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Weniger Satire als "harmloser Bildungsstoff"

Der Comic über das Leben des Propheten in einem Sonderheft der französischen Satire-Zeitung "Charlie Hebdo" sei weniger satirisch als vielmehr pädagogisch motiviert, sagt Jürgen Ritte. Was Imame daraus machten, die an Bilderverboten festhielten, müsse man abwarten, so der Literaturwissenschaftler.

Jürgen Ritte im Gespräch mit Michael Köhler | 02.01.2013
    Michael Köhler: Wollen Sie jemandem mal richtig so eins auswischen? Sagen wir, das falsche oder kritische Wort über Israels Siedlungspolitik bietet sich da an, und schon ist man ein kleiner Streicher. Der Polemiker und Publizist Henryk Broder nannte den Publizisten Jakob Augstein wegen dessen Kritik an Israels Politik einen Gestapo-Mann und Little Streicher. Prompt landete Augstein auf der Liste des Simon-Wiesenthal-Zentrums der zehn gefährlichsten Antisemiten in der Welt, zusammen mit dem iranischen Präsidenten. Die einen hauen sich bei so viel Chuzpe auf die Schenkel, den anderen bleibt die Spucke weg und die Dritten wissen schon nicht mehr, wer Julius Streicher, Herausgeber des Juden-Hetzblattes "Der Stürmer", war. Gedeckt wird solch rauer Ton oft mit dem Argument der freien Meinungsäußerung oder der Satire. Satire darf gemein sein, aber sie muss nicht verächtlich wirken, das kann rasch den öffentlichen Frieden gefährden. Und das war in Frankreich etwa der Fall, als die Satire-Zeitung "Charlie Hebdo" mit provokanten Mohammed-Karikaturen für Aufsehen sorgte und die muslimische Bevölkerung aufbrachte. Heute ist der neue Comic-Band "Das Leben Mohammeds" an die Kioske gekommen. Was ist das, eine biografische Nachlese, wieder ein Ärgernis?

    Die französische Satire-Zeitung "Charlie Hebdo" hat ein Heft über das Leben des Propheten veröffentlicht. Das Magazin sorgte bislang mit provokanten Mohammed-Karikaturen immer wieder für Aufregung unter der muslimischen Bevölkerung Frankreichs und das Heft mit dem Titel "Das Leben Mohammeds" kam heute für sechs Euro an die Kioske. Nach Darstellung der Macher ist es nicht Karikatur, es ist auch nicht Satire, Jürgen Ritte in Paris, sondern was ist es dann?

    Jürgen Ritte: Pädagogik. Es ist in der Tat weder Karikatur noch Satire. Es ist die Darstellung des Lebens Mohammeds für vielleicht die weniger Bedarften, die die Texte, die sakralen Texte des Islam nicht gelesen haben, nicht zur Kenntnis genommen haben, denen man sie nicht nahegebracht hat und die sich mittels dieses Heftchens über die ersten 40 Jahre im Leben des Mohammed kundig machen können. Erst von da an hat Mohammed ja seine Berufung wirklich begriffen und es beginnt sein eigentliches missionarisches Wirken. Das kommt dann in einem späteren Heft, dessen Ankündigungsdatum wir noch nicht kennen.

    Köhler: Das klingt nüchtern, aber es ist doch hoffentlich wenigstens ein Comic, oder?

    Ritte: Es ist ein Comic, in der Tat, ein Comic mit sehr viel Text und vor allen Dingen – das ist wohl einzigartig in der Geschichte der Comics – mit 90 Fußnoten, 90 Fußnoten, die man wissenschaftlich nennen kann. Denn diese Fußnoten belegen jeden Satz, der Mohammed hier in den Mund gelegt ist und der über ihn gesagt wird, anhand der heiligen Quellen, sodass das Buch, der Comic unangreifbar ist in der sachlichen Ebene.

    Köhler: Das verwundert dann doch! Also, ein auf Quellenlage basierender Bericht, er ist mit Belegstellen versehen, sagen Sie, mit Fußnoten, also eine quasi von Mohammed autorisierte Ausgabe in Zeiten der Plagiatskultur?

    Ritte: Ja, garantiert halal, sagt "Charlie Hebdo" selber, also garantiert religionskompatibel. Es erinnert mich ein bisschen an Fibeln, die Kindern in Deutschland oder in Frankreich, also im christlichen Abendland in die Hand gegeben werden, wenn sie den Katechismus vorbereiten oder wenn sie ganz einfach in den Religionsunterricht gehen, denen mit kleinen Bildchen, also auch im Grunde genommen schon im Comic-Stil, im Stil der Bandes dessinées das Leben Jesu nacherzählt wird, weil heute keiner mehr dicke Bücher lesen will. Und so ähnlich ist es hier auch, hier wird sein Leben nacherzählt. Allerdings eben von Charb nachgezeichnet und Charb, sein Markenzeichen sind diese kleinen gelben Männchen und dicken Nasen und Glubschaugen und die auch immer etwas deprimiert und verknittert aussehen. Wer sich jetzt ans Bildverbot hängt, kann das natürlich wieder skandalös finden, dass Mohammed ein kleines gelbes Männchen ist.

    Köhler: Sah eher harmlos bis sympathisch aus! Also, ich habe das Titelblatt gesehen, Mohammed zieht da ein Kamel durch die Wüste, geht barfuß. Das ist zunächst noch nicht anstößig. Ist das vielleicht unterm Strich das Ergebnis: keine Satire mehr, harmloser Bildungsstoff?

    Ritte: Keine Satire mehr, harmloser Bildungsstoff … Wir werden sehen, wie harmlos es ist, bei den Reaktionen. Charb schreibt selbst im Nachwort: Wir wissen nicht, wie Mohammed aussah, das wissen wir genau so wenig, wie Jesus aussah, aber wir wissen, wie die Fundamentalisten, Integristen und andere Extremisten aussahen, die in seinem Namen töten, die in seinem Namen Gewalt anwenden. Und es geht wirklich darum, das ist also die ganz einfache pädagogische Dimension dieser Geschichte, es geht wirklich darum, sein Leben nachzuerzählen und vor allen Dingen denen vielleicht nachzuerzählen, den muslimischen Teilen der Bevölkerung nachzuerzählen, denen das Leben des Mohammed genau so unbekannt ist und die sich indoktrinieren lassen von irgendwelchen Mullahs, Imamen, die an Bilderverboten und solchen Dingen festhalten, die es in den heiligen Schriften überhaupt nicht gibt.

    Köhler: Es bleibt aber so etwas wie der Konflikt zwischen freier Meinungsäußerung und Schutz des öffentlichen Friedens. Bisher hat das in Paris heute noch nicht zu Unruhen geführt, oder?

    Ritte: Das hat in keiner Weise zu Unruhen geführt, die Presse hält sich allerdings auch bisher noch mit Reaktionen weitgehend zurück. Aber es gibt meines Erachtens auch wirklich keinen Grund, beunruhigt zu sein. Hier ist keine Provokation zu sehen, es sei denn, noch einmal, man will sich provozieren lassen. Und derjenige, der sich provozieren lassen will, findet natürlich immer irgendwo etwas, und hier dürfte er höchstens sich am Bilderverbot stoßen oder daran, in zweiter Konsequenz, dass Mohammed, wie gesagt, nur ein gelbes Männchen ist. Aber das sind ja bei Charb alle!

    Köhler: Sagt Jürgen Ritte, Mohammed mit Fußnoten belegt und autorisiert, also kein Fall von Plagiat oder Titelaberkennung oder gar böswilliger Karikatur.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.