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Wenn Parfum zur Lust lockt

Biologie. - Unter Kollegen werden Entomologen mitunter als Heuschreckenzähler bespöttelt. Doch gar so eintönig und dröge ist die Insektenkunde nicht. Ein spezielles Feld der Disziplin beschäftigt sich beispielsweise mit den komplexen Beziehungen zwischen Insekten und Pflanzen. So sind Bienen für zahlreiche Gewächse unumgängliche Partner, wenn es darum geht, sich fortzupflanzen. Wenn diese Boten der Liebe aber nicht so wollen wie etwa Orchideen, dann muss sich Mutter Natur mitunter ein paar Tricks einfallen lassen.

31.03.2003
    Unter den Insekten gehören Bienen zu den Elefanten, zwar nicht in der Größe, wohl aber in ihrem Erinnerungsvermögen, schmunzelt Professor Manfred Ayasse. Die Tiere, so versichert der Experte, besäßen eine außerordentliche Lernfähigkeit: "Bienen können sich Duftbuketts sehr gut merken. Beispielsweise lernt das Bienenmännchen die Duftmarke eines arteigenen Weibchen bei der Paarung und verschmäht es fortan für weitere Paarungsversuche." Der Grund für das Verhalten ist, dass die meisten weiblichen Wildbienen sich nur einmal im Leben paaren. Es würde daher keinen Sinn für ein Männchen machen, der Monogamie anzuhängen. Deshalb verwunderte den Ulmer Insektenkundler umso mehr, dass Bienen oder Dolchwespen trotzdem immer wieder auf die Tricks einiger Orchideen hereinfallen. Diese so genannten Sexualtäuschorchideen imitieren mit ihren Blüten täuschend echt Form und Farbe, vor allem aber auch den Duft von Bienen- oder Wespenweibchen.

    Die Raffinesse der stimulierenden Parfums reicht dabei von genial schlicht bis hin zu ganzen Duftcocktails komplexer Verbindungen. Während manchen Arten einfache Kohlenwasserstoffvariationen als Lockmittel genügen, treibt es die Spiegelragwurz geradezu auf die Spitze, um ihre Bestäuber unwiderstehlich anzuziehen. "Die Spiegelragwurz lockt Dolchwespen mit komplizierten Hydroxysäuren an. Diese Verbindungen ähneln dem Königinpheromon von Honigbienen. Solche Substanzen wurden bei Pflanzen bislang überhaupt noch nicht beschrieben." Kein Wunder also, dass auch der Experte jetzt zu enträtseln versucht, wie die Pflanzen wohl auf solche Tricks kamen. Ayasse vermutet, dass manche chemischen Moleküle ursprünglich zur Abwehr von Bakterien oder Pilzen dienten, während andere Kohlenwasserstoffkomplexe Orchideen wiederum von dem Austrocknen schützten. Rein chemisch betrachtet sei der Weg von diesen Verbindungen bis zum Duft der Bienenweibchen indes nicht sehr weit. Im Zuge von Evolution und Selektion hätten lediglich einige Doppelbindungen in den ungesättigten Kohlenwasserstoffen verändert werden müssen, um die schützenden Substanzen in Sexuallockstoffe zu verwandeln.

    Doch das erkläre nicht, warum die Bienen trotz ihres guten Gedächtnisses immer wieder auf die Tricks der Sexualtäuscher hereinfielen, meint Ayasse: "Die einzelnen Blüten in einem Blütenstand riechen unterschiedlich. Wir konnten im Experiment zeigen, dass das Männchen beim Besuch einer Blüte deren eigenen Duft erlernt und sie nicht wieder aufsucht. Trotzdem lockt aber der gesamte Blütenstand die Biene erneut an, die dann eine weitere, geringfügig anders duftende Blüte ansteuert." Doch damit nicht genug: Hat ein duftgeblendetes Männchen beim vergeblichen Liebesakt eine Blüte bestäubt, produziert diese das Bukett eines begatteten Bienenweibchen und treibt das Männchen so zu einer der noch unbestäubten und daher noch verheißungsvoll riechenden Blüten hinüber. Die ausgeklügelte Täuschungsstrategie mache Sinn, sagt Manfred Ayasse, denn Orchideen bewohnten oft dünn besiedelte Standorte: "Da genügt es nicht, einen Bestäuber mit Pollen und Nektar als Belohnung bei der Stange zu halten." Mit Erfolg, denn eine einzige bestäubte Blüte bringt 10.000 Samen hervor – das reicht fürs Überleben.

    [Quelle: Hartmut Schade]