851. Es zeigt den Padang. Im Hintergrund ein Kricketspiel, davor elegant gekleidete Briten auf einer Kutsche. Daniel Tham ist einer der Kuratoren des Museums:
"Ich denke, dass man hier gut die Distanz zwischen den gesellschaftlichen Schichten erkennen kann. Die Europäer sitzen erhöht auf ihren Pferden, während Arbeiter der lokalen Bevölkerung auf dem Boden hocken. Ethnischen Gruppen wie Chinesen oder Inder wurden damals unterschiedliche Wohngebiete zugeteilt. Die Menschen teilten sich auf dem Padang zwar denselben Platz, doch sie blieben doch unter sich."
Im Sport wirkt der Kolonialismus nach
Im 19. Jahrhundert vernetzten sich britische Politiker und Kaufleute auch im Singapore Cricket Club. Heute haben drei Viertel der Bevölkerung chinesische Wurzeln. Sie interessieren sich vor allem für Fußball. Trotzdem ist Kricket präsent. Auf dem Padang, wo in der Regel zahlungskräftige Spieler aktiv sind, mit Wurzeln aus Indien, Australien oder Neuseeland. Aber auch in den Parks, wo an den Sonntagen die Gastarbeiter spielen, aus Pakistan oder Bangladesch. Sie alle stammen aus ehemaligen britischen Kolonien. Und so ist der Sport ein akzeptiertes Erbe des Imperialismus, erzählt eine politische Aktivistin, die namentlich nicht genannt werden möchte:
"In unseren Lehrbüchern wurde ein Narrativ gepflegt: Singapur war ein verschlafenes Fischerdorf. Doch dann kamen die Briten und alles wurde besser. Aber es gab auch davor schon eine lebendige, interessante Geschichte. Leider ist das kritische Denken in Singapur nicht so ausgeprägt wie in anderen Ländern, die Medien werden zensiert. Viele stellen die weißen Kolonialherren noch immer auf einen Sockel."
Nachwuchssorgen im Traditionsverein
1963 erlangte Singapur die Unabhängigkeit, doch auch die neue Regierung berief sich positiv auf die britische Vergangenheit. Führende Politiker zeigten sich regelmäßig beim Cricket Club. Wohl auch, um von den Spannungen in der Bevölkerung zwischen Chinesen und Nicht-Chinesen abzulenken. In etlichen Romanen wurde der Singapore Cricket Club als Relikt der Kolonialzeit beschrieben. Vereinschef Sher Baljit Singh blickt nach vorn:
"Es ist nicht leicht, junge Mitglieder zu gewinnen. Wir haben seit langem unser Angebot erweitert, bieten auch Tennis, Rugby oder Netball an. Aber wir möchten auch, dass sich Jugendliche für Kricket interessieren. Daher haben wir Trainer angestellt und geben Workshops an Schulen. Es gibt Patenschaften und vergünstigte Mitgliedschaften."
Mehr als vierzig Nationalitäten sind im Singapore Cricket Club vertreten. Einige Mitglieder haben bereits an den Commonwealth Games teilgenommen. Seit bald einhundert Jahren bringt dieses Ereignis Sportler aus den ehemaligen Kolonien zusammen. Die nächste Ausgabe findet 2022 in Birmingham statt, auch mit Athleten aus Südostasien.