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Wenig Raum für katholische Prämissen

Gibt es noch katholische Intellektuelle? Nein, sagt der Jenaer Zeithistoriker Stefan Gerber. Das liege unter anderem an der Entkirchlichung der Gesellschaft. Protestantischen Intellektuellen sei es dagegen leichter gefallen, mit der Zeit zu gehen.

Stefan Gerber im Gespräch mit Monika Konigorski | 04.10.2013
    Monika Konigorski: Kaum eine Geistesgröße will noch mit dem Attribut "katholisch" in Verbindung gebracht werden. Mit dieser These überraschte der Historiker Stefan Gerber von der Universität Jena kürzlich bei einer Tagung von Katholizismus-Forschern. Herr Gerber, Sie beobachten einen drastischen Rückgang katholischer Intellektueller. Wie kommt das Ihrer Einschätzung nach?

    Stefan Gerber: Es ist natürlich eine zugespitzte These, die man vielfach differenzieren müsste und könnte. Aber insgesamt denke ich doch, ist im deutschen Sprachraum die Tendenz da. Das hat, denke ich, vor allen Dingen damit zu tun, dass man Angst hat, Positionen, die man vertritt, in Philosophie, in Politik, in der Gesellschaft dann sehr stark als ein katholisches Sondergut gekennzeichnet zu sehen, wenn man sich als explizit katholischer Intellektueller bezeichnet. Dass man die Sorge hat, dass die Entgegnung kommt: ja, das mag zutreffen, wenn man katholische Prämissen, wenn man katholische Religiosität, wenn man katholischen Glauben zugrunde legt, aber für eine allgemeine gesellschaftliche Vernunft ist es nicht zutreffend.

    Konigorski: Das war ja auch einmal anders. Nach dem Ersten und auch nach dem Zweiten Weltkrieg gab es eine regelrechte Aufbruchstimmung unter den katholischen Intellektuellen. Was war damals der Grund dafür?

    Gerber: Die alte Welt war zusammengebrochen – das galt besonders nach dem Ersten Weltkrieg. Das Kaiserreich, was es zuvor in Deutschland gab, war ja ein doch stark national-protestantisch, dann auch kultur-protestantisch geprägtes Gemeinwesen gewesen, in dem Katholiken oft das Gefühl hatten, Bürger zweiter Klasse zu sein. Das galt auch für den Intellektuellen-, den Bildungsbereich. Diese Ordnung war jetzt ad absurdum scheinbar geführt, im Weltkrieg zusammengebrochen. Und es war das Gefühl da: Wir sind eigentlich diejenigen, die jetzt übrig geblieben sind, jetzt hat die Stunde des Katholizismus geschlagen. Auch in dieser allgemeinen Orientierungslosigkeit hat die Stunde des Objektiven geschlagen, das der Katholizismus tatsächlich oder vermeintlich verkörpert. Und ein ähnliches Gefühl gab es nach dem Zweiten Weltkrieg. Es ist mal der Begriff geprägt worden: Die Kirche fühlt sich, der Katholizismus fühlt sich als Siegerin in Trümmern, und jetzt gehen wir ohne die Ängste, ohne die Hinderungen, die wir vorher hatten, auf die Moderne, auf die Kultur zu und prägen sie in unserem Sinne.

    Konigorski: Sie sprechen das gerade schon an. Sind das die hauptsächlichen Kennzeichen des katholischen Intellektuellen zu dieser Zeit?

    Gerber: Ja. Der Intellektuelle insgesamt ist ja einer, der in die Öffentlichkeit wirken will, der öffentliche Diskurse prägen will. Und die katholischen Intellektuellen nehmen das so für sich auf: Jetzt sind wir diejenigen, die diese Diskussion wesentlich mitbestimmen, die vielleicht auch neuen Ausgleich hinbekommen können zwischen katholischer Kirchlichkeit und dieser modernen Kultur, die ja im Grunde seit der Aufklärungszeit in einen Gegensatz geraten waren.

    Konigorski: Wenn wir bei der Zeit zwischen den Kriegen bleiben: Welcher Einfluss ging denn von den katholischen Intellektuellen auf die Entwicklung Deutschlands unter den Nationalsozialisten aus?

    Gerber: Es gab zunächst einige katholische Intellektuelle in der Endphase der Weimarer Republik und in der Frühphase des Nationalsozialismus bis 1934 ungefähr, die meinten, dass man einen Brückenschlag wagen könnte, dass es möglich wäre, jetzt das zu verwirklichen, was man sich an Kritik an Liberalismus, an Kritik an Individualismus, auch Kritik an Kapitalismus sehr stark zu eigen gemacht hatte in der Zwischenkriegszeit. Diese Hoffnungen sind aber natürlich schnell enttäuscht worden. Gerade diese Brückenbauer merkten dann sehr schnell, dass das nicht möglich ist, dass sie dafür nicht mehr gebraucht wurden. Und deshalb sind diese Brückenschläge ins Leere gegangen. Die sind dann auch sehr schnell abgebrochen worden.

    Konigorski: Von der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, wo ja auch noch mal eine Aufbruchstimmung war, bis heute: Wie kommt es, dass sich das Image der katholischen Intellektuellen in der Zeit so verändert hat?

    Gerber: Das hängt mit verschiedenen Faktoren zusammen. Zum einen sind natürlich die konfessionellen, die religiösen Verhältnisse uneindeutiger geworden. Das ist ja jedem offensichtlich. Es gibt immer stärker die Frage nach der formalen Kirchenbindung, aber auch die Frage nach der Religion insgesamt. Es gibt also schon so einen Entkirchlichungsprozess, einen Entchristlichungsprozess der Gesellschaft. Also der Hintergrund für diese intellektuelle Stellungnahme ist geringer geworden. Aber es sind natürlich auch die wechselseitigen Enttäuschungen, die wechselseitigen Spannungen, die sich zwischen Katholizismus und Moderne, beziehungsweise dann Nach-Moderne ergeben haben.

    Das Zweite Vatikanische Konzil wollte ja mit Kraft und mit Optimismus auf diese neue Zeit, auf die Gegenwart zugehen. Aber so ganz einfach, wie man sich das in den 60er-Jahren vorgestellt hat, ist es dann doch nicht gewesen. Und deshalb gibt es einerseits sozusagen die Abwehr der Zeit, der Zeitkultur oft gegen katholische Positionen, das muss man ja auch sehen. Aber andererseits eben auch die Angst oder diese Zurückhaltung katholischer Intellektueller, sich in öffentliche Diskurse einzubringen, stärker mit ihren Positionen, weil man eben diese Abwehr auch fürchtet. Es ist also so ein wechselseitiges Problem.

    Konigorski: Wie sieht es denn – überkonfessionell gesprochen – mit christlichen Intellektuellen aus? Ist es für Protestanten leichter, sich zu ihrer Konfession zu bekennen?

    Gerber: Es ist für protestantische Intellektuelle zumindest leichter, sich in der Moderne und dann auch in der Zeit danach zu verorten, weil es eben einfach eine stärkere Verbindung selbst zwischen diesen Zeittendenzen, zwischen Moderne und Protestantismus gibt. Der Protestantismus konnte sich – zumindest als Kulturprotestantismus, als ein auch von der Kirche doch entfernter Protestantismus – immer stärker als ein Kind der Moderne verstehen oder selbst betrachten. Deshalb ist es protestantischen Intellektuellen eben oft leichter gefallen, dann auch mit der Zeit zu gehen.
    Konigorski: Ist denn das ein wesentliches Kriterium des Intellektuellen heutzutage?

    Gerber: Das ist eben genau die Frage. Man hat den Intellektuellen im Grunde auch seit der Aufklärung, seit dem 19. und Beginn des 20. Jahrhunderts, doch immer als einen verstanden, der als gewissermaßen Agent der Moderne, als Agent des Fortschritts, wie man ihn damals noch relativ optimistisch verstand, als Agent der Emanzipationsprozesse betrachtet, die mit der Aufklärung, mit dem 18. Jahrhundert in Gang gekommen waren. Und hat ihn weniger als denjenigen gesehen, der diese Prozesse kritisiert. Da war man schnell dabei, ihn als Gegen-Intellektuellen zu bezeichnen oder ihn gar nicht als Intellektuellen anzuerkennen, und wollte eben nicht sehen – und ich denke, das sieht man in unserer Zeit wieder stärker -, dass diese Kritik an der Moderne, die Kritik an diesen Prozessen, die im modernen Europa in Gang gekommen sind, genauso genuin dazugehört wie eben auch all die Prozesse, die wir mit den Schlagworten – es sind ja Schlagworte - Aufklärung und Liberalismus, Emanzipation verbinden.


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