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Weniger verschult, stärker vertiefend

Die Proteste gegen die Umsetzung des Bologna-Prozesses haben zumindest am Bodensee gefruchtet: Die private Zeppelin-University in Friedrichshafen verlängert alle ihre Bachelor-Studiengänge von bislang drei auf vier Studienjahren. In dieser Form ist dies ein bundesweit einmaliger Schritt.

Von Thomas Wagner | 03.01.2011
    Die Zeppelin-University reagiert auf die Kritik an der Umsetzung des Bologna-Prozesses. Ab dem Herbstsemester 2011 wird die Regelstudienzeit aller Studiengänge von drei auf vier Semestern ausgeweitet. Präsidiumsmitglied Tim Göbel:

    "Das war sicherlich der Punkt, dass bei diesem Schnelligkeits-Wahn der Bologna-Zeiten ein bisschen die Idee verloren gegangen ist, das Studium etwas mit Selbststudium zu tun hat, mit Zeiten, die man braucht, um sich wissenschaftliches Arbeiten zu erschließen, um einige Themen zu identifizieren, mit denen man sich beschäftigen möchte, um vielleicht umzustellen von reiner Vermittlung von Wissen auf dann Ermittlung von Wissen."

    Dies sollte, sagen die Bildungsplaner an der kultur- und wirtschaftswissenschaftlich ausgerichteten Zeppelin-University, eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Doch die dreijährigen Regelstudienzeiten bis zum Bachelor hätten zu einem verschulten Studienplan geführt. Selbstständiges wissenschaftliches Arbeiten komme dabei viel zu kurz.

    Daneben bleibe bei einer dreijährigen Regelstudienzeit wenig Raum für studienbegleitende Angebote und für Auslandsaufenthalte. All dies sei aber wichtig. Schließlich ist der Bachelor als selbstständiger, vollwertiger Hochschulabschluss geplant - und eben nicht nur als "Durchgangsstation" zu einem darauf folgenden Masterstudium.

    Dabei ist die Verlängerung der Regelstudienzeiten von drei auf vier Jahren im internationalen Vergleich nichts unbedingt Neues. "Alles schon mal da gewesen" sagt Professor Eckhard Schröter, der an der Zeppelin-University Verwaltungswissenschaften lehrt. Schröter weißt darauf hin ...

    " ... dass es in vielen Ländern, gerade auch in Nordamerika und in Großbritannien, Erfahrungen zunächst mit dreijährigen Bachelor-Programmen gab, die aber dann sehr schnell, in den 70er- und 80er-Jahren, fast vollständig auf vierjährige Programme übertragen worden sind. Und das hat natürlich auch etwas mit den dortigen Anforderungen zu tun gehabt, so dass ich mir nicht vorstellen kann, dass es in Europa eine wesentlich andere Entwicklung gibt, wenn wir uns an den gleichen Standards orientieren."

    Hinzu kommt: Die Studienanfänger werden immer jünger. Zwölf Jahre Gymnasium statt bisher 13, zudem der Wegfall von Wehr- und Zivildienst bei den Männern - da könne man das zusätzliche Jahr in der Hochschulausbildung durchaus verschmerzen. So sehen das auch viele Studierende selbst. Irina Spokoinyi und Hanning von Spiegel studieren in Friedrichshafen 'Corporate Management and Economics‘ - und befürworten die vierjährige Regelstudienzeit:

    "Ich glaub‘, der wesentliche Unterschied ist, dass man im Studium die Chance hat, all die Möglichkeiten, die man kennen lernt, zu vertiefen, dass man plötzlich die Zeit hat, die Zeit auch zu nehmen, mit einem Thema sich intensiv zu beschäftigen. Und das ist ganz wichtig. Da muss man schon auch mal auf Selbststudium gehen. Und die Möglichkeit hat man im vierjährigen Bachelor-Studium im Gegensatz zum dreijährigen."

    "Ich stehe kurz vor dem Abschluss meines Studiums. Die bisherigen zweieinhalb Jahre waren relativ vollgepackt mit Projekten. Ich betrachte das Studium als elementare Erfahrung meines Lebens. Ich betrachte es auch als Selbstfindungsphase. Und deswegen würde ich auch dieses zusätzliche Jahr immer begrüßen."

    Mit der Umstellung ihrer gesamten Bachelor-Studiengänge ist die Zeppelin-University bundesweit Vorreiter. Doch auch staatliche Hochschulen gehen daran, einzelne Studiengänge zu reformieren. Die Unis Konstanz und Tübingen wollen im Rahmen eines Pilotversuchs ihre Psychologie- und Physikstudiengänge von drei auf vier Jahren ausweiten. Margret Wintermantel, Präsidentin der Hochschul-Rektorenkonferenz, schaut zudem neugierig darauf, was die Zeppelin-University am Bodensee da ausprobiert:

    "Es gibt ja eine Kritik an der Verschulung und an der Tendenz zur Verschulung in manchen Bachelor-Programmen. Und dem muss man entgegentreten: Die Studierenden sollen eigenständig lernen. Und sie sollen in gewisser Weise Zeit haben, ihre Kompetenzen zu erwerben und ihr Wissen aufzubauen. Ich würde nicht grundsätzlich sagen: Alle Bachelor-Studiengänge sollten jetzt alle eine bestimmte Länge haben. Das muss man einfach abhängig davon machen, was das Ziel ist, was die Kompetenzen sind, die aufgebaut werden sollen. Und dann kann man im Rahmen der europäischen Studienarchitektur natürlich auch vierjährige Bachelors machen."

    An der Zeppelin-University in Friedrichshafen geht der Umbau der Bachelor-Studiengänge ohnehin über die zeitliche Verlängerung hinaus. Beispiel: Das so genannte "Humboldt-Jahr" in den letzten beiden Semestern. Hier geht es um Projektarbeit der Bachelor-Studierenden, die in dieser Form innerhalb der dreijährigen Regelstudienzeit nicht möglich wäre. Tim Göbel vom Hochschul-Präsidium:

    "Im Humboldt-Jahr hat der Student die Möglichkeit, ein vollständiges Jahr in Begleitung eines Professor zu einem eigenen Thema zu arbeiten und auch ein Ergebnis zu präsentieren: Sei das jetzt eine wissenschaftliche Arbeit, eine Ausstellung - das kann ein Kongress sein, der organisiert wird. Das muss nicht zwingend in Friedrichshafen am Bodensee realisiert werden. Das kann auch bei unseren Partnern in Berkley und in Berlin der Fall sein. Und ich glaube, das ist wirkliche Eigenzeit, die im Studium dann ermöglicht wird."