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Wenn der Geist den Körper krank macht

Medizin.- Sogenannte Somatoforme Störungen sind körperliche Beschwerden, die keine organische Ursache haben. Diese zu behandeln, gestaltet sich mehr als schwierig. Das psychotherapeutische Gespräch ist fast der einzige Ansatz. Doch die Grundlagenforschung steht in den Startlöchern für neue Möglichkeiten.

Von Martina Preiner | 10.04.2012
    "Seht ihr, all diese Krankheiten, die ich nicht kenne, liegen mir schwer auf der Seele",

    sagt der eingebildete Kranke in Molières gleichnamigem Theaterstück. Was damals im 17. Jahrhundert Grundlage für eine Komödie war, ist heute ein ernstzunehmendes Krankheitsbild. Wenn der Geist den Körper krank macht, spricht man von somatoformen Störungen. Dazu zählt auch die Somatisierungsstörung, bei der verschiedene Symptome – von Brustschmerz über Atemnot bis hin zu massiven Verdauungsproblemen – zusammenkommen. Die Diagnose "Somatisierungsstörung" bekommen kaum Patienten von ihrem Arzt zu hören – weniger als 0,5 Prozent. Die Dunkelziffer liegt aber deutlich höher.

    "Es gab in Dänemark 2005 eine sehr interessante Studie, wo in die Arztpraxen gegangen wurde und die Patienten, die dort auf ihren Termin gewartet haben, die wurden einfach mal untersucht, ob sie die Kriterien für eine Somatisierungsstörung erfüllen würden. Und da hat man gefunden, dass 30 bis 40 Prozent dieser Patienten die Kriterien erfüllen würden."

    Moritz de Greck ist Arzt an der Poliklinik für Psychiatrie in Leipzig und Grundlagenforscher. Er weiß: Bei vielen Patienten wird die Somatisierungsstörung nicht als solche erkannt und beispielsweise mit Schmerzmitteln behandelt – obwohl langfristig eigentlich nur eine spezielle Psychotherapie helfen kann. Über psychoanalytische Ansätze kamen Therapeuten schließlich auch zu einer möglichen Erklärung für die Somatisierungsstörung. Sie könnte Ausdruck beziehungsweise Folge von verdrängten Emotionen und vergangenen Traumata sein. Moritz de Greck sucht nach neurobiologische Beweisen für diese Theorie.

    "Und das ist auch so ein bisschen das Problem bei psychoanalytischer Literatur überhaupt... dass halt relativ wenig bisher empirisch belegt ist davon. Das ist auch schwierig nachzuweisen! Weil es ist die subjektive Welt unserer Wahrnehmung – die ist bei jedem ein bisschen anders – da kann man schon rankommen über Gespräche. Aber empirische Studien kann man nicht so eins zu eins durchführen."

    Ein erster Schritt hin zu einer empirischen Studie, die psychologische Befunde auf neurobiologische Systeme übertragen kann, sind Messmethoden wie die funktionelle Magnetresonanztomographie, oder fMRT. Sie macht auch unbewusste Gehirnabläufe sichtbar. Mit dieser Technik werden Durchblutungsänderungen einzelner Hirnareale gemessen. Aktive Hirnregionen werden stärker durchblutet als inaktive.

    20 gesunde und 20 Menschen mit Somatisierungsstörung begaben sich für eine von Moritz de Greck geleitete Studie in einen Magnetresonanztomografen. Die Probanden bekamen Fotos mit wütenden Gesichtern darauf zu sehen und als Kontrolle Bilder von verwischten, unerkennbaren Formen, die – im Gegensatz zu den Gesichtern – keine Emotionen auslösen. Während der Studie stach eine Hirnregion namens Gyrus parahippocampalis im Aktivitätsvergleich besonders hervor – ein Areal, das in der Verarbeitung von Emotionen eine Rolle spielt. Beim Anblick der wütenden Gesichter wird dieses in gesunden Menschen stark durchblutet, ist also aktiviert. Bei Patienten mit Somatisierungsstörung scheint der Gyrus in derselben Situation nur schwach durchblutet. Ist das ein Zeichen dafür, dass die Patienten Emotionen verdrängen?

    "Wir konnten dann 15 von diesen 20 Patienten dazu gewinnen, dass die nach einer erfolgreichen Absolvierung einer Psychotherapie das gleiche Experiment noch mal gemacht hatten."

    Es war sozusagen die Gegenprobe: Wenn der Gyrus parahippocampalis wirklich etwas mit verdrängten Emotionen zu tun hat – dann sollte er nach psychotherapeutischer Behandlung andere Aktivitäten aufweisen. Und tatsächlich: Moritz de Greck und seine Mitarbeiter konnten bei denselben Tests eine deutlich höhere Aktivierung feststellen als vor der Therapie. De Grecks Interpretation der Ergebnisse:

    "Ich denke, dass ist das, was diese Region macht: Sie liefert emotionale Gedächtnisinhalte und im Falle von Verdrängung – einen Abwehrmechanismus, den diese Patienten benutzen – wird sie nicht aktiviert."

    Kein Hirnareal ist alleine für eine Reaktion oder ein Krankheitsbild zuständig. So hängt die Somatisierungsstörung nicht nur mit dem Gyrus parahippocampalis zusammen. Dennoch erhärtet sich der Verdacht, dass er das Tor zu verdrängten Emotionen ist. Ob die Erkenntnisse der Grundlagenforschung auch einmal in der Diagnose Anwendung finden können ist zwar ungewiss, aber durchaus denkbar.

    "Also ich kann mir schon vorstellen, dass in 50 Jahren, dass man Patienten in den Scanner legen wird, sie bestimmte Aufgaben machen müssen und dass man dann anhand der Ergebnisse vielleicht sagen kann: ‚Ja, das ist ein Patient, der hat vermutlich auch diese Erkrankung und der würde vermutlich auch von dieser Therapieform gut profitieren.'"