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"Wenn alle Stricke reißen, gibt es keinen Kompromiss"

Auch der Koalitionspartner FDP werde einsehen müssen, dass Studienbeiträge in Bayern nicht mehr mehrheitsfähig seien, meint CSU-Politiker Oliver Jörg. Falls sich die Liberalen einer Abschaffung widersetzten, sehe sich die CSU gegebenenfalls nicht an den Koalitionsvertrag gebunden.

Fragen von Christiane Kaess an Oliver Jörg | 31.01.2013
    Christiane Kaess: Er wird wohl kommen, der Volksentscheid zu Studiengebühren in Bayern. Das Ergebnis des Volksbegehrens, das dem vorangeht, wird heute Vormittag bekannt gegeben. Bis gestern Abend konnten sich die Wahlberechtigten in Unterschriftenlisten eintragen. Zehn Prozent müssen es sein, damit ein Volksentscheid stattfinden kann. Nach bisherigen Informationen wird das Quorum höchst wahrscheinlich erreicht. Und das wird nicht nur Auswirkungen auf die Studierenden haben, sondern auch auf die bayerische Regierungskoalition aus CSU und FDP. Der Zankapfel Studiengebühren hat dort, so glauben manche Beobachter und drohten manche CSU-Politiker, das Zeug, die Koalition zu sprengen.

    Am Telefon ist jetzt der CSU-Politiker Oliver Jörg. Er ist Vorsitzender im Ausschuss Hochschule, Forschung und Kultur im bayerischen Landtag. Guten Morgen!

    Oliver Jörg: Guten Morgen!

    Kaess: Herr Jörg, das Quorum wird aller Voraussicht nach erreicht. Wird der Landtag das Anliegen direkt umsetzen, oder ablehnen? Womit rechnen Sie?

    Jörg: Das lässt sich jetzt noch nicht ganz prognostizieren. Die CSU-Landtagsfraktion steht dafür, dass sie die Studienbeiträge abschaffen will, so schnell wie möglich abschaffen will und eigentlich auch dann parlamentarisch abschaffen möchte.

    Kaess: Aber rein aus Koalitionstreue müssten Sie ja mit der FDP stimmen, denn würden Sie anders votieren, könnte die FDP das Bündnis platzen lassen?

    Jörg: So weit würden wir es nicht kommen lassen wollen, aber das ist genau der springende Punkt. Entweder die FDP-Landtagsfraktion stimmt dem zu, dass wir in dieser Frage nicht an den Koalitionsvertrag gebunden sind, oder wir sehen uns möglicherweise auch an den Koalitionsvertrag nicht gebunden, denn der Koalitionsvertrag regelt nicht die Fragestellung, wie wir damit umgehen, wenn die Bürgerinnen und Bürger in Bayern mit einem Volksentscheid etwas anderes wollen, als der Koalitionsvertrag vorsieht. Und wenn jetzt auch ...

    Kaess: Also Sie haben da ein kleines Hintertürchen?

    Jörg: Ja. Wenn jetzt nach einer Umfrage die Bayern klar sagen, mit 72 Prozent, dass sie die Studienbeiträge nicht mehr wollen, dann stellt sich für uns die Frage, ob das Prozedere einer Wahl wirklich durchzuführen ist. Das kostet ja auch Steuermittel und möglicherweise kann man dann auch vorgezogen argumentieren, dass wir in dieser Frage, wenn die Bürgerinnen und Bürger das wollen, nicht gebunden sind an den Koalitionsvertrag.

    Kaess: Das heißt, aus Ihrer Sicht würden Sie dann auch gar nicht vertragsbrüchig?

    Jörg: So kann man zumindest auch guter Auffassung sein.

    Kaess: Sieht das die FDP genauso?

    Jörg: Ich gehe nicht davon aus.

    Kaess: Wie wollen Sie denn einen Kompromiss finden?

    Jörg: Wenn alle Stricke reißen, gibt es keinen Kompromiss. Dann werden die Bürgerinnen und Bürger in der Tat entscheiden. Spätestens, wenn dann der Volksentscheid hinter uns ist, dann wird auch die FDP einsehen müssen, dass Studienbeiträge in Bayern nicht mehr mehrheitsfähig sind.

    Kaess: Und wo sehen Sie auf Seiten der FDP Anzeichen, dass die zu einem Kompromiss bereit sein könnte?

    Jörg: Im Moment verhandelt unser Fraktionsvorsitzender mit der FDP und dann wird man einfach mal schauen müssen.

    Kaess: Was dringt da nach außen über die Position der FDP? Was sagt die?

    Jörg: Die FDP signalisiert eigentlich – und das gehört zur Ehrlichkeit dazu – bis zum jetzigen Zeitpunkt ganz klar, dass sie an den Beiträgen festhalten will und letztlich die Bürgerinnen und Bürger auch befragen will, also das Ergebnis schriftlich in Händen haben will.

    Kaess: Aber die FDP hat ja auch ein gutes Argument: Die CSU fällt um, die FDP nicht.

    Jörg: Von Umfallen kann in keinem Fall die Rede sein. Wir müssen einfach erkennen, dass sich gesellschaftspolitisch innerhalb von vier Jahren was verändert hat, seitdem wir einen Koalitionsvertrag abgeschlossen haben. Bayern steht so gut da wie noch nie in der Geschichte und wir sind mittlerweile, auch nachdem in Niedersachsen Studienbeiträge fallen werden, das letzte Bundesland, in dem Studienbeiträge erhoben werden. Das ist schon auch in der Bildungspolitik ein Wettbewerbsnachteil.

    Kaess: CSU-Chef Horst Seehofer hat ja zuletzt immer argumentiert, entweder die Koalition schaffe die Studiengebühren ab, oder das Volk tue dies. Warum ist denn eigentlich die Angst vor dem Wähler so groß?

    Jörg: Die ist überhaupt nicht groß. Wir sehen nur, dass sich viel verändert hat, nicht nur in Bayern, sondern in Deutschland. Es ist nicht mehr vermittelbar in Bayern, dass Bayern über die Hälfte des Länderfinanzausgleiches bedient und die anderen Bundesländer, insbesondere die Nehmerländer, keine Anstrengungen unternehmen, um entsprechend Sparmaßnahmen einzuleiten. Insbesondere verlangen sie keine Studienbeiträge von ihren Studierenden, und das versteht ein Bayer nicht mehr.

    Kaess: Aber das ist ja in der CSU mal ganz anders gesehen worden. Die Argumente für die Einführung der Studiengebühren waren ja, das macht die Unis besser, wir wollen mithalten mit dem Ausland, wo Studiengebühren verlangt werden, der Student identifiziert sich stärker mit der Uni, wenn er Studiengebühren zahlen muss. Und das alles gilt jetzt nicht mehr?

    Jörg: Völlig richtig. Die Argumente besitzen nach wie vor Gültigkeit. Aber Sie können in der Tat die anderen Argumente, die sich ja verstärkt haben, weil im Laufe der Jahre die anderen Bundesländer mit ihren Studienbeiträgen alle weggebrochen sind, weil es in Bayern wirtschaftlich so gut geht wie eben vor vier Jahren noch nicht, oder vor sieben Jahren, als sie eingeführt wurden, und vor allem, weil wir zum ersten Mal über 50 Prozent im Länderfinanzausgleich bedienen, diese Argumente alle existierten vor sieben Jahren nicht und dann müssen Sie eben auch bereit sein, nach einigen Jahren abzuwägen.

    Kaess: Da sprechen Sie ja indirekt die zusätzlichen Steuereinnahmen an. Aber da haben Sie ja schon das nächste Problem mit dem Koalitionspartner, denn die FDP will diese zusätzlichen Millionen in die Schuldentilgung stecken.

    Anstehen gegen Studiengebühren in München auf dem Marienplatz
    Anstehen gegen Studiengebühren (dpa / Frank Leonhardt)
    Ziel: 2030 ohne Schulden in Bayern
    Jörg: Diese Zielrichtung ist auch eine gute und wir sind das einzige Bundesland, das überhaupt mit einem ausgeglichenen Haushalt samt Rückzahlung von Schulden arbeiten kann. Wir machen das, wir haben das jetzt auch im kommenden Doppelhaushalt vorgesehen, aber wir müssen es auch nicht über Gebühr machen. Wir haben eine Zielvorstellung, dass wir 2030 unsere gesamten Schulden in Bayern abgetragen haben, und mit den ungefähr 1,7 Milliarden, die wir jetzt insgesamt schon in zwei Jahren abzahlen, inklusive des Jahres 2014 dann im Doppelhaushalt, haben wir da schon ganz wichtige Schritte und da sind wir im Zeitplan und das genügt.

    Kaess: Und die Universitäten – das haben wir im Beitrag gehört – erwarten eine Kompensation. Welche Garantien können Sie denn geben?

    Jörg: Wir haben jetzt schon bereits zumindest Kompensationsmittel für die gesamten Personalkosten eingestellt. Das sind für das Rumpfjahr 2013 45 Millionen und für das kommende Jahr sind schon mal 100 Millionen reserviert. Gerne sage ich natürlich als Hochschulpolitiker, dass das noch ein Stück weit mehr sein darf, aber auch dort haben wir vorgesorgt.

    Kaess: Herr Jörg, bei den Problemen, die Sie mit Ihrem Koalitionspartner, der FDP, rund um dieses Thema haben, hinter dem Bündnis gegen die Studiengebühren stehen ja die Freien Wähler als Initiatoren. Sind das Vorzeichen für eine neue mögliche Regierungskoalition in Bayern?

    Jörg: Nein! Wir werden in Bayern im Herbst neu wählen und unser Wahlkampf ist auf die CSU selber ausgerichtet. Wir werden schauen, dass wir mit unserer Politik überzeugen. Unterm Strich haben wir aber auch mit der FDP wirklich eine gute Arbeit in den letzten vier Jahren erledigt. Das ist ja auch nur eines von vielen, vielen politischen Themenfeldern, die Studienbeiträge. Ansonsten ist das Verhältnis zwischen FDP und CSU ein gutes und auch ein erfolgreiches für Bayern. Es ist ein offenes Geheimnis, dass wir auch zukünftig gerne mit der FDP wieder zusammenarbeiten würden.

    Kaess: ... , sagt der CSU-Politiker Oliver Jörg. Er ist Vorsitzender im Ausschuss Hochschule, Forschung und Kultur im bayerischen Landtag. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Jörg!

    Jörg: Gerne! Auf Wiederhören!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    Bayerns Finanzminister Markus Söder und CSU-Chef Horst Seehofer
    Bayerns Finanzminister Markus Söder und CSU-Chef Horst Seehofer (picture alliance / dpa / Daniel Karmann)