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Wenn die Gleichheit auf der Strecke bleibt

Die Soziologinnen Christine Wimbauer und Mona Motakef haben Paare befragt, die zwar Kinder haben möchten, aber beide auch weiterhin arbeiten wollen. Ihr Ergebnis: Zwar machen die meisten Frauen auch Karriere, sie sind aber weiterhin für Haushalt und Kindererziehung zuständig.

Von Anja Arp | 29.08.2013
    "Ja, ich merk nur halt bei uns beiden, dass wir früher halt wirklich extrem karriereorientiert waren, aber dass wir jetzt einfach auch für uns gemerkt haben - dass es halt nicht alles ist, sondern wenn ich immer abends um acht erst zu Hause bin und dann eigentlich nur noch esse und ins Bett falle und irgendwie das gesamte private Leben, was ich so habe, am Wochenende stattfindet und unter der Woche ich eigentlich nur noch k.o. bin und - nichts anderes mehr machen kann - dann ist das irgendwie auch nicht so erstrebenswert."

    Ein Zitat aus einem Interview, das Christine Wimbauer in ihrem Buch "Wenn Arbeit Liebe ersetzt" veröffentlicht hat.

    "Und wir suchen jetzt eigentlich für uns beide 'n Weg, weil wir ja auch schon ehrgeizig sind und auch weiterkommen wollen. Dass wir halt sagen - ja wir möchten das, aber auch nicht um jeden Preis, sondern schon so, dass es halt für uns insgesamt auch als Familie passt."

    Die Soziologinnen Professorin Christine Wimbauer und Dr. Mona Motakef sind zwei Herausgeberinnen der neuen Gender-Fachzeitschrift.

    In der Soziologie werden oft einzelne Personen befragt und häufig sind es Männer, die zu Worte kommen, etwa in der Arbeits- und Industriesoziologie oder in der Medizinsoziologie. Für die Studie über Doppel-Karriere-Paare wurden deshalb gezielt Paare interviewt:
    "Weil man sich ja eben meistens mit seinem Partner oder seiner Partnerin abstimmt."

    Lebensformen verändern sich. So gibt es zum Beispiel immer weniger Eheschließungen, die Geburtenzahlen verringern sich, der Anteil an Single-Haushalten steigt und es gibt immer mehr Scheidungen. Zudem wollen inzwischen viele gut ausgebildete Frauen Karriere machen:

    "Sie wollen beides. Sie wollen arbeiten und eine Familie haben. Weil noch in den 1960er-Jahren war das anders. Da gab es ja noch das männliche Ernährermodell. Das heißt, dass der Mann das Einkommen, sozusagen die Brötchen für die Familie verdient. Und die Frau kümmert sich um den Haushalt und um die Kinder. Und die Geschlechterforschung hat dann gezeigt, dass damit ganz viele Ungleichheiten verstetigt werden, weil die Frauen dann ökonomisch und finanziell von ihren Ehemännern abhängig werden. Es gibt dann sozusagen die These, dass es so eine Sphären-Trennung gibt. Es gibt die Hausarbeit und die Erwerbsphäre."

    Dieses Familienmodell ist sozusagen ausgelaufen, weil immer mehr Frauen berufstätig sind. Die Gender-Forscher gehen deshalb der Frage nach: Resultiert aus diesem Wandel der Lebensformen auch ein Wandel an Ungleichheit? Sie haben zehn sogenannte Doppel-Karriere-Paare über mehrere Stunden intensiv befragt. Dr. Mona Motakef:

    "Und dann haben wir im Anschluss, also mit ein paar Wochen Abstand, haben wir mit allen Paaren noch einmal Einzelinterviews geführt. Also jeweils mit dem Ehemann und mit der Ehefrau."

    Der Unterschied: Wenn Soziologen Paare zusammen befragen, dann wollen viele von ihnen möglichst gleichberechtigt erscheinen:

    "Zum Beispiel: Wir sind ein total gutes Team. Und wenn das Paar sozusagen erzählen will, dass sie ein total gutes Team sind, dann passt es nicht, dass beispielsweise der Mann weniger Hausarbeit macht. Dann wird das sozusagen, dann fällt es so ein bisschen unter den Tisch. Aber wenn man beispielsweise Einzelinterviews führt, dann taucht das dann, wenn man sozusagen ein bisschen genauer fragt, dann fällt einem das als Interviewer, dann fällt einem das schon auf. Dass es gar nicht so egalitär ist, wie das Paar es sozusagen erst mal vermittelt."

    "Also grad so die Phase, wo ich dann zu Hause war und Simon arbeiten, das war schon schwierig - ich glaub, wir haben uns einmal mörderisch gestritten, weil ich aufgeräumt habe und Simon das nicht gesehen hat. Und das ist halt - deswegen auch so diese Anerkennung, ja wenn man nur zu Hause ist, ist ja das Einzige, was der Partner irgendwie ... - oder woraus man seine Anerkennung bezieht."

    Anerkennung ist ein zentraler Begriff in der Genderforschung. Und zumindest vom Anspruch her zollen Doppel-Karriere-Paare sich genau diese Anerkennung:

    "Es ist häufig so, dass beispielsweise Paare sagen: Ja, wir, für uns ist das ganz wichtig. Dass wir beide arbeiten, dass wir sehr egalitär sind. Wir haben uns auch so kennengelernt in unserem Studium. Oder manchmal sagen die auch: Ja, meine Frau war eigentlich viel erfolgreicher als ich. Deswegen war es ganz selbstverständlich, dass sie auch eine Erwerbskarriere, eine eigene Berufstätigkeit hat."

    In den Einzelinterviews sieht die Sache dann häufig schon wieder ganz anders aus, etwa wenn es um Elternzeiten von Männern geht. Anspruch und Wirklichkeit driften da oft auseinander:

    "Das war ein ganz zentrales Ergebnis von uns. Wir haben herausgefunden, dass alle Befragten sehr gerne arbeiten und auch sehr viel arbeiten. Und sie tun das sozusagen nicht nur für sich, sondern sie erwarten das auch von ihrem Partner. Sie haben sozusagen eine sehr starke Leistungsorientierung, die sie vom Anderen erwarten. Und wir haben auch festgestellt, dass alle Paare eine starke Egalitätsorientierung auch tatsächlich haben. Also, das war ja auch sozusagen unsere Frage. Doch, in allen Paaren haben dann Frauen mehr Haus- und Fürsorgearbeiten gemacht."

    Laut Studie verlangen Partner in Doppel-Karriere-Beziehungen vielfach von sich selbst und vom anderen 150 Prozent Einsatz. Wenn dann Kinder kommen, gelten Frauen häufig nicht mehr als so einsatzbereit und leistungsfähig. Mona Motakef:

    "Elternzeit und Unterbrechung sind nicht karriereförderlich. Und der Wiedereinstieg nach Unterbrechung, der ist auf jeden Fall erschwert. So haben ganz viele hoch qualifizierte Frauen gesagt, dass sie sich auf einmal in einer dunklen Kopierkammer wiederfanden. Und dann hat der junge Kollege die Teamleiterposition übernommen und ist dann auch da geblieben. Und so ist es dann häufig, dass Männer dann doch die Aufstiege machen. Und Frauen ganz oft Einkommens- und Karriereeinbußen haben."

    Auch das Verhältnis von Arbeit und Liebe verändert sich. Teilweise verlagert sich die Suche nach Liebe und Anerkennung bei Doppel-Karriere-Paaren offenbar in das Unternehmen:

    "Die Einzelnen versuchen, die Liebe von der Organisation oder die Anerkennung als ganze Person von den Unternehmen zu gewinnen. Das ist aber ja faktisch nicht möglich. Denn in Organisationen ist ja jeder ersetzbar. Oft gibt es dann so eine Spirale, dass immer mehr, dass man immer stärker versucht Leistung zu erbringen, um geliebt zu werden, Anerkennung zu bekommen. Aber das ist ganz oft zum Scheitern verurteilt und kann auch zum Burn-out führen. Das haben auch unsere Ergebnisse gezeigt."

    Für ihre neuen Studien zur Genderforschung haben die Soziologinnen aber auch die Diskussion um die sogenannten neuen Väter aufgriffen. Professor Diana Lengersdorf, Soziologin an der Uni Köln:

    "Und zwar wollten wir Paare befragen. Also nicht nur die Väter, sondern auch Väter und Mütter zusammen. Um zu schauen, was bedeutet das denn, wenn Väter jetzt eben sich jetzt mehr engagieren. Und vor allen Dingen tun sie es dann auch? Und wir haben dann insgesamt 36 Interviews geführt, quer durch Deutschland verteilt. Und da ging es vor allen Dingen halt um die Frage, wie diese Paare das organisiert haben. Wie war auch die Familienplanung?"

    Das zu erwartende Ergebnis: ja und nein. Das heißt, es gibt schon Väter, die sich über die statistisch üblichen zwei Monate hinaus engagieren. Väter, die einen Großteil der Erziehung und Hausarbeit übernehmen, sind allerdings nach wie vor die Ausnahme:

    "Was wir schon festgestellt haben, dass wir gerade in so was wie in der Mittelschicht oder in so einem, also eher akademisch gebildeten Mittelschichts-Milieu wir schon merken, dass da der Diskurs angekommen ist. Das heißt, die Paare reden schon darüber. Wer bleibt zu Hause? Das ist schon ein Thema auch. Bloß meistens gehen die Väter weiter arbeiten und die Frauen reduzieren ihre Arbeitszeit. Also, das ist schon eine, also ein Resultat."

    Ein weiteres Resultat:

    "Im Arbeiter- oder Facharbeitermilieu haben wir es eher zu tun mit einer pragmatischen Lösung. Also, da wird nicht viel geredet, sondern man macht es halt, so wie es passt. Kann man das so auf den Punkt bringen. Das wird dann immer wieder in jeder Situation quasi neu nicht ausgehandelt, sondern einfach so getan."

    Die Soziologinnen haben bei ihrem Ost-West-Vergleich zudem festgestellt, dass es eine große Beharrung gibt bei der Vorstellung von dem, was normal ist. So gehört in Westdeutschland für die meisten das kleine Kind zumindest für die ersten Jahre zur Mutter.

    "Zum Beispiel: Wann kriege ich das erste Kind? Und das sind noch Dinge, die hängen noch sehr stark hinterher. Also selbst, wenn Paare sich als gleichberechtigt empfinden und auch alles miteinander aushandeln, ist die Frage dann aber ganz praktisch. Wer bleibt zu Hause? Wird dann häufig noch entschieden: Wer verdient mehr? Und da haben wir eben einen strukturellen Nachteil von Frauen. Sie verdienen in der Regel weniger."

    Und es gibt unterschiedliche Traditionen in Ost und West in Sachen Vaterschaft, die offenbar bis heute nachwirken:

    "Wir hatten ja in der DDR-Zeit eine Tradition oder beziehungsweise der Versuch einer Tradition zu begründen, wo beide Eltern als Produktivkräfte voll erwerbstätig sind. Und wir daher auch spätestens seit dem Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre einen massiven Ausbau der Krippen. Wo eben die sozialistische Persönlichkeit auch eben in diesen Institutionen gefördert werden sollte. Das heißt, hier haben wir eher eine Traditionslinie, wo die Kinder früh in institutionelle Betreuung gehen."

    Die Forscher wollten bei ihrem Ost-West-Vergleich wissen: Gibt es diese Tradition noch? Sind die Väter im Osten Deutschlands anders?

    "Da kann man schon einen Unterschied sehen. Weil die sind viel selbstverständlicher egalitär. Also, da wird nicht viel geschlechterpolitisch gerahmt. Und, das fand ich eigentlich das Faszinierende: Sie sind vor allen Dingen, finden sie, also nicht alle, aber einige, finden die Art und Weise, die bezeichnen das auch so, wie Westmänner ihre Väterlichkeit inszenieren, finden sie irgendwie seltsam. Ja. Also das die, wie ein Vater sagte, dass die das betonen müssen, dass die mal wickeln. Und das fanden wir dann schon sehr interessant."

    Während im Westen vor allem die Medien und die Politik die neuen Väter propagieren, können sich die tradierten Väter im Osten offenbar nur wundern:

    "Das Spannende daran ist natürlich, wenn politische Initiativen sich darauf richten, auf diesen Wandel von Vaterschaft, verstehen die ostdeutschen Väter das gar nicht wirklich. Es war beispielsweise so, dass wir beim Warm-up für das Interview - also man macht ja vorher noch, dass man sich kennenlernt und so – da haben wir halt öfters davon gesprochen, dass es halt um einen Wandel von Vaterschaft geht - darum geht es jetzt hier in dem Interview. Und die ostdeutschen Paare haben das häufig nicht verstanden."

    Unterm Strich bestätigen die neuen Studien für die Gender-Sonderzeitschrift vor allem bereits bekannte Tatsachen. So ist es zum Beispiel kein Geheimnis, dass Frauen die Karriere machen, sich trotzdem in der Regel mehr um Haushalt und Erziehung kümmern als ihre Männer. Erstaunlich ist dagegen, dass Traditionen offenbar in Ost und West gleichermaßen stark fortwirken. Dass Väter aus dem Osten schon gar nicht verstehen, was mit neuen Vätern überhaupt gemeint ist, das hätte wohl kaum jemand gedacht.

    "Paare und soziale Ungleichheit"
    Christine Wimbauer, Mona Motakef, Alessandra Rusconi, Beate Kortendiek, Peter A. Berger (Hrsg.)
    GENDER-Sonderheft Band 2; ca. 212 Seiten; 25,60 Euro;
    ISBN 978-3-8474-01094