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Wenig Open Source auf dem Desktop

Vom Content-Management bis zum mobilen Betriebssystem: Open-Source-Software findet man quasi fast überall. Nur in einem Bereich konnte sie sich noch immer nicht so recht durchsetzen: in der öffentlichen Verwaltung und Regierung.

Von Jan Rähm | 25.05.2013
    Manfred Kloiber: Noch bis heute Abend findet in Berlin der alljährliche Linuxtag statt. Aktuell zum 19. Mal. Und mit rund 70 freien Projekten und circa 50 kommerziellen Ausstellern befindet sich die Linux-Messe nach eigenen Angaben auf gleichem Niveau wie in den Vorjahren. Neu in diesem Jahr ist wohl die Parallelveranstaltung Open IT Summit. Sie wurde auf Initiative von Open-Source-Unternehmern auf die Beine gestellt. Mit dabei war unser Reporter Jan Rähm. Herr Rähm, wie präsentierte sich denn der Linuxtag im Jahr vor seinem 20. Geburtstag?

    Jan Rähm: Im ersten Moment war es erschreckend schlank aufgestellt in den Messehallen. Denn in den letzten Jahren waren bis zu drei Messehallen gefüllt. Und diesmal drängten sich die Stände in nur eine Messehalle. Und zusätzlich gab es ein paar Aussteller vor den Vortragsräumen. Die Organisatoren sagten, man sei einfach dichter zusammengerückt – unter anderem auf Wunsch der Messebesucher. Man wolle die Vorträge und die Ausstellung einfach räumlich enger miteinander verbinden. Organisator Nils Magnus betonte, die Anzahl der ausstellenden Projekte und Firmen sein konstant geblieben. Ähnlich konstant und vor allen Dingen gehaltvoll war auch wieder das Vortragsprogramm auf dem Linuxtag und dem Open IT Summit. Und viele davon beschäftigten sich thematisch mit der Verbreitung von Open Source unter anderem in Verwaltung und Regierung – in Deutschland und der Europäischen Union.

    Kloiber: Open-Source-Software und speziell das freie Betriebssystem GNU/Linux ist ja aus vielen Bereichen heute nicht mehr wegzudenken. Ob Fernseher, TV-Empfangsbox, Mediaplayer oder Handy: Linux erobert souverän immer mehr Bereiche. Nur in einem Bereich kann es sich noch immer nicht so recht durchsetzen - und dabei ist es eigentlich egal, ob es da um private oder behördliche Anwender geht.

    Beginn Beitrag:

    "Open Source findet man überall ganz einfach, nur nicht auf dem Desktop. Content-Management-Systeme, Dokumentenverwaltung, Datenbank-Anwendungen, Geo-Informations-Systeme. Dort findet man überall in allen Größenordnungen Open-Source-Software. Nur mit dem Desktop hapert es noch. Dabei gibt es drei große Beispiele in Europa",

    erklärt Gijs Hillenius. Der Journalist betreut im Auftrag der Europäischen Union das Projekt "Join Up", eine Plattform zum Austausch über IT-Lösungen in der Verwaltung. Seine Top-3-Linux-Erfolgsgeschichten spielen in Frankreich, Spanien und Deutschland. Die französische Polizei hat 80.000 Computer auf das Open-Source-System umgestellt. Rund 40.000 Systeme waren es in der Verwaltung der südspanischen Region Extremadura. Das drittgrößte Projekt ist die Umstellung auf Linux bei der Stadt München. Dieses Projekt sei eines der erfolgreichsten überhaupt und habe auch international große Beachtung gefunden. Doch davon abgesehen, seien viele EU-Länder deutlich weiter in Sachen Open Source als Deutschland.

    "Ich bin mir nicht sicher, dass Deutschland in Sachen Open Source gut aufgestellt ist. Wenn man über Deutschland schreibt, fallen vor allem die Negativbeispiele ins Auge: Das Auswärtige Amt und Freiburg - beide haben sich aus der Migration zurückgezogen. Und es gibt noch ein paar andere Verwaltungen, die es probiert haben. Aber egal wen ich angesprochen habe, niemand wollte mit mir darüber sprechen. Es gibt starke Widerstände gegen Open Source. Folglich ist Deutschland in Sachen Open Source leider nicht führend, dabei müsste es das eigentlich sein. Es führt doch in so vielen anderen Bereichen in Europa. Ich würde das anders erwarten."

    Auch die Stadt Freiburg und das Auswärtige Amt hätten ebenso wie München viel Aufmerksamkeit bekommen. Nur eben mit negativem Vorzeichen. Dabei sah vor allem die Migration beim Auswärtigem Amt lange Zeit nach einem großen Erfolg aus, sagt Georg Greve. Er hat vor vielen Jahren die Free Software Foundation gegründet und leitet heute den Open-Source-Dienstleister Kolab Systems.

    "Das Projekt wurde ja von McKinsey analysiert. McKinsey hat das zu einem Erfolg erklärt. Hat gesagt: ganz klar erfolgreiche Strategie. Braucht ein paar Anpassungen. Hier eine Schwierigkeit, da eine Schwierigkeit, hier zwickt es ein bisschen, muss man nur den Hosenbund ein bisschen weiter machen oder da muss man vielleicht den Ärmel kürzen. Hier sind die Schritte, die man machen kann, um sozusagen die praktischen kleineren Probleme alle in den griff zu kriegen. War alles handhabbar, nichts Unlösbares aus der Sicht von McKinsey. Das Schlimmste, was man hätte tun können, wäre zurück zu migrieren nach Windows. Mit Abstand die ineffizienteste, teuerste und unsinnigste Variante. Genau für die hat sich aber das Auswärtige Amt entscheiden.""

    Massive Beschwerden der Anwender hätten dazu geführt, sich von Linux auf dem Desktop abzuwenden – so die offizielle Begründung für die Rückkehr zu Microsoft-Produkten. Doch daran glauben weder Georg Greve noch Gijs Hillenius. Sie machen eher Lobbyarbeit und Personalien wie den Ministerwechsel für den Schritt zurück verantwortlich. Die viel beachtete Entscheidung hat mit hoher Sicherheit zu neuen Unsicherheiten bei Entscheidern in Verwaltung und Regierung geführt, vor allem bei jenen, die sowieso nicht ganz überzeugt waren. So beschreibt auch Nils Magnus vom Linuxtag e.V., dass Linux und Open Source noch immer falsch wahrgenommen würden.

    "Linux als Sinnbild für Open Source wird eben gerne missverstanden als kostenlos, als Billiglösung. Und das ist, wenn man die Lizenzen betrachtet eigentlich überhaupt nicht der Fall und es ist unabhängig von dieser Fragestellung. Nichtsdestotrotz ist es häufig eine kostengünstige Lösung, weil Lizenzkosten nicht anfallen. Trotzdem muss Open Source Software auch irgendwie entwickelt werden und das bedeutet auch gewisse Kosten und Aufwendungen. Und diesen Unterschied zu verstehen, ist der eine Punkt, und denn aber auch zu verstehen, welches Potenzial dieses Modell bietet. Ich glaube, da sind wir immer noch dabei und es ist immer noch erklärungsbedürftig."

    Er sieht noch ein weiteres Problem. Vor allem in Deutschland hindere eine gewisse Mentalität von Amts Wegen den Versuch "Open Source".

    "Wo ich noch Nachholbedarf sehe, ist einfach, dass viele öffentliche Stellen, seien es Behörden, seien es Kommunen, Länder oder auch der Bund, viele Dinge ankündigen, aber bis es dann tatsächlich umgesetzt wird, vergeht sehr viel Zeit. Und da gibt es sicherlich auch pragmatischere Herangehensweisen."

    Einige Zeit ist auch in München vergangen. Allerdings ist die Umstellung auf Open-Source-Software und Linux-Betriebssystem dort mehr oder weniger abgeschlossen. Mit Erfolg. Gerade hat die Stadt den Dienstleister it@M für seine neue IT-Infrastruktur gegründet. Dem gehört auch Jutta Kreyss an. Die IT-Architektin berichtet im Gespräch, dass die Stadt trotz der erfolgreichen Linux-Einführung noch immer nicht ganz auf Microsoft-Produkte verzichten kann. Ein großes Problem sei die Kommunikation mit der Europäischen Union. Die setze auf Microsofts "Office Open XML"-Standard, der vielfach inkompatibel zum in München verwendeten Open Office und dem Open Document Format ODF sei. Man habe jedoch viele Ergänzungen zum Code der Office Suite beigesteuert, die die Kompatibilität verbessern würden. Aber den umgekehrten Weg, nämlich Microsoft dazu zu bewegen, dass deren Office Suite ODF unterstützt, sind sie nicht gegangen.

    "Nein das haben wir nicht gemacht. Da sind wir nicht auf Microsoft zugegangen und haben gesagt, wir möchten die Microsoft Office 2010 beziehungsweise Plus-Version kompatibel haben zu ODF 1.2 oder so. Das ist meiner Meinung nach auch ein - leider ein Thema, das man so nicht mehr diskutieren braucht. Also sobald zwei konkurrierende Standards für das selbe Themengebiet auf dem Markt sind, ist Holland in Not. Also es ist ja die Sache einfach die Idee, dass man einen Standard hat für ein Themengebiet und sobald man zwei hat ist das schon schade."