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Weltweites Ranking
Halal-Tourismus in Deutschland

Mit "halal" werden nicht nur Lebensmittel gekennzeichnet, die nach islamischem Recht erlaubt sind. Es gibt mittlerweile einen ganzen Halal-Markt, der auch die Reisebranche umfasst. Im weltweiten Halal-Ranking für Reiseländer taucht auch Deutschland auf.

Von Monika Konigorski | 18.06.2015
    Ein Pfeil an einer Hotelzimmerdecke zeigt für gläubige Muslime die Richtung nach Mekka an.
    Ein Pfeil an einer Hotelzimmerdecke zeigt für gläubige Muslime die Richtung nach Mekka an. (imago/McPHOTO)
    Ein 45 Quadratmeter großes Zimmer im Fünfsternehotel Breidenbacher Hof in Düsseldorf. Susanne Köhler, Chefin der Gäste-Assistentinnen und Assistenten, zieht die Schublade des massiven Schreibtisches auf. Auf dem Boden der Schublade haftet ein runder Aufkleber.
    "Das ist der Pfeil, und der zeigt nach Mekka, und das ist für arabische Gäste halt ganz, ganz wichtig für ihr Gebetsprozedere. Und in allen Zimmern sind diese Pfeile, das zeigen wir bei Anreise, und dann ist der arabische Gast in der Regel schon sehr beruhigt und zufrieden."
    Auch im benachbarten InterContinental-Hotel gibt es diese Pfeil-Sticker.
    "Und wir haben hier in der Nachttischschublade sowohl die Bibel, aber eben daneben auch den Koran liegen, und wir haben ebenfalls Gebetsteppiche dabei", erläutert Empfangschef Steffen Werner das Prozedere, wenn arabische Gäste anreisen.
    "So, das ist jetzt hier eine unserer Minibars, und wie Sie sehen ist die mit nicht-alkoholischen als auch mit alkoholischen Getränken gefüllt. Aus Respekt vor dem kulturellen Hintergrund leeren wir dann die Minibar entweder komplett, oder zumindest befreien wir sie von den alkoholischen Getränken. Das wird dann grundsätzlich bei den arabischen Gästen gemacht."
    Im Jahr 2013 zählte Düsseldorf fast 80.000 Übernachtungen von Gästen aus Kuwait, Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Gästegruppe hat stark an Bedeutung gewonnen, die Zahl ihrer Übernachtungen steigt in ganz Deutschland jährlich um knapp 14 Prozent. Die Klientel ist sehr zahlungskräftig. Die deutsche Zentrale für Tourismus gibt an, dass jeder arabische Gast durchschnittlich etwa 450 Euro pro Tag im Urlaub ausgibt. Die arabischen Touristen schätzen das hiesige Klima während der Sommermonate, auch der Medizin-Tourismus spielt eine Rolle. Und wegen der Krisen in vielen islamischen Ländern orientierten sich arabische Touristen zunehmend zu internationalen Zielen, sagen Reiseexperten.
    Düsseldorf als Reiseziel beliebt
    Düsseldorf ist eine der vier deutschen Städte, die in besonderem Maße Reisende aus den arabischen Golfstaaten anziehen. Im Sommer seien mittlerweile mehr als die Hälfte seiner Gäste arabischer Herkunft, sagt der Direktor des InterContinental Hotels, Ronald Hoogerbrugge.
    "Wir sehen seit circa zehn Jahren ein stetiges Wachstum aus dem Mittleren Osten, wobei in den letzten, ich würde so schätzen fünf Jahren, das wirklich stark zugenommen hat. Da merkt man, dass die Popularität enorm gewachsen ist und die Mund-zu-Mund-Propaganda von Gästen, die schon hier waren, und dann Familie und Freunde über Düsseldorf erzählen, das Wachstum noch mehr unterstützt hat."
    Global Muslim Travel Index für 100 Länder
    Im sogenannten Halal-Ranking des Reiseveranstalters Crescent Rating liegt Deutschland aktuell auf Platz 44. Die Studie wird seit einigen paar Jahren vom Reiseveranstalter Crescent Rating aus Singapur vorgestellt, in Zusammenarbeit mit einer Kreditkartengesellschaft. Für das Rating wird ein sogenannter Global Muslim Travel Index für 100 Länder erstellt, also ein weltweiter muslimischer Reise-Index. Kriterien, die dabei abgefragt werden, sind beispielsweise, ob Gebetsräume für Muslime in Hotels, Flughäfen und Einkaufszentren zur Verfügung stehen, wie gut das Netz an Halal-Restaurants ist, ob es nach Geschlechtern getrennte Bademöglichkeiten gibt, aber auch, wie gut sich das Reiseziel für die gesamte Familie eignet.
    Unter den europäischen Ländern gilt Großbritannien als "muslim-freundlichstes Urlaubsziel", und landet im Gesamtranking auf Platz 25. Auch Frankreich, Belgien und Spanien erreichten deutlich höhere Platzierungen als Deutschland. Als weltweit muslim-freundlichstes Land gilt nach der Studie Malaysia, gefolgt von der Türkei, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Saudi-Arabien.
    Auf Muslime zugeschnittene Reiseangebote werden in den kommenden Jahren kräftig zulegen. Das prognostizieren Reiseexperten aus islamischen Ländern sowie das Marktforschungsinstitut Dinar Standard in New York, das sich vorwiegend auf den arabischen Markt konzentriert.
    Kritik am Ranking
    Unter deutschen Muslimen ist ein "Halal-Ranking" für Urlaubsländer umstritten. Der Islamwissenschaftler Muhammad Sameer Murtaza, selbst gläubiger Muslim und Mitarbeiter bei der Stiftung Weltethos, kritisiert das Ranking.
    "Die Aufgabe von Reisen ist es ja, andere Kulturen und ihre Sitten und Bräuche kennenzulernen, verstehen zu lernen, das gelingt aber nicht, wenn ich mich nur in der Box meiner eigenen Religionsgemeinschaft bewege, und das wird durch solche Rankings praktisch erzeugt."
    Auch der Begriff "halal"- "erlaubt" werde in problematischer Weise verwendet, meint der Islamwissenschaftler. Der Halal-Begriff werde auf Konsumfragen verengt. Ursprünglich gehe es dabei aber um wesentlich mehr.
    "Erst einmal alles, was existiert, ist dem Muslim von Gott als erlaubt, als gestattet erklärt. Und verboten ist dem Muslim nur das, was entweder ihm schadet oder den Menschen schadet. Das ist eine ganz wichtige Dimension dieses Begriffes."
    In dem Ranking werde darüber hinaus die ethische Dimension völlig ausgeblendet, kritisiert Murtaza. Es würden Länder ganz oben im Halal-Ranking gelistet, die sich vor allem durch eines auszeichnen: durch massive Menschenrechtsverletzungen.
    "Wenn beispielsweise Saudi-Arabien unter den Top zehn geführt wird, müsste ich doch die Frage stellen: Kann ein Land, in dem religiöse Minderheiten verfolgt werden, die kritische Stimmen verhaften und auspeitschen, wo Arbeiter aus Pakistan oder Bangladesch wie Menschen 5. Klasse behandelt werden - kann ich ein solches Land in so einem Ranking unter die Top fünf stellen?"
    Darüber, was als "halal" und "haram" anzusehen sei, ist unter Muslimen sehr umstritten. Mit dem Ranking würde aber eine bestimmte Lesart festgeschrieben. Auch das sei problematisch, so Murtaza.
    "Durch solche Rankings nimmt man natürlich auch Einfluss auf das Reiseverhalten von Muslimen. Das wird dann eben durch diesen Begriff halal, erhält das so eine starke imperative Dimension. Man hat hier einen massiven Einfluss in die Persönlichkeitsrechte eines Muslims."