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Wenn Keime Ausgang haben…

Mikrobiologie. - Infektionen durch Bakterien, die sich mit gängigen Antibiotika nicht mehr behandeln lassen, sind ein typisches Problem für Krankenhäuser. Denn durch den häufigen Gebrauch dieser Medikamente werden Resistenzen geradezu heran gezüchtet. Und auf den Intensivstationen finden sie bei geschwächten Patienten optimale Möglichkeiten, sich auszubreiten. Aber ist es auch möglich, dass solche Keime aus der Klinik in die Umwelt gelangen können – über das ganz normale Abwasser aus den Krankenhäusern?

Von Arndt Reuning | 24.08.2012
    In grünen Gummistiefeln stapft Martin Ruddies über den Kiesweg zum Belebungsbecken seiner Kläranlage im Bad Homburger Stadtteil Ober-Erlenbach. Milchkaffee-farbenes Wasser strömt hier durch ein verschlungenes System von Kanälen, die sich winden wie die Schlaufen eines Darmes.

    "Sie sehen hier das schlammfarbige Wasser, das sind alles Bakterien, Mikroorganismen, die hier am Leben gehalten werden. Wir bieten denen halt nur optimale Lebensbedingungen."

    Die Bakterien im Becken zerlegen die organischen Stoffe und die Stickstoffverbindungen des Abwassers. Im vergangenen Sommer waren im Ablauf der Kläranlage in Ober-Erlenbach aber auch Bakterien gefunden worden, die dort nicht hinein gehörten. Gefährliche Ehec-Erreger der damals grassierenden Epidemie. Der Betriebsleiter Jens Feucht blieb seinerzeit jedoch gelassen. Dass die Probe tatsächlich positiv ausfiel, konnte ihn nicht überraschen.

    "Eine Kläranlage, gerade im biologischen Bereich, ist schon keimreduzierend. Aber es gibt keine Grenzwerte für uns, die bestimmen, welche Keimzahl da noch enthalten sein darf, so dass wir zwar davon ausgehen müssen, dass wir einen Großteil der Keime hier auf der Kläranlage eliminieren und zurück halten, aber Keimfreiheit werden wir dadurch nicht erreichen."

    Damals war der Verdacht aufgekommen, die Ehec-Bakterien könnten aus den Abwässern einer Klinik in Bad Homburg stammen. Diese Vermutung konnte weder bestätigt noch widerlegt werden. Dass pathogene und möglicherweise gegen Antibiotika resistente Keime aus einem Krankenhaus in die Kanalisation gelangen, erscheint aber durchaus plausibel. Denn nur in seltenen Fällen wird das Abwasser von Kliniken dekontaminiert. Der Chemiker Wolfgang Kohnen wollte es genauer wissen und hat zusammen mit seinen Mitarbeitern im Abwassersystem der Stadt Mainz und im Rhein nach resistenten Krankenhausbakterien gefahndet, zum Beispiel nach dem Paradebeispiel dieser Bakterien, multiresistenten Staphylokokken, kurz MRSA.""

    Und da gibt es gleich die Entwarnung: wir haben keinen MRSA in der aquatischen Umwelt gefunden. Also keine Bedrohung darüber. Es gibt allerdings andere Krankheitserreger oder potentielle Krankheitserreger wie Pseudomonas aeruginosa oder Enterokokken, die auch Resistenzen entwickeln können, und diese haben wir sehr wohl in der aquatischen Umwelt gefunden.""

    Pseudomonaden können Harnwegs- und Wundinfektionen hervor rufen. Enterokokken gehören zu den Darmbewohnern von Mensch und Tier. Sie verursachen seltener eine Infektion, die dann jedoch umso dramatischer verlaufen kann, zum Beispiel mit einer Entzündung der Herzinnenhaut. Eine Resistenz gegen Antibiotika erschwert dann eine Therapie. Woher diese Bakterien im Wassersystem stammen, lasse sich noch immer nicht mit Sicherheit sagen, erklärt der Mitarbeiter der Universitätsmedizin Mainz. Sie könnten direkt aus Krankenhäusern den Weg in den Fluss gefunden haben. Sie könnten die Resistenz aber auch durch einen Gentransfer von anderen resistenten Keimen erworben haben, beispielsweise in einer Kläranlage.

    "Potentiell können diese Erreger aus unterschiedlichen Quellen kommen. Pseudomonas aeruginosa ist ein ganz typischer Wasserkeim. Der kommt also immer im Wasser vor und kann dort natürlich lernen, sich gegen Antibiotika zu wehren. Wohingegen: Die Enterokokken sind eher Keime, die in unserem Darm vorkommen, also im Darm von Tieren und Menschen, und darüber in das Wassersystem kommen."

    Ein Wechsel zwischen verschiedenen Lebensräumen und Bedingungen fällt den Enterokokken leichter, also ein Übergang von der Klinik in die Kanalisation und die Oberflächengewässer. Kohnen:

    "Zusätzlich sehen wir diese multiresistenten Enterokokken, die wir in der aquatischen Umwelt sehen, auch beim Patienten. Das heißt, das sind die gleichen Keime. Summa summarum: Enterokokken haben sich wirklich in der Umwelt und beim Patienten ausgebreitet."

    Bis ins Trinkwasser haben es die resistenten Enterokokken jedoch noch nicht geschafft, betont Wolfgang Kohnen. Denn das wird speziell auf diese Darmkeime hin untersucht und behandelt.

    Hinweis: Am Sonntag, 26.08., 16:30 Uhr, senden wir in "Wissenschaft im Brennpunkt" das Feature Resistenzen im Stall und in der Umwelt zum Thema.