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Wenig Vertrauen in frische Führungskräfte

Selbst organisiert, flexibel, innovativ, kreativ, eigenständig und allzeit bereit: So sollen die Führungskräfte von morgen in Wirtschaft und Wissenschaft aussehen. Laut einer Studie der TU Berlin zur "Generation 35plus" fehlt es jedoch häufig an Vertrauen in die hoch qualifizierten Spitzenleute.

Von Susanne Arlt | 16.10.2013
    Karriere wollen die Hochqualifizierten und Führungskräfte der Generation 35plus ganz sicher machen. Nur lässt man sie nicht so richtig, weder in der Wirtschaft noch in der Wissenschaft, und das kann fatale Folgen haben. Zu diesem Schluss kommt die Soziologin Christiane Funken in ihrer neuen Studie Aufstieg oder Ausstieg.

    Dazu hat die die Professorin an der Technischen Universität Berlin gemeinsam mit ihren Kollegen Sinje Hörlin und Jan-Christoph Rogge fünfzig Spitzenleute aus der Wirtschaft und Wissenschaft befragt. Die Tiefeninterviews wurden anonym durchgeführt, im Mittelpunkt standen Karrieremotive und Karrierestrategien, erläutert Christiane Funken:

    "Wir wollten wissen, wie geht es denjenigen, die in den nächsten Jahren und Jahrzehnten die Spitzenpositionen in Wirtschaft und Wissenschaft einnehmen werden. Wie sind die gestrickt, worauf reagieren sie, welche Motive haben die und als Allererstes, welche Erfahrungen haben die. Denn das wird für die wirtschaftliche als auch für die wissenschaftliche Zukunft von zentraler Bedeutung sein."

    In beiden Arbeitswelten, Wissenschaft und Wirtschaft, ließen sich fundamentale Veränderungen beobachten, erläutert Funken. In der Wirtschaft würden Hierarchien abgebaut, man arbeite vermehrt in Projekte und mit Teams. Diese Ansprüche kreieren eine andere Arbeitsmentalität als noch vor 25 Jahren. Diese neue Spezies Führungskraft soll selbst organisiert sein, flexibel, innovativ und kreativ und gerne auch mal am Wochenende durcharbeiten, wenn es sein muss.

    Auf der einen Seite erwarten die Chefs eine hohe Eigenständigkeit von ihren führenden Angestellten. Auf der anderen Seite gewährten die Unternehmen diese Autonomie ihren Angestellten oftmals nicht, kritisiert die Soziologin. Wenn es zum Beispiel darum geht, früher nach Hause zu gehen, um die Kinder zu versorgen und dann von daheim zu arbeiten:

    "Es ist so, dass die Strukturen immer noch sehr träge sind, sehr starr sind. Dass es oft heißt, dass die Ideen, die vorgebracht werden, die Kreativität, der ungeheure Einsatz, den diese Leute leisten, letztendlich nicht gewürdigt wird und abgebremst wird."

    Vor allem aber fehle es an Vertrauen. Diesem Problem sind alle Beteiligten ausgesetzt, aber nicht alle gehen in gleicher Weise damit um. Unter den Führungskräften in der Wirtschaft bilden sich laut Funken drei Gruppen heraus: der Kulturkritiker, der Dynamiker und der Entschleuniger. Während die Angehörigen der beiden ersten Gruppen trotz aller Enttäuschungen weiterhin aufstiegsorientiert bleiben, will sich der Entschleuniger diesem Konkurrenzkampf nicht weiter unterwerfen. Er resigniert.

    "Das Erstaunliche ist, dass diese sogenannten Entschleuniger hoch qualifiziert sind und vom Unternehmen hochgespült worden sind. Also die sind geradezu von ihren Chefs von ihren Chefinnen erkannt worden als high potentials, und die verweigern sich jetzt."

    Und gehen dem Unternehmen somit als wichtige Arbeitskraft verloren. Hier müsse seitens der Unternehmen ein Bewusstseinswandel stattfinden, fordert die TU-Professorin. In der Wissenschaft sehe es nicht viel besser aus. Auch dort hat ein Strukturwandel stattgefunden in Form einer massiven Wettbewerbssteigerung. Über 40.000 befristete Stellen für Nachwuchswissenschaftler seien in den vergangenen Jahren geschaffen worden. Dem gegenüber gebe es aber nur 460 zusätzliche Professorenstellen.

    "Und das Problem ist, es gibt hier nur ein Ziel. Es gibt keine Zwischenetappen wie in der Wirtschaft, es gibt keine Seitenwege wie in der Wirtschaft. Sie können auch nicht auf der Position bleiben, auf der sie sind, wie in der Wirtschaft, sondern zwischen Hartz IV und Professur gibt es nichts."

    Auch in der Wissenschaft lassen sich drei Handlungsmuster erkennen und wie folgt beschreiben: die Hoffnungsvollen, die Fatalisten und die Spielverweigerer. Während die ersten beiden Gruppen weiterhin aufstiegsorientiert sind, lehnen die Spielverweigerer ihr berufliches Weiterkommen einfach ab.

    "Es wird Potenzial verschleudert, es wird Wissen verschleudert, es wird Kreativität, Engagement, Eigenleistung verschleudert und wird geradezu kaputtgemacht, kann man fast sagen, in der Wissenschaft genauso wie in der Wirtschaft."

    Für Christiane Funken ist es darum allerhöchste Zeit, diesen Missverhältnissen auf den Grund zu gehen und sie abzuschaffen. Denn in einer wetteifernden Welt können sich dies weder die deutsche Wirtschaft noch die Wissenschaft leisten.