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Wenn das Lachen im Hals stecken bleibt

Ein Club der emotionalen Versager trifft sich in Sebastian Orlacs "Verteidigung der Himmelsburg". Seine Hauptpersonen blockieren sich selbst und einander, sie schaffen es nicht, aus ihren Krisen herauszukommen, sondern machen irgendwie weiter, als hätten sie das richtige Leben noch vor sich.

Von Eva Pfister | 28.08.2006
    In der Show des Scheiterns treten mutige Menschen auf, stellen ihr Herzensprojekt vor und erzählen, wie es gescheitert ist. Zum Trost spielt eine Balaleika-Combo - und Papiere, auf denen das Projekt beschrieben ist, werden rituell geschreddert. In der Show des Scheiterns, die Sebastian Orlac moderiert, wird viel gelacht, und zuweilen bleibt einem das Lachen im Hals stecken.

    Diesen ironischen und ambivalenten Umgang mit dem Scheitern findet sich auch im Roman "Verteidigung der Himmelsburg", mit dem Sebastian Orlac nun unter die Schriftsteller gegangen ist. Es ist durchaus komisch, wie die Schauspielerin Fionna sich bemüht, Familie zu spielen: Wie sie Eltern und Schwiegereltern zusammen zwingt, wie sie plötzlich ein Wohnzimmer einrichten will mit Sofa und allem, was dazugehört.

    Fionna erwartet nämlich ein Kind, ihr zweites, aber es ist nicht so klar, ob dieses Kind von ihrem Ehemann Markus gezeugt wurde. Denn da war diese Nacht mit Paul. Eine alkoholgetränkte Nacht, die Fionna nicht mehr so genau in Erinnerung ist. Markus ahnt etwas, aber er ist ein Mann, der mit dem eigenen Leben schwer zurechtkommt und die energische Fionna an seiner Seite braucht. "Verteidigung der Himmelsburg" könnte man als Roman über das Scheitern von Lebenskonzepten auffassen, eine Lesart, die Sebastian Orlac durchaus zusagt:

    "Ich habe mich, während ich den Roman geschrieben habe, parallel auch viel mit dem Scheitern beschäftigt, eben aufgrund der Geschichten, die bei der Show des Scheiterns auftauchen, und insofern gibt es eine gewisse Faszination für Menschen, die etwas wollen und es dann nicht ausleben oder mit ihren Ideen versanden. "

    Wirklich begabt zur Familie ist eigentlich nur Fionnas Freundin Emma, wahrscheinlich deshalb, weil ihre Eltern sehr früh bei einem Unfall ums Leben kamen. Emma geht oft zu Familienaufstellungen, dieser Therapieform, bei der man mit Stellvertretern seine familiäre Konstellation um sich herum aufbaut, um dann die Gefühle zu untersuchen, die daraus entstehen. Sie ist treu und zuverlässig, und kümmert sich gerne auch um Fionnas Tochter Julia, für die ihre Eltern nie so recht Zeit haben.

    Dennoch ist Emma die psychisch Labilste in diesem Club der emotionalen Versager. Sie träumt sich in andere Welten, fürchtet sich schon mal vor Mülleimern und verliert auch sonst öfter die Orientierung. Emma ist aber auch die Figur, vor der Sebastian Orlacs Ironie halt macht und so scheint es beinahe, als wäre sie seine heimliche Lieblingsfigur.

    "Ich mag bei allen Vieren Teile ihrer Schwächen, aber grundsätzlich habe ich, glaube ich, keine Lieblingsfigur in dem Roman, sondern ich finde sie eigentlich alle eher unsympathisch. Was ich daran unsympathisch finde, ist, dass die es nicht schaffen, aus ihren Krisen wirklich initiativ zu werden. Das ist halt nun mal eine Studie darüber, wie man sich selber blockieren kann. "

    Markus lässt sich Jobs andrehen, bei denen er sich nutzlos vorkommt, ohne dass er sich zu einer Veränderung aufraffen kann. Paul arbeitet verbissen an einer Riesenameise, die das Werbemaskottchen für eine politische Partei werden soll. Dabei verheddert er sich derart im Material, dass er schließlich festklebt. Emma befreit ihn aus dem Kleister, denn Paul und Emma sind ein Paar geworden, er hat sich nämlich in ihre Stimme verliebt: es ist die Synchronstimme von Jodie Foster.

    Zu diesen zwei Paaren, zwischen denen vieles nicht so ganz stimmt, stellt Sebastian Orlac noch entsprechend skurrile Elternpaare und Fionnas Tochter Julia. Sie hat zwar zwei Mütter, wie sie gerne erzählt, aber sie wirkt auch ziemlich verloren in dem Beziehungsgeflecht der vier Erwachsenen. Zwei Frauen und zwei Männer sowie ein Kind sind also die Hauptfiguren dieses Romans, und der Autor schlüpft abwechselnd in alle hinein. Warum hat er diese Vielfachperspektive gewählt?

    "Ein Ausgangspunkt war ganz wichtig, diese Familienaufstellung, der ich einmal beigewohnt habe, von der ich vom Vorgang her sehr fasziniert war, auch abgestoßen, und diese Art Modell der Aufstellung, das hat sich im Roman fortgesetzt, dass diese vier Figuren in bestimmte Situationen immer gestellt werden, und ich geguckt habe, was machen die dort.

    Eher so hat sich diese wechselnde Perspektive ergeben - das andere war, dass es sehr missverständliche Meinungen dieser Figuren von den anderen gibt, und das kann man sehr schön zeigen, in dem man mal die Sicht des einen, dann die Sicht des anderen zeigt, und merkt, die denken eigentlich dasselbe, aber sie machen sich das Leben wahnsinnig schwer."

    Sebastian Orlac hat am Theater gearbeitet, Drehbücher geschrieben und Fernsehformate entworfen. Er ist Mitbegründer von "Kulturmaßnahmen", einem Drei-Mann-Unternehmen, das sowohl die "Show des Scheiterns" erfunden hat als auch das "Anton-Reiser-Werk-Stipendium", beides kulturelle Aktivitäten, in denen die ironische Reflexion schon drinsteckt. Dass er nun einen Roman geschrieben hat, sieht er als logische Entwicklung.

    "Das kann man so als Linie sehen. Also, ich habe am Theater gearbeitet, bin - würde ich rückblickend sagen - daran gescheitert, vielleicht nicht am Theater, aber an der Rolle des Regisseurs, habe in der Show des Scheiterns gemerkt, dass das eine gute Erfahrung sein kann. Ich habe immer geschrieben, habe dann aber raus gefunden, dass letztendlich mein Defekt als Regisseur für's Schreiben genau richtig ist. Das tolle am Schreiben ist, dass die Figuren sich nicht so sehr wehren wie Schauspieler."

    Darum schätzt es Sebastian Orlac, dass der Autor eben keine dominante Figur wie der Regisseur sein muss, und dass er in seinem Werk verschwindet. Das trifft auf seinen ersten Roman auch insofern zu, als er keine strengen Handlungsfäden zieht, sondern Situationen skizziert und aneinander reiht. Diese wirken bei aller Skurrilität durchaus beklemmend. Denn tatsächlich blockieren sich diese vier Zeitgenossen selbst und einander, sie schaffen es nicht, aus ihren Krisen herauszukommen, sondern machen irgendwie weiter, als hätten sie das richtige Leben noch vor sich. So hat der Roman auch keine kathartische Auflösung, die Katastrophe, die ständig am Erwartungshorizont dräut, trifft bis zuletzt nicht ein. Der 35-jährige Autor beschreibt, wie sich seine Generation in einer provisorischen Existenz eingerichtet hat.