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Wende in der US-Geldpolitik?
"Der erste Schritt ist unheimlich schwierig"

Erhöht die US-Notenbank FED die Zinsen - oder wieder nicht? Das wird sie am Abend bekanntgeben. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) Berlin, geht davon aus, dass der Leitzins in den USA diesmal wirklich steigt. Im DLF erklärt er auch, warum bis jetzt alle vergeblich darauf gewartet haben.

Marcel Fratzscher im Gespräch mit Dirk Müller | 16.12.2015
    Porträtbild des Ökonomen Marcel Fratzscher.
    Der Wirtschaftswissenschaftler Marcel Fratzscher erwartet die Zinswende. (picture alliance / dpa / DIW)
    Die US-Wirtschaft stehe zwar vergleichsweise gut da, aber das Risiko einer Zinserhöhung sei der US-Notenbank bis jetzt zu groß gewesen, so Fratzscher. Allerdings habe es immer wieder Unsicherheiten gegeben wie geopolitische Konflikte oder schlechte Wirtschafts-Nachrichten aus Europa oder den USA selbst.
    "Zinserhöhung wäre schon im Sommer richtig gewesen"
    Wäre Fratzscher US-Notenbank-Chef, hätte er den Leitzins wohl trotzdem schon im Sommer angehoben. Die niedrigen Zinsen hätten auch negative Auswirkungen auf die Finanzmärkte. Sie förderten das Risikoverhalten und seien schlecht für den kleinen Sparer. Fratzscher räumte im DLF-Interview aber ein: "Es ist unheimlich schwierig, den ersten Schritt zu tun". Schließlich wolle niemand den wirtschaftlichen Aufschwung abwürgen.
    Fratzscher geht davon aus, dass die Wende in der Geldpolitik diesmal aber tatsächlich kommt. Auf den Finanzmärkten würden 0,25 Prozent erwartet. Danach werde der Leitzins über drei bis vier Jahre graduell und sehr langsam weiter steigen.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Fast ein Jahrzehnt so gut wie ultrabilliges Geld, die ganze Zeit. Fast ein Jahrzehnt so gut wie keine Leitzinsen. Wann kommt sie, die Zinswende, damit das Geld wieder teurer wird, die Zinsen damit aber auch steigen? Gut beispielsweise für alle Sparer und für alle, die Geld in Wertpapieren angelegt haben; nicht so gut für die Aktienkurse. Wir sind auch hier im Deutschlandfunk mindestens zehnmal morgens früh bereits davon ausgegangen, dass die amerikanische Notenbank Fed die Daumen nach oben dreht. Nichts da: Passiert ist gar nichts. Janet Yellen, die Fed-Chefin, ist bislang eisenhart geblieben. Zeit für uns, es heute Morgen zum elften Mal zu versuchen mithilfe von Professor Marcel Fratzscher, Direktor des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Guten Morgen nach Berlin.
    Marcel Fratzscher: Guten Morgen.
    Müller: Warten Sie auch auf die Erlösung?
    Fratzscher: Ich erwarte mit Sicherheit, dass wir mit hoher Wahrscheinlichkeit heute den ersten Zinsschritt sehen werden, dass die Amerikaner die erste Anhebung des Leitzinses machen werden. Natürlich ist das nicht 100 Prozent sicher, aber die Märkte gehen davon aus. Die Zentralbank hat das auch stark signalisiert. Deshalb wäre alles andere eine große Überraschung.
    "Ich hätte mir einen Anstieg sehr viel früher gewünscht"
    Müller: Warum sind wir immer sicher und dann ist es doch nicht passiert?
    Fratzscher: Na ja. Die Leitzinsen sollen sich ja wirklich auch an der Wirtschaft orientieren und über das letzte Jahr gab es immer wieder Faktoren, die unheimlich viel Unsicherheit geschaffen haben. Die Schwellenländer haben sich wirtschaftlich sehr viel schwächer entwickelt. Es gab geopolitische Konflikte, die zum Beispiel dann auch den Ölpreis stark nach unten getrieben haben. Es gab auch immer wieder in Europa und in den USA schlechte wirtschaftliche Nachrichten. Und das hat dazu geführt, dass die Notenbank der Amerikaner in der Vergangenheit dann gesagt hat, lasst uns lieber noch mal warten.
    Müller: Und das war richtig?
    Fratzscher: Ich halte es für falsch. Ich hätte mir einen Anstieg sehr viel früher gewünscht. Es ist immer unheimlich schwierig, diesen ersten Schritt zu tun, denn man möchte ja nicht eine wirtschaftliche Erholung abwürgen. Das ist das Ziel der Zentralbanken. Man möchte verhindern, dass die Inflation zu hoch wird. Gleichzeitig will man die Wirtschaft nicht schwächen. Und dann einen richtigen Zeitpunkt zu finden, gerade bei einer Zinswende, wenn man die Richtung des Zinspfades ändert, ist unheimlich schwierig. Das muss man eingestehen. Aber ich hätte es für richtig gehalten, das schon im Sommer zu machen, um auch ein klares Signal an die Finanzmärkte zu senden.
    "Es ist auch nicht gut für den kleinen Sparer"
    Müller: Wissen Sie, warum Yellen damit gezögert hat und es immer wieder herausgezögert hat?
    Fratzscher: Die Sorge ist in der Tat, dass die amerikanische Volkswirtschaft zwar deutlich besser dasteht als die europäische und auch als die deutsche, es aber immer wieder große Sorgen gibt, was zum Beispiel die Entwicklung am Arbeitsmarkt betrifft. Und diese Unsicherheit ist es letztlich, wo man gesagt hat, wir wollen lieber auf Nummer sicher gehen, wir wollen auch die Finanzmärkte nicht verunsichern, und man hat dann entschieden, lieber doch noch mal zu warten. Wichtig ist auch, dass man natürlich mit einer Stimme spricht. Nicht alle im Gremium, die dort entscheiden, wollten einen Zinsanstieg. Frau Yellen war sicherlich eine, die das sehr früh schon angedeutet hat, aber sie scheint, jetzt auch alle anderen mit an Bord zu haben.
    Müller: Aber Sie sagen ja, das war ein Fehler. Yellen, die Fed hätte früher handeln sollen, bereits im Sommer. Sind die Effekte, die durch diese Verzögerung seit Sommer eingetreten sind, nicht dahingehend positiv gewesen, dass es doch richtig war, noch ein bisschen zu warten?
    Fratzscher: Es gibt immer Argumente auf beiden Seiten. Natürlich ist die Inflationsentwicklung in den USA noch sehr moderat und sehr, sehr niedrig. Das spricht sicherlich dafür, noch mal zu warten. Allerdings hat diese lockere Geldpolitik natürlich auch negative Auswirkungen auf Finanzmärkte und auf Finanzinstitutionen. Es führt zu hohem Risikoverhalten, Finanzinstitutionen, die mit dem billigen Geld zu hohe Risiken eingehen. Es ist auch nicht gut natürlich für den kleinen Sparer. Das gleiche gilt in den USA wie für Europa und Deutschland. Diese Niedrigzinspolitik hat sehr wohl Nebenwirkungen und die muss man dann gemeinsam sehr genau abwägen und sagen, was ist wichtiger im Augenblick, Kontrollieren der Inflation oder diese Finanzmarktrisiken. Und die amerikanische Notenbank hat gesagt, die Finanzmarktrisiken sind etwas wichtiger, und sich dann entschieden zu warten.
    "0,25 Prozent werden erwartet"
    Müller: Aber ist das immer noch so aus Ihrer Sicht, trotz des großen Crashs, trotz dieser lang anhaltenden Finanzkrise, dass die Märkte immer noch in der Lage sind, oder immer noch wollen, sich zu überhitzen und die Immobilienmärkte auch überhitzen?
    Fratzscher: Ja, das Risiko bleibt, nicht nur in den USA, sondern auch in Europa. Mit diesem ersten Zinsschritt von praktisch null den Zins um 25 Basispunkte zu erhöhen, haben wir ja noch immer extrem niedrige Zinsen. Die Geldschleusen sind noch immer offen.
    Müller: Das ist das, was jetzt erwartet wird, 0,25 Prozent?
    Fratzscher: 0,25 Prozent wird erwartet. Es wird auch erwartet, dass der Anstieg der Leitzinsen über die nächsten ein, zwei Jahre graduell sehr langsam sein wird. Wir werden auch in den USA noch mal eine sehr expansive Geldpolitik für die nächsten drei oder vier Jahre haben. Das heißt jetzt nicht, dass man hier den Hebel umlegt und sagt, jetzt haben wir wieder Zinsen von drei, vier, fünf Prozent, was in normalen Zeiten eigentlich der Standard ist oder gewesen ist in der Vergangenheit. Die Geldpolitik wird locker bleiben. Die Risiken auch für Überhitzung in Finanzmärkten wird weiterhin bestehen bleiben. Man kann das natürlich auch positiv sehen. Für viele, die in Aktien investiert sind, ist diese lockere Geldpolitik natürlich eine sehr gute Botschaft, denn das bedeutet, viel Liquidität geht in Aktien, die Aktienmärkte sind in den letzten Jahren ganz hervorragend gelaufen, auch in Deutschland, und da muss man genau abwägen. Aber ich glaube, gerade auch um diese Finanzmarktrisiken zu begrenzen, sollte die amerikanische Notenbank doch relativ zügig in den nächsten Jahren die Zinsen wieder erhöhen.
    "Risiko eingehen per se ist nicht schlecht"
    Müller: Aber Sie sagen ja, Herr Fratzscher, wenn ich Sie richtig verstanden habe, das Risikopotenzial ist trotzdem da, trotz der Finanzkrise. Die Lehren, die man daraus gezogen hat, halten sich in Grenzen, zumindest was die Akteure auf den Finanzmärkten anbetrifft. Aber ist das immer ein Widerspruch? Wenn es den Finanzmärkten gut geht, könnte man fast schon sagen, es geht ihnen zu gut, weil dann das Risiko steigt?
    Fratzscher: Nein. Risiko eingehen ist ja nicht per se etwas Negatives. Genau das wünschen wir uns ja eigentlich in Europa, dass die Banken wieder mehr Kredite an Unternehmen vergeben, gerade in Südeuropa. Da ist ja das große Problem in Europa. Das betrachten viele Banken als ein Risiko, ein Risiko, das sie nicht eingehen wollen, und gehen dann lieber in Aktien oder andere Finanzmarktprodukte.
    Müller: Obwohl das Geld so billig ist.
    Fratzscher: Obwohl das Geld so billig ist. Aber es ist immer eine Abwägung zu sagen, wo kann man die beste Rendite erwirtschaften, gegeben einem gewissen Grad an Risiko. Das was im Augenblick in Europa ja so schwierig ist, dass man die Banken nicht davon überzeugen kann, mehr Kredite an die Realwirtschaft zu geben, damit die Wirtschaft sich in der Eurozone erholen kann, sondern sie geht im Prinzip solche Risiken ein, die wir uns zumindest aus einer gesamtwirtschaftlichen Perspektive nicht wünschen, nämlich in den Finanzmärkten. Da besteht die Schwierigkeit. Risiko eingehen per se ist nicht schlecht. Wir wollen, dass es der Wirtschaft zugutekommt, dass die Wirtschaft sich erholt, und gerade in Europa hinken wir hier stark hinterher.
    "Die EZB kann noch eine ganze Menge machen"
    Müller: Reden wir über die Inflation. Sie haben gesagt, auch in Amerika ist das noch nichts Großes. Bei uns ist es ja nahezu null. Viele reden ja auch davon, wir stehen kurz vor einer Deflation, obwohl die Europäische Zentralbank weiterhin Anleihekäufe im großen Stil pflegt. 60, 70 Milliarden stehen da zu Buche jeden Monat und es ist auch jetzt noch verlängert worden, dieses Ankaufprogramm. Zur gleichen Zeit kostet das Geld ja auch "nichts". Warum funktioniert das nicht mit der Inflation, dass die auf zwei Prozent kommt?
    Fratzscher: Wir haben in Europa nach wie vor eine sehr, sehr schwache Wirtschaft, vor allem in Südeuropa, aber auch in Ländern wie Frankreich, die deutlich hinterherhinken. Wir haben Arbeitslosenzahlen von weit über zehn, über zwölf Prozent, das Doppelte, das Dreifache von dem, was wir in Deutschland haben. Viele Länder sind noch in großen Schwierigkeiten. Die Unternehmen haben Schwierigkeiten, an Kredite zu kommen. Die Deflation ist für die EZB ein riesiges Problem. Sie verfehlt ihr Ziel oder ihr Mandat der Preisstabilität. Das hängt zum Teil auch mit den Banken zusammen, dass wir nach wie vor eine Konsolidierung im Bankensektor gerade in Südeuropa benötigen. Wir haben es gerade gesehen in Italien, faule Kredite von über 200 Milliarden Euro. Das sind Größenordnungen, die zeigen, wie groß das Problem in Europa noch ist. Das kann die Geldpolitik aber nicht lösen. Die Geldpolitik kann lediglich die Voraussetzung schaffen zu sagen, wir geben günstige Liquidität, dass Banken, die gesund sind, dieses Geld nehmen können und Kredite an Unternehmen weiter verleihen können, geben können. Das ist die Aufgabe der EZB. Aber die EZB kann natürlich nicht marode Banken abwickeln. Das ist die Aufgabe der Bankenaufsicht und da muss die EZB sich natürlich raushalten.
    Müller: Die EZB kann aber jetzt so gut wie nichts mehr machen, um das anzukurbeln.
    Fratzscher: Die EZB kann eigentlich noch eine ganze Menge machen. Man sollte nie unterschätzen, was eine Zentralbank an Instrumenten hat, um wirklich Liquidität in den Markt zu bringen und die Zinsen auch zu steuern. Die EZB hat sicherlich noch einiges im Köcher. Sie könnte den Einlagenzins, der bedeutet, was Banken zahlen müssen, um ihre Überschussliquidität bei der EZB zu parken, noch mal weiter senken.
    Müller: Den Strafzins.
    Fratzscher: Den Strafzins, genau. Sie könnte sicherlich das Anleiheprogramm noch mal weiter erhöhen. Viele hatten das ja auch schon vor zwei Wochen erwartet, dass die EZB das dann machen würde, noch mal die Größe der Ankäufe zu erhöhen. Aber es geht sicherlich darum: Wir brauchen jetzt ein bisschen Geduld in der Eurozone, dass die Inflation sich wieder erholt. Aber letztlich sind auch der EZB die Hände gebunden, denn sie hat ein Mandat und das heißt Preisstabilität, und das verfehlt sie im Augenblick bei Weitem.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Professor Marcel Fratzscher, Direktor des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). Danke für das Gespräch, auf Wiederhören nach Berlin.
    Fratzscher: Danke schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.