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Wenn Migranten Unternehmer werden
Integration auf eigenes Risiko

Die Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen ist eine gigantische Herausforderung - für Staat und Wirtschaft. Manche Flüchtlinge nehmen ihr Schicksal daher selbst in die Hand und gründen eigene Unternehmen. Aber der Weg dorthin ist steinig, die finanziellen und bürokratischen Hürden sind hoch.

Von Benjamin Dierks | 15.03.2017
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    Friseur Suliman Khello in seinem Salon in Saarbrücken (Benjamin Dierks/Deutschlandradio)
    Das Café im Betahaus in Berlin-Kreuzberg ist bis auf den letzten Tisch besetzt. Fadi al-Chalabi bahnt sich seinen Weg vorbei an den Leuten, die am Tresen Kaffee bestellen. In seinem dunklen Anzug hebt er sich optisch von der Mehrheit hier ab. Die jungen Leute an ihren Laptops tragen eher enge Jeans und Turnschuhe. Das Betahaus ist ein Co-Working-Space, ein Bürohaus für die Berliner Startup-Szene. Wer kein eigenes Büro hat, kann sich hier einen Schreibtisch mieten. Am Anfang sei das bunte Treiben für ihn noch ungewohnt gewesen, sagt Fadi al-Chalabi.
    "Mittlerweile inspirieren mich Orte wie dieser. Ich liebe es, hier zu sein. Als ich in Berlin ein Büro suchte, habe ich mich auch zuerst bei einem Co-Working-Space eingemietet und ich war dort doppelt so produktiv wie anderswo. Alle um dich herum arbeiten."
    Al-Chalabi ist Syrer und will in Berlin ein Unternehmen gründen, eine Online-Bildungsplattform auf Arabisch. Mit der Idee hat der 38-Jährige sich erfolgreich um ein Gründungscoaching bei "Singa" beworben. Die aus Frankreich stammende Organisation bringt bereits seit einigen Monaten Flüchtlinge auf Arbeitsuche mit Einheimischen zusammen, vor allem mit solchen, die einen ähnlichen beruflichen Hintergrund haben. Nun will "Singa" auch denen unter die Arme greifen, die sich selbstständig machen wollen. Luisa Seiler ist Mitbegründerin der Organisation in Deutschland.
    "Wir hatten über 30 Bewerbungen und haben jetzt zehn Teams ausgewählt. Das reicht wirklich von der Online-Bildungsplattform auf Arabisch über Medizintourismus hin zu E-Commerce für syrisches Kunsthandwerk."
    Rechtliche Hürden - und vor allem Finanzierungsprobleme
    Die Arbeitsmarktintegration ist eine der größten Aufgaben, die Deutschland nach dem Zuzug Hunderttausender Flüchtlinge bevorsteht. Das Bundeswirtschaftsministerium, die KfW und die Handelskammern beobachten, dass viele Flüchtlinge motiviert sind, ihr eigenes Unternehmen zu gründen. Allerdings machen es ihnen Bürokratie, rechtliche Hürden und vor allem Finanzierungsprobleme nicht leicht.
    "Wenn man hierher geflüchtet ist, dann hat man in der Regel einen Aufenthaltsstatus von maximal drei Jahren. Und für diese kurze Zeit gibt einem keine Bank, auch keine öffentliche Bank, einen Kredit."
    Luisa Seiler will den Gründern mit einem Programm aus Workshops und persönlicher Beratung helfen. Sie und ihr Team haben sich dafür mit Unternehmen, Banken, Stiftungen, Handelskammern und Universitäten vernetzt, die Geld oder Expertise beisteuern. Alle Experten, die den Teilnehmern ihr Wissen weitergeben, tun das ehrenamtlich.
    Eine digitale Brücke in die Arbeitswelt
    "Wir haben die Notwendigkeit gesehen, das zu machen, weil wir gesehen haben, dass viele Neuangekommene in Berlin großes Interesse daran haben zu gründen. Einerseits sind sie unglaublich motiviert das zu tun, weil sie einen Unternehmerhintergrund mitbringen, aus der Familie, aus der Heimat, weil sie einfach spannende Ideen haben. Und zweitens gibt es auch Leute, die merken, dass es sehr schwierig ist, eine Stelle zu finden hier mit den Qualifikationen, die sie mitbringen."
    Wie einige seiner Landsleute, die sich hier selbstständig machen wollen, entwickelte Fadi al-Chalabi seine Geschäftsidee als er sah, auf welche Probleme Flüchtlinge in Deutschland stoßen. Al-Chalabi hatte eine leitende Position an der Universität von Damaskus, bevor er Syrien verließ. In Berlin traf er dann einige seiner ehemaligen Studenten wieder, die vor dem Bürgerkrieg in Syrien geflohen waren.
    "Als ich sie in ihren Flüchtlingsheimen besucht habe, waren sie aufgebracht. Sie sagten: Wir stecken voller Energie, wir wollen arbeiten. Einige von ihnen standen in Syrien kurz vorm Examen oder hatten es gerade hinter sich. Hier müssen sie erst ein bis zwei Jahre einen Sprachkurs machen. Bis sie damit fertig sind, vergessen sie doch alles, was sie an der Uni gelernt haben."
    Deshalb will al-Chalabi eine Online-Bildungsplattform aufbauen. iBridge hat er sie getauft – eine digitale Brücke soll sie sein und es arabischen Flüchtlingen ermöglichen, sich am Laptop oder Handy in ihrer Landessprache weiterzubilden, und zwar schon während sie noch Sprach- und Integrationskurse absolvieren. Al-Chalabi will vor allem Fertigkeiten vermitteln, die einen schnellen Einstieg in den Job ermöglichen: digitales Marketing zum Beispiel, Grafikdesign, App-Entwicklung oder Projektmanagement.
    "Ein großer Teil der Arbeitsmarktintegration geht über Selbständigkeit"
    Auf Arabisch sei das Bildungsangebot im Netz noch ziemlich unterentwickelt, sagt al-Chalabi. Deshalb hat er ehrgeizige Wachstumsziele. Bald sollen Wissbegierige aus der gesamten arabischen Welt bei seiner in Deutschland gegründeten Online-Akademie Kurse buchen. Menschen wie Fadi al-Chalabi, die lieber ein Unternehmen gründen wollen, anstatt auf eine Stelle zu hoffen, könnten ein Anstoß sein, die bisherigen Integrationsbemühungen zu überdenken. Und das gilt nicht nur für Flüchtlinge. Immer mehr Einwanderer gründen in Deutschland Unternehmen. Rund jeder fünfte Gründer hierzulande hat nach Angaben der nationalen Förderbank KfW keinen deutschen Pass oder hatte zumindest noch keinen, als er geboren wurde. Zugewanderte Gründer sind in allen Branchen zuhause. Und sie leisten einen besonderen Beitrag zur Integration, sagt René Leicht vom Institut für Mittelstandsforschung der Universität Mannheim.
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    Suliman Khello (l.) und Gründungsberaterin Stefanie Valcic-Manstein (Benjamin Dierks Deutschlandradio )
    "Wir können sagen, dass die Zahl der Selbständigen auf dem Arbeitsmarkt mit Migrationshintergrund in den letzten zehn Jahren um etwa ein Viertel gestiegen ist. Das heißt, ein großer Teil der Arbeitsmarktintegration geht über den Weg der Selbständigkeit."
    Selbständige Migranten seien besser ausgebildet und verdienten im Schnitt auch mehr als Angestellte. Hinzu kommt: Sie bescheren dem Mittelstand neue Geschäftsideen, sind oft risikofreudiger als Deutsche und beleben die vergleichsweise müde Gründerszene in Deutschland – in einer Zeit, in der die Zahl der Gründungen insgesamt zurückgeht. Viele eingewanderte Gründer schaffen heute moderne Unternehmen, fernab des vielleicht verbreiteten Klischees vom Imbiss oder dem Gemüseladen. Was wirtschaftlich besonders ins Gewicht fällt: Sie schaffen dabei immer mehr Jobs.
    "Wir gehen nach unseren Berechnungen davon aus, dass die Zahl der von Migrantenunternehmen geschaffenen Arbeitsplätze bei etwa 2,5 Millionen liegt, eingerechnet die Arbeitsplätze, die sie für sich selbst schaffen."
    Häufiger als andere Unternehmer stellen Migranten wiederum Menschen ein, die selbst eingewandert sind oder von Einwanderern abstammen und Probleme haben, anderweitig Arbeit zu finden, beobachtet René Leicht.
    "Und ein besonderes Verdienst liegt sicherlich darin, dass sie strukturell benachteiligte Jugendliche ausbilden, also solche mit Migrationshintergrund, die hier am Ausbildungsstellenmarkt schlechtere Chancen haben, und solche, die geringere schulische Qualifikationen vorweisen und deswegen auch Schwierigkeiten am Ausbildungsstellenmarkt haben."
    Nun gründen Einwanderer nicht nur, weil so viel Unternehmensgeist in ihnen steckt. Oft ist die Entscheidung aus der Not geboren. Häufiger als Deutsche machen sie sich aus der Arbeitslosigkeit heraus selbständig. Mitunter auch, weil es ihnen hilft, den Aufenthalt in Deutschland zu verlängern. Und die Folgen eines Scheiterns können schmerzhaft sein. Dennoch liegt das Potenzial für beide Seiten auf der Hand. Hier sind Menschen, die bereit sind, ihr eigenes Schicksal in die Hand zu nehmen – ihre Integration in den Arbeitsmarkt und womöglich die anderer Menschen dazu. Der Nutzen für die Gesellschaft kann also groß sein. Im Verhältnis dazu steht zugewanderten Gründern aber oft nur wenig Unterstützung zur Verfügung. Auch wenn am Ende der Erfolg steht, der Weg dorthin ist für sie häufig besonders steinig.
    So war es auch bei Suliman Khello in Saarbrücken. Der Friseur schaut gerade seinem Neffen über die Schulter, der einem jungen Mann den Nacken rasiert. Dann springt er wenige Stufen hinauf in einen leicht erhöht liegenden Teil seines Salons. Dort macht seine Schwester einer Kundin eine komplizierte Hochsteckfrisur. Das ist ihre Spezialität, Khellos Salon hat sich auch dadurch einen Namen gemacht. Vor ein paar Jahren noch hatte der Friseur in Syrien bei seiner Schwester das Handwerk gelernt. Als sie dann vor dem Bürgerkrieg nach Deutschland floh, konnte Khello ihr einen Job geben. In seinem eigenen Salon, den er vor zweieinhalb Jahren in der Saarbrücker Innenstadt eröffnet hatte:
    "Wir sind hier fast mit der ganzen Familie, ich, meine Schwester, meine Neffen und Nichten, wir machen das alles zusammen."
    2009 war Khello über eine Familienzusammenführung nach Deutschland gekommen. Seine Frau lebte schon länger hier. Khello nahm einen Job als Friseur an und erarbeitete sich schnell seine eigene Stammkundschaft. Nur fragte sich der heute 32-Jährige, wie er mit seinem Gehalt die Familie ernähren sollte. So reifte der Entschluss, einen eigenen Salon zu eröffnen.
    "Wenn alles gut läuft, mache ich in anderthalb Jahren mein zweites Geschäft auf."
    Heute spricht Khello voll Zuversicht von seinem Geschäft. Dabei wäre am Anfang fast alles gründlich schief gelaufen. Die passende Immobilie war schnell gefunden. Auch dass er als im Ausland ausgebildeter Friseur ohne Meisterbrief nicht einfach einen Salon eröffnen konnte, hatte er zähneknirschend akzeptiert. Um die Handwerkskammer zufriedenzustellen, heuerte er eine Friseurmeisterin an, die für den Salon verantwortlich zeichnen sollte. Nun fehlte nur noch das nötige Startkapital. Aber als er dem Bankberater seinen Businessplan vorlegte, schüttelte der den Kopf.
    Mangelware Risikokapital
    "Die Banken wollten Sicherheiten haben. Und ich habe leider keine Sicherheiten."
    Der Bankangestellte schickte ihn stattdessen zum saarländischen IQ-Landesnetzwerk. IQ steht für Integration durch Qualifizierung, ein bundesweites Förderprogramm, das Menschen mit Einwanderungsgeschichte in Lohn und Brot oder eben zum eigenen Unternehmen bringen will. Die Gründungsberaterin Stefanie Valcic-Manstein kennt die Tücken, die in der deutschen Bürokratie wie im Geschäftsleben lauern und hat womöglich noch eine Idee, wenn die Bank keinen Gründungskredit gewähren will.
    "Das Risiko, das Banken eingehen, strebt gegen null. Das heißt, für Ideen von Gründern, die gut sind, die auch gar nicht so viel Kapital brauchen, ist es superschwierig, Geld zu bekommen, auch wenn der Businessplan stimmt, die Rentabilität stimmt, die einfach ein unternehmerische Auftreten haben."
    Als Suliman Khello zuStefanie Valcic-Manstein kam, ging die seinen Businessplan durch. Khellos' Geschäftsidee überzeugte sie. Nun gingen sie gemeinsam zur Bank – und zur nächsten und zur nächsten. Valcic-Manstein verhandelte, Khello schraubte seine Vorstellungen herunter.
    "Also, ich brauchte am Anfang ungefähr 40.000, später habe ich gesagt: 30 habe gesagt, das reicht. Am Ende wollte ich 15.000 haben, die haben gesagt, klappt nicht."
    Risikokapital wird in Deutschland wie auch im Rest Europas deutlich zurückhaltender vergeben als etwa in den USA. Für Einwanderer ist es oft unerreichbar. Wolfgang Vogt koordiniert die Arbeit des Landesnetzwerks IQ im Saarland. Er versteht nicht, warum schon Gründer mit einer so konventionellen Idee wie Khello so große Finanzierungsprobleme haben.
    "Risikokapital ist ein elementares Problem, wenn man nur ein paar tausend Euro braucht. Wir arbeiten seit Jahren hart daran, Risikokapital in diesem unteren Bereich, im Klein- und Kleinstgründungsbereich, zu vernünftigen Konditionen akquirieren zu können. Damit konfrontieren wir die Politik schon seit mehreren Jahren."
    Suliman Khello konnte sich am Ende nur auf seine Familie und seine Freunde stützen, um seine Idee vom eigenen Friseursalon zu verwirklichen.
    "Jeder hat gegeben, was er konnte, ein-, zwei-, dreitausend Euro, bis genug zusammen war. Als ich aufgemacht habe, hatte ich nur 800. Euro in der Kasse."
    Aus Sicht des IQ-Gründungsbüros ist es problematisch, dass viele Gründer mit Migrationshintergrund bei der Finanzierung auf Familie und Bekannte zurückgreifen müssen, sagt Koordinator Wolfgang Vogt.
    "Das ist kritisch, weil ein Gründer im Falle des Scheiterns genau denen Schaden zufügt, die er dann braucht, um aufgefangen zu werden. Ich glaube, wir bräuchten ein bisschen mehr ein Umfeld, das eine gewisse Experimentierfreude und Risikobereitschaft honoriert."
    Gründer zu unterstützen ist für das IQ-Landesnetzwerk im Saarland wie auch in anderen Bundesländern lediglich ein Nebengeschäft. Nur ein Bruchteil des vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und vom Europäischen Sozialfonds stammenden Geldes wird dafür verwendet. Das ist auch eine politische Vorgabe. Das IQ-Netzwerk kooperiert mit der Agentur für Arbeit. Dort zählt ein sozialversicherungspflichtiger Job mehr als ein neues Unternehmen. Beratungseinrichtungen für Migranten berichten weitgehend einhellig, dass die Bundesregierung den Gang in die Selbstständigkeit mal stärker und mal zurückhaltender fördere. Das hänge von der Höhe der Arbeitslosenzahlen ab.
    Marion Wartumjan ist die Geschäftsführerin der Arbeitsgemeinschaft Selbstständiger Migranten, kurz ASM, in Hamburg: "In Zeiten hoher Arbeitslosigkeit gibt es immer Programme zur Förderung der Existenzgründung, damit sozusagen auch die Arbeitslosenstatistiken ein Stückchen bereinigt werden."
    Das bekommt auch die ASM zu spüren. Jahrelang wurde die Beratung von Existenzgründern mit öffentlichem Geld finanziert. Im Moment müsse der Verein sie wieder selbst tragen, weil es keine Förderung für den Bereich mehr gebe, sagt Wartumjan. Sie hält nicht viel von solch einer zyklischen Gründungshilfe.
    "Es wird zu wenig darüber nachgedacht, dass Menschen, die nach Deutschland kommen, in ein komplett neues politisches, soziales und wirtschaftliches System kommen. Ich muss dieses System erst einmal begriffen haben, deswegen brauche ich für die Gründung einen bestimmten Vorlauf, selbst wenn ich Berufserfahrung im Bereich meiner Gründungsidee gesammelt habe."
    Das Angebot speziell für Migranten sei auch deshalb so wichtig, weil viele von ihnen reguläre Angebote der Handelskammern oder anderer Institutionen nicht in Anspruch nehmen. Das hat unterschiedliche Gründe: Gerade angehende Kleinunternehmer sind oft eingeschüchtert von den großen Einrichtungen. Viele halten sich lieber an ihnen bekannte Unternehmer derselben Herkunft oder andere Menschen aus ihrer Gemeinschaft. Und anders herum sind Kammern, Verbände oder Behörden häufig noch nicht ausreichend auf die Bedürfnisse der Existenzgründer eingestellt. Das bestätigt René Leicht vom Institut für Mittelstandsforschung der Uni Mannheim.
    Bankberater im Teehaus
    "Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass sie nicht die richtigen Ansprechpartner finden. Teilweise sind das natürlich institutionelle Hürden, weil sie viel Bürokratie durchlaufen müssen, weil sie vielleicht nicht die Wertschätzung in den Regelinstitutionen finden und deswegen vielleicht auch nicht offene Türen finden, um beraten zu werden."
    Einige Handelskammern oder Banken haben mittlerweile reagiert. Sie bieten ihre Beratung zum Beispiel nicht mehr nur in den eigenen Räumen an, sondern schicken ihre Berater auch mal in ein Teehaus oder in einen Nachbarschaftsverein. Manchmal suchen Gründer trotzdem so spät Hilfe, dass es fast zu spät ist.
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    Spätaussiedlerin Larissa Maier in ihrem Art Studio in Berlin (Benjamin Dierks/Deutschlandradio)
    Eine Werkstatt in einer alten Industriebaracke in Hennigsdorf bei Berlin. An der Wand stehen Industriedrucker, die Mitte des Raums nimmt eine grobe Werkbank ein. Darauf zimmert ein Mann mit kräftigen, tätowierten Armen große Holzrahmen zusammen, zieht Leinwände darauf und tackert sie fest. Stück für Stück entstehen so auf Rahmen gezogene Fotodrucke. Einige Motive hängen an der Wand, das Brandenburger Tor, Albert Einstein, eine leicht bekleidete Frau auf einem Motorrad.
    Diese Bilder sind seit anderthalb Jahren das Geschäft von Larissa Maier. Die sitzt in einer kleinen Teeküche nebenan mit ihrem Mann Vladislav und ihrem erwachsenen Sohn Alex. Über dem Kühlschrank zwitschern in einem Käfig Kanarienvögel.
    "Ich wollte arbeiten und mein Mann hilft mir. Er hat Erfahrung – große Erfahrung."
    Larissa Maier und ihr Mann sind russische Spätaussiedler und seit 16 Jahren in Deutschland. Vladislav machte sich 2009 als Hausmeister selbständig, Larissa Maier kümmerte sich in den vergangenen Jahren um Haushalt und Kinder. Als die nun groß genug waren, um auf sich selbst aufzupassen, wollte sie wieder Geld verdienen. Da hatten sie und ihr Mann die Idee, Fotodrucke zu verkaufen. Larissa und Vladislav Maier blicken immer wieder zu ihrem Sohn Alex und sagen ein paar Worte auf Russisch. Er soll übersetzen.
    "Die Liebe zur Kunst hatte Mutti ja schon immer. Im ersten Monat waren die Verkäufe ziemlich niedrig, aber nach zwei Monaten kam der große Sprung."
    Im September 2015 gründete Larissa Maier ihr Unternehmen Lara Art Studio. Die Familie schaffte Drucker und Materialien an und bot die Fotodrucke über Verkaufsplattformen wie Amazon, E-Bay und ihre eigene Website an. Bereits zwei Monate später sprang der Umsatz auf 20.000 Euro. Ein gewaltiger Erfolg, aber Larissa Maiers Freude währte nur kurz. Denn ihr brach die Buchhaltung über dem Kopf zusammen. Sie brauchte Hilfe. Und die fand sie bei Charlotte Große.
    "Manche Dinge dümpeln vor sich hin und kommen und kommen nicht in die schwarzen Zahlen. Und andere explodieren von null auf hundert und dann sind die Leute natürlich genau so überfordert."
    Beispiel Brandenburg
    Die Soziologin kennt sich aus mit kleinen Unternehmen, die ins Straucheln geraten. Große arbeitet beim BIUF, Anfang der 1990er-Jahre als Brandenburgisches Institut für Umbildung und Fortbildung gegründet. Dort ist sie zuständig für die "Qualifizierung von Migrantenunternehmen". Charlotte Große freut sich, dass Larissa Maier mit ihren erfolgreichen Leinwandbildern frühzeitig Alarm geschlagen hat. So konnte Große ihr mit einer Einzelberatung unter die Arme greifen.
    "Unsere größte Schwierigkeit ist, dass die Leute oft zu spät kommen. Die kommen erst, wenn ihnen der Rock in Flammen steht."
    Maier hat die ersten Hürden genommen und kann nun über den Ausbau ihres Unternehmens nachdenken. Auch Große bedauert, dass die Selbstständigkeit von Regierungsseite oft nicht als gleichberechtigter Weg angesehen werde, einen Zugang zum Arbeitsmarkt zu ermöglichen.
    "Selbständigkeit ist definitiv für meine Begriffe eine genau so gute Möglichkeit, sich von seiner eigenen Hände Arbeit zu ernähren, wie sich einen Job zu suchen."
    Gerade in einem strukturschwachen Land wie Brandenburg. Viele gingen mit ihren kleinen Firmen in wirtschaftliche Nischen, die andere aufgegeben hätten. In der Uckermark zum Beispiel habe es kaum noch niedergelassene Ärzte gegeben. Nun gebe es sie wieder – und zwar Ärzte mit Migrationshintergrund. Die machten sogar Hausbesuche.
    "Wenn immer alle einer Meinung sind, dann gibt es keine Entwicklung mehr. Irgendwer muss da auch mal quer bürsten."
    Ihre Kunden, die kleinen Unternehmer mit Migrationshintergrund, bräuchten zwar häufig die Hilfe der Gesellschaft. Aber die Gesellschaft, davon ist Große überzeugt, brauche auch die Hilfe dieser kleinen Unternehmer.