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Wenn Information krank macht

Beschleunigung im Alltag ist ein Druckfaktor, der krank machen kann. Aber der moderne Arbeitsalltag allein ist selten die Ursache von Stress-Erkrankungen wie Burn-out. Entscheidender dafür ist oft der Verlust des sozialen Miteinanders.

Von Dorothea Jung | 24.04.2011
    "Büro Professor Heinz, Guten Tag!"

    Es ist Montagmorgen, 10 Uhr. Im Berliner Universitäts-Klinikum Charité hat Professor Andreas Heinz bereits alle Post durchgesehen und sämtliche E-Mails der vergangenen Nacht gecheckt.

    "Hallo Frau Seifert, kommen Sie rein."

    Zeit für die erste Besprechung des Tages. Andreas Heinz ist Direktor der Charité-Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie und muss heute mit einer Psychologin seines Teams ein neues Entgeltsystem für sein Haus diskutieren.

    "Also es geht darum, dass wir das neue Codierungssystem mit dem neuen Programm seit Anfang des Jahres benutzen ..."

    Der Klinikchef entscheidet: Das Thema gehört in eine größere Runde mit vielen Mitgliedern seines Teams.

    "Wichtig ist, dass man möglichst einen Termin findet, den es schon gibt, und nicht irgend 'nen neuen kreiert. Wenn 's immer noch 'ne Besprechung mehr gibt, dann kommen Sie irgendwann gar nicht mehr dazu , ihr Alltagsgeschäft zu machen oder mal was Neues zu entwickeln, im Prinzip muss man relativ schnell entwickeln: Wo muss man das abstimmen, mit wem geht das, wann geht, wie kriegen wir die Leute da unter einen Hut. "

    Jede Minute zählt - Zeit darf nicht vergeudet werden. Bereits eine Stunde später hat die Leiterin der Instituts-Ambulanz einen Termin bei Andreas Heinz.

    "Komm rein!"

    "Hallo!"

    "Hast du die Unterlagen zusammen? "

    "Ja alle fertig."

    Thema ist das Budget der Abteilung. Eine Hygiene-Expertin hat Renovierungs-Maßnahmen in der psychiatrischen Ambulanz angemahnt.

    "Meistens muss man sinnvoller weise die Entscheidungen gleich treffen, sonst kommt das ja nur wieder und dann kriegt man die Arbeit gar nicht fertig. Da muss man eben auch relativ schnell festlegen: Was ist machbar? Was kann man im Augenblick nicht machen - und so weiter."

    Die Sorge, dass Arbeit nicht fertig wird, dass Forschungsanträge liegen bleiben, dass Personalfragen nicht termingerecht geklärt werden können - all das sind Belastungsfaktoren, die typisch sind für die Arbeit des Institutsleiters. Der 51-Jährige, der mit seinem Team auch erforscht, ob Stress krank machen kann, weiß selbst sehr genau, was Stress ist. Von zwei Dingen fühlt sich Andreas Heinz besonders unter Druck gesetzt: Wenn Stellenbesetzungen nicht klappen - und wenn die Informationsflut ihn überwältigt.

    "Ich hab früher 30 E-Mails am Tag gekriegt, ich krieg jetzt 80, manchmal 100, das heißt, wenn man nicht ein paar Stunden an diesem Rechner das Zeugs abarbeitet, dann ist das so viel, dass man gar keine Lust hat beim nächsten Mal plus: Es gehen Sachen verloren, plus: Es stehen halt leider oft auch Sachen drin, die man machen muss; ich hab jetzt schon meinen Mitarbeitern gesagt, sie mögen mir keine Anhänge mehr schicken, sondern die ausdrucken und wenn sie dann auch noch stundenlang Anhänge ausdrucken - man kann 's ja meist sowieso nicht in der Zeit lesen, und wenn dann noch irgendwas dazukommt, was nicht funktioniert, oder was ganz dringend gemacht werden muss, dann ist es halt schwierig."

    Der Stress-Experte ist jedoch sicher: Eigenschaften des modernen Arbeitsalltages wie Zeitdruck, ständige Erreichbarkeit und Informationsüberflutung - sind selten allein die Ursache von Stress-Erkrankungen. Andreas Heinz zufolge sind dies lediglich einzelne Stress-Faktoren.

    "Ich glaube nicht, dass die Beschleunigung krank macht, das ist ein Druckfaktor. Aber ich glaube, was die Menschen dazu belastet ist die Arbeitsplatz-Unsicherheit - diese Unsicherheit der sozialen Gliederung oder des eigenen Arbeitsplatzes, des eigenen Status, des eigenen Verhältnisses zur eigenen Arbeit. Ich glaube, dass das eine Riesenrolle spielt. "

    Stichworte, die Petra Zimmermann an die schwierigste Zeit ihres Lebens erinnern. Eine Zeit, an deren Ende sie mit der Diagnose "Burn out" konfrontiert war. Alles begann vor vier Jahren mit ihrer Ehescheidung. Danach zog die Versicherungsfachfrau von Frankfurt nach Berlin, um eine neue Stelle anzutreten. Kaum hatte sie ihre Umzugskartons ausgepackt, musste sie wegen gravierender Wohnungsschäden erneut umziehen. Gleichzeitig wollte sich die 45-Jährige in ihrem neuen Job beweisen.

    "Es ist ja auch ein Neustart dann; man muss sich ja immer erst sein Standing neu erarbeiten gegenüber den Chefs und auch den Kollegen - und ich hatte da einen 12-Stunden-Arbeitstag, und wenn ich abends nach Hause kam, musste ich mich erst mal darum kümmern, hier noch Umzugskartons auszupacken; also alles Dinge, wo man sagen kann: Ich hatte keine Freizeit. Und ich konnte mir auch keine Freunde suchen so schnell; das ging alles nicht von heute auf morgen."

    Petra Zimmermanns Alltag war stark von einem Verlust des sozialen Miteinanders geprägt. Das erhöht nach Überzeugung von Psychiater Andreas Heinz das Risiko, krank zu werden.

    "Das sind alles Punkte, in denen die soziale Einschließung gefährdet ist. Auf den Top-Punkten der Stress-Skalen stehen Dinge wie Verlust eines nahen Angehörigen - aber dann kommen schon solche Faktoren wie Beförderung oder Umzug, wo Sie quasi ihr vertrautes Netz verlieren und sich in einem neuen Kontext etablieren müssen. Beförderung, Riesen Problem - Sie verlieren die Loyalität und Solidarität ihrer auf gleicher Stufe stehenden Freunde und sind auf einmal alleine verantwortlich für das was passiert. Das ist das Klassische. Wir brauchen eigentlich Menschen, die uns stützen."

    Petra Zimmermann hatte aber in ihrer besonderen Lebenssituation abends niemanden, mit dem sie über ihren Umzugs- oder Arbeitsplatz-Stress reden konnte. Hinzu kam, dass der Bruch ihrer Beziehung noch frisch war. Außerdem hatte sie den Eindruck, dass der Termindruck in ihrem Aufgabengebiet ungewöhnlich hoch - und die Arbeit in ihrem Team ungerecht verteilt war. Die Versicherungsfachfrau wagte aber nicht, das in ihrer Firma zu thematisieren.

    "Ich dachte, das geht nicht, weil ich in der Einarbeitungszeit war. Und ich dachte, ich kann jetzt nicht innerhalb von acht Wochen gleich zum Chef rennen und sagen: 'Ich schaff das alles nicht' oder: 'Ich finde dies oder jenes ungerecht', weil das dann komisch ankommt. Die kennen mich ja noch nicht und wissen nicht, wie belastbar ich bin, und dann wird einem so was gleich als Schwäche ausgelegt."

    Nach einem Viertel Jahr fühlte sich Petra Zimmermann nicht nur extrem gestresst, sondern auch körperlich sehr elend.

    "Mir wurde es richtig schlecht auf der Arbeit, so vom Kreislauf her - das kannte ich gar nicht. Dazu kam noch, dass ich ab einem bestimmten Zeitpunkt das Gefühl hatte: Es kippt alles irgendwie. Also, ich nehme die schönen Dinge des Lebens oder Kleinigkeiten, über die man sich so freut und die einen glücklich machen, die kann ich gar nicht mehr wahrnehmen. Sondern nur noch das ganze Negative. Und das war auch sehr beängstigend. "

    Petra Zimmermann suchte einen Arzt auf. Der ließ sich ihre Arbeitsplatz-Situation beschreiben, stellte fest, dass sie einen Blutdruck von 220 zu 180 hatte und schrieb sie sofort krank. Diagnose: "Burn out".

    "Also es war wirklich so, dass ich das Gefühl hatte, ich bin einfach nur fertig und brauche ganz, ganz viel Ruhe. Und ich war froh, dass jetzt jemand kam und gesagt hat: 'Sie dürfen nicht mehr arbeiten gehen'. Und ich hab sehr, sehr lange gebraucht, um mich ganz langsam zu erholen. "

    Wenn ein Mensch mit zu vielen Stressfaktoren belastet ist, dann kann er krank werden, er muss es aber nicht. Nach Erkenntnis von Andreas Heinz erleben zum Beispiel viele Menschen die stressige, digitalisierte und beschleunigte Arbeitswelt durchaus als positiv. Sie erleben diese Welt hauptsächlich als Chance, sich unkompliziert zu informieren und auszutauschen. Diese Menschen können dann meistens bei zu viel Informations-Input problemlos weglassen, was sie für unwichtig erachten.

    "Belastung per se ist ja nicht immer negativ. Es gibt ja auch ein Wohlgefühl, wenn Sachen gut funktionieren. Und da kann auch viel los sein, und die Leute sind trotzdem ganz glücklich. Sonst hätten Sie keinen Nobelpreisträger, keinen Forscher, der mal irgendwas findet. Ich glaube, es ist wirklich so 'n Punkt, wie viel Spaß es macht und ob man sich selber verwirklichen kann und wie sicher man sich fühlt. "

    Aber der moderne Arbeitsalltag kann nach Überzeugung des Wissenschaftlers das gesundheitsgefährdende Potenzial von Stress verstärken. Beispiel: Bewegungsmangel. Durch Stress erzeugter Bluthochdruck etwa werde durch mangelnde Bewegung verstärkt. Es sei unphysiologisch, auf einem Stuhl zu sitzen, während man unter Zeitdruck eine Arbeit fertig stellt. Typisch für das digitale Zeitalter sei auch eine soziale Isolation im Job. Andreas Heinz Befund: Je ausgeschlossener sich jemand am Arbeitsplatz fühlt, desto leichter kann er krank werden. Besonders schwierig werde es, wenn die Person keine Hoffnung schöpfen kann, ihre Lage zu verbessern.

    "Ganz entscheidend ist, ob es eine Möglichkeit gibt, sich einzubringen und was zu verändern. Und: Die Frage, wieweit ich mir sicher bin, dass ich dazugehöre, wenn ich die Leistung bringe, die erfordert wird. Oder ob das so 'n bisschen wie bei den depressiven Tieren im Tiermodell ist: Wenn Sie eine Ratte richtig depressiv machen wollen, dann muss die Bestrafung erleiden, ohne dass sie was dagegen machen kann, egal, was sie tut, gibt's immer wieder negative Situationen. Und dann geben die irgendwann auf und werden apathisch."

    Ein kleiner Forschungsraum im Keller der psychiatrischen Charité-Klinik in Berlin. Es soll herausgefunden werden, ob depressiv vorbelastete Menschen Stress schlechter verarbeiten, als sogenannte Gesunde.

    "So das sind Frau Dr. Wagner und Frau Dr. Althoff; die beiden sind geschult in Verhaltensforschung und werden Ihre Rede bewerten."

    Die Forschungsassistentin führt eine freiwillige Versuchsperson ins Zimmer. Die Probandin hat gerade erst erfahren, dass sie unter Zeitdruck und ohne Hilfsmittel eine Rede halten soll, die von zwei Wissenschaftlerinnen bewertet wird.

    "Nehmen Sie vorher noch eine Speichelprobe, die liegt bei Ihnen."

    "Speichel enthält das Stresshormon Cortisol," erläutert Diplompsychologin Claudia Lange, die das Experiment wissenschaftlich verantwortet.

    "Anhand dieses Stress-Hormons können wir sehen, wie gestresst die Leute tatsächlich sind. Wie viel Cortisol produziert der Körper - und wie viel wird dann ausgeschüttet als Reaktion auf diesen Stresstest."

    Die Probandin ist von Claudia Lange nicht freundlich begrüßt und auch nicht ermutigt worden - Hilfsmittel im wissenschaftlichen Setting, um verlässlich Stress auszulösen, wie Versuchsperson Monika Westphal später im Nachgespräch erfährt. Sie fühlte sich denn auch gestresst.

    "Während des Gesprächs war es nicht angenehm, dass ich geredet und geredet habe und man keine Reaktionen gesehen habe; und ich dann nicht recht wusste, wie es weitergeht. "

    Wenn die These der Wissenschaftlerin Claudia Lange richtig ist, dann erleben Menschen, die bereits einmal an einer Depression erkrankt sind, dabei mehr Stress als sogenannte Gesunde. Die einstige Erkrankung selbst wäre also ein Risikofaktor. Für Mediziner und Patienten hieße das: In der Nachsorge von ehemals depressiven Menschen ist besonders gewissenhaft darauf zu achten, wie sie lernen können, mit Stress umzugehen.

    Szenenwechsel ins neu ausgebaute Dachgeschoss eines sanierten Altbaus im Berliner Stadtviertel Prenzlauer Berg. Es ist Samstagnachmittag. Hinter Pedro Ribera liegt nicht nur eine arbeitsreiche Woche - seit fünf Wochen hat sich der 36-Jährige keine Pause gegönnt. Jetzt spürt der Wohnungsmakler seine Bandscheibe.

    "Bandscheibenvorfälle sind, das ist wohl auch wissenschaftlich bewiesen, auch Vorboten für 'nen Burn Out. Ich hab jetzt seit einer Woche wieder Rückenschmerzen, die grade wieder ausklingen: und das ist guter Indikator, zu sagen: 'Jetzt musst du aufpassen auf dich und musst natürlich auch ein bisschen zurückstecken'."

    Pedro Ribera arbeitet nicht nur als Wohnungsmakler. Der studierte Wirtschaftsingenieur entwickelt auch Altbausanierungsprojekte. In seinem Kalender häufen sich Besprechungstermine mit Architekten, Bauleitern und Mietern. Und am Wochenende kommen Wohnungsbesichtigungstermine dazu. Sein Laptop ist immer online, sein Handy schaltet er niemals aus. Pedro Ribera weiß, dass er sich leicht übernimmt. Vor zwei Jahren war er schon einmal an einer Depression erkrankt - mit deutlichen Symptomen eines Burn-out-Syndroms.

    "Der genaue Auslöser war mit Sicherheit die Trennung von meiner Partnerin und die Trennung von meiner Tochter. Das war natürlich ein extremer Einschnitt, und da bin ich zum ersten Mal mit der Depression in Kontakt getreten. Wo ich gemerkt habe: dass ich einfach nicht mehr zur Ruhe komme. Die Gedanken können sich nicht mehr ordnen, und ich habe keine Lust mehr, zu telefonieren, keine Lust mehr, Freunde zu treffen, und ich hab halt auch eine völlige Erschöpfung gespürt, meines Körpers. Wo auch ich nicht mehr weiter konnte und gemerkt habe: Jetzt muss ich mir helfen lassen. "

    Pedro Ribera hatte im Fernsehen eine Expertenrunde zum Thema "Burn out" verfolgt, zu der auch Doktor Mazda Adli eingeladen war, ein Wissenschaftler der Berliner Charité. Ihn suchte der erschöpfte Mann auf. Stress-Experte Mazda Adli ist Oberarzt in Professor Andreas Heinz' Forschungsteam. Der Mediziner sagt, Menschen wie Pedro Ribera seien von ihrer Persönlichkeit her bereits einem größeren Risiko ausgesetzt als andere.

    "Burn-out-Betroffene sind in der Regel Leute, die sich unglaublich engagieren, mit einem hohen Grad an Idealismus. Es heißt auch so schön im Volksmund: 'Jemand muss in der Lage sein, zu brennen , damit er am Ende auch ausgebrannt ist.' Letztlich Menschen, die einen sehr hohen Anspruch an sich stellen , die auch in der Regel Leistungsträger dieser Gesellschaft sind - und das sind oftmals aber auch diejenigen, die hier ein besonderes Risiko mit sich bringen. "

    Mazda Adli verschrieb Pedro Ribera nicht nur Medikamente, sondern machte seinem Patienten auch klar, dass er in seinem Leben unbedingt für Ruhephasen sorgen muss. "Doch das hab ich nie gelernt", bekennt Pedro Ribera.

    "Mein Vater ist 1964 nach Deutschland gekommen als Gastarbeiter, hat von 24 Stunden ungefähr 20 Stunden gearbeitet, auf zwei oder drei Arbeitsstellen Und sonntags hat sich eigentlich mehr abgespielt in der Kirche, das heißt - so dieses typische samstags und sonntags mit der Familie zusammen sein, das war nie zugegen."

    Nachmittags und in den Ferien schickte der leistungsbewusste Vater den kleinen Pedro in den Sportverein. Aber nicht, um Ball zu spielen oder Spaß zu haben.

    "Ab sechs Jahren hab ich drei mal am Tag trainiert. Danach hab ich Leichtathletik gemacht, das heißt: Jeden Tag in der Woche Leichtathletik, zwei bis drei Stunden und am Wochenende Wettkämpfe. Letztendlich: Von klein auf bin ich gewöhnt, sieben Tage lang irgendwas zu tun."

    Pedro Riberas Leben war bislang vollkommen von Leistungsansprüchen diktiert. Als Hauptschüler schaffte er es, sich in Abendkursen bis zur Hochschulreife fortzubilden, verdiente sich sein Studium selbst und gründete gleichzeitig eine Familie. Den Sport vernachlässigte er jedoch zunehmend. In dem Jahr seines Zusammenbruches hatte sich der Makler kaum noch bewegt. Um heute jedoch seinen Alltags-Stress zu verkraften, hat Pedro Ribera wieder angefangen, Sport zu treiben.

    "Sport ist mein Schlüssel. Also ich glaub, ich muss mir noch weitere Techniken aneignen, vielleicht um noch mehr runter zu kommen, aber letztendlich bin ich dahin zurückgegangen, wo ich hergekommen bin; und für mich ist das das Laufen. Ich glaube halt an Energien und an Flüsse im Körper. Das merkt man wirklich, dass, wenn der Kopf voll ist, dass das wirklich beim Laufen durch den Körper durch geht; und ich sag immer 'durch die Füße in den Boden und - weg!'. Das heißt: Spätestens nach zehn Minuten, viertel Stunde ist der Kopf frei. "

    Neben Bewegung und planvollen Ruhephasen rät Charité-Mediziner Mazda Adli seinen Patienten, aktiv nach Situationen zu suchen, die Entspannung und Freude bringen. Dann sei es leichter, sich gegen die Stressfaktoren zu behaupten.

    "Wichtig ist, dass die Beschleunigung, der wir ausgesetzt sind, durch Digitalisierung, durch ständige Erreichbarkeit, durch die verschiedenen elektronischen Instrumente, die wir in unseren Taschen haben; damit einen Umgang zu finden, der uns möglichst lange nicht krank macht. Das ist eine Aufgabe, der wir uns als gesamte Gesellschaft stellen müssen. Krank wird man dann, wenn man nicht mehr weiß, wie man seine Aufgaben priorisieren muss: Was ist wichtig, was ist unwichtig. "

    "Man muss nicht auf jedes digitale Informationsrauschen reagieren", meint der Stressforscher. Krankheits-auslösende Belastungs-Faktoren wie Trauer und Kummer, soziale Unsicherheit oder eine feindselige Umgebung werden nicht so leicht wirksam, wenn der Mensch gelernt hat, sich gegen Überforderung zu wehren. Die einstige Burn-out-Patientin Petra Zimmermann jedenfalls hat mit Hilfe einer Therapie verstanden: Manchmal ist es am Allerwichtigsten, um Hilfe zu bitten.

    "Ich bin nicht mehr so 200-prozentig; ich habe gelernt, Prioritäten zu setzen; und es ist ganz sicher so, dass ich heute viel früher sage, wenn etwas nicht mehr geht; und: ja, ich hab einfach gelernt, auch 'nein' zu sagen."

    Ein Mensch, der zulässt, dass sein Gehirn mit Reizen überflutet wird, läuft Gefahr, dass sein Körper die Reißleine zieht. Im besten Fall kommen die Informationen gar nicht mehr bei ihm an. Im schlimmsten Fall, nämlich, wenn sich weitere soziale Stressfaktoren dazu gesellen, wird er krank. Jeder Mensch müsse seinen eigenen Weg finden, sich dagegen zu wappnen, sagt Charité-Professor Andreas Heinz.

    "Für mich ist es wichtig, dass ich Menschen haben, mit denen ich sprechen kann. Wenn irgend etwas passiert, dass ich mir dann meine Oberärzte, Kollegen oder wen auch immer hole und sagt, das und das funktioniert nicht und dass man seine Gefühle ausdrücken kann. Dann kann ich quasi beim Reden auch überlegen, was man als Nächstes macht."

    Als nächstes im Terminkalender des Stressforschers steht ein Bewerbungsgespräch, dann kommt eine Patientin und dann eine Kollegin mit Weiterbildungswünschen. Und wenn Andreas Heinz Zeit hat, dann holt er sich zwischendurch rasch ein Brötchen. Für den Professor ein ganz normaler Alltag mit ganz normalen Stressfaktoren.