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Wenn sich Eifersucht und Todesangst begegnen

Eine "Reise zum Mittelpunkt des Herzens" verspricht Ludwig Fels' neuer Roman. Es handelt sich um eine heftige Geschichte über die Liebe. Eine Liebe am Rande des Todes. Der schwerkranke Tom verbringt die letzten Stunden mit seiner geliebten Frau Linda und dem besten Freund Jack. Reichlich Tränen werden vergossen. Denn Tom's Eifersucht ist stärker als die unmenschlich starken Schmerzen und sein Misstrauen größer als die Angst vor dem nahen Sterben.

Von Michaela Schmitz | 25.04.2006
    Mit seinem bitteren Argwohn treibt er Jack und Linda bis an die Grenzen ihrer Freundschaft und Liebe. Bis dahin, wo selbst das Absolute nicht mehr gültig zu sein scheint und sich die radikalste aller Fragen stellt: "Was, wenn die Liebe alles nur noch schlimmer macht?" Die Antwort des Sterbenden ist bitter. Leben und sterben, so Tom, müssen alle. Aber nicht alle zur gleichen Zeit. Und genau das sei es, was die Ungerechtigkeit der Liebe ausmache. Oder ihre Gerechtigkeit. Letzten Endes ist also der Liebeszweifel nichts anderes als die Frage nach dem Sinn des Lebens und Sterbens? Die Furcht des Eifersüchtigen vor Verlust und Abschied jedenfalls trägt den Keim jener existenziellen Angst vor dem Tod schon in sich.

    Eifersucht und Todesangst treffen sich in der vollständigen emotionalen Haltlosigkeit, die alles unterhöhlt. Alltag, Wirklichkeit und Wahrnehmung sacken urplötzlich ins Bodenlose. Genau dieser Zustand zwischen Leben und Tod ist es, den Ludwig Fels in seinem Roman unbarmherzig ausleuchtet. Die wenigen Stunden, die Tom dank Dr. Olsens mobiler Schmerzmittel-Pumpe noch bleiben, werden für alle zur Qual. Aus der Perspektive des sterbenden Tom zeigt Fels, wie die Realität von einer Sekunde auf die andere brüchig, die Wirklichkeit zu hauchdünnem Papier wird. Trotzdem: Jack und Linda versuchen, Tom festzuhalten. Ein Ausflug zur Insel, auf der die Drei einmal ihre schönsten Stunden miteinander verbracht haben, soll die Erinnerung konservieren. Und mit Fotos von Tom und Linda will Fotograf Jack seinen Freund vor dem allmählichen Verschwinden bewahren. Aber ein tödliches Unglück zerstört die Idylle. Nach Jacks Autokollision mit einem Reh zucken seine Läufe im Todeskampf wie die Beine des bewegungsunfähig auf der Wiese liegenden Tom. Nach der Rückkehr schwebt schon ein Schattenbalken über seinem Bett. Das surreale Ende: Der Sterbende erhebt sich zum gemeinsamen Abendmahl mit Linda, Jack und Dr. Olsen, wo er sich zwischen Fleisch und Wein auf den Tisch legt.

    Ludwig Fels' Roman ist ein sentimentales Rührstück. Wie immer geht es ihm um Wahrhaftigkeit. Dafür gilt es, bis dorthin vorzustoßen, wo es wehtut. Mit drastischen Schilderungen menschlicher Realität und expressiven Bildern. Starke Metaphern stoßen gelegentlich bis an die Schmerzgrenze des Lesers.

    Immer wieder finden sich verstörende Bilder und treffsichere Dialoge. Poetisch wehmütige und bitter zynische Passagen, die spontan berühren. Auch vor Kitsch und Pathos schreckt Fels nicht zurück. Sein Bekenntnis: "Ich mag Kitsch. Wenn es wehtut, finde ich das hervorragend. Das einzige, was ich möchte, ist angesprochen und ergriffen zu sein. Ob das ein guter Rocksong ist, (...) von mir aus, das ist ganz egal."

    Ludwig Fels: Reise zum Mittelpunkt des Herzens.
    Jung und Jung 2006.
    159 Seiten
    19,80 EUR.