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"Wenn wir keinen Kompromiss finden, dann müssen wir die Sache beerdigen"

Im Koalitionsstreit um das Betreuungsgeld haben 24 CDU-Abgeordnete in einem Brief an die Fraktionsspitze ihre Bedenken gegen den CSU-Gesetzentwurf formuliert. Einer von ihnen ist der Hamburger CDU-Abgeordnete Jürgen Klimke.

Jürgen Klimke im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 18.04.2012
    Tobias Armbrüster: Das Betreuungsgeld sorgt innerhalb der Regierungskoalition schon seit Wochen für Krach. Die CSU will es auf jeden Fall im kommenden Jahr einführen, um auch solche Eltern zu fördern, so wie sie sagt, die ihre Kinder unter drei Jahren nicht in eine Kita schicken, sondern zu Hause betreuen. Viele in der CDU sagen, das ist familienpolitisch ein falsches Signal, außerdem kann man das viele Geld besser anlegen.
    Am Telefon ist jetzt der Hamburger CDU-Abgeordnete Jürgen Klimke, er ist Obmann im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und er ist einer der Unterzeichner des kritischen Briefs an Fraktionschef Kauder. Schönen guten Morgen, Herr Klimke.

    Jürgen Klimke: Guten Morgen, Herr Armbrüster.

    Armbrüster: Herr Klimke, haben Sie auf Ihren Brief eigentlich schon eine Antwort bekommen?

    Klimke: Nein, keine direkte Antwort. Aber das habe ich auch in der kurzen Zeit noch nicht erwartet.

    Armbrüster: Was wissen Sie denn von Plänen, dass das Betreuungsgeld in der kommenden Woche begraben werden soll?

    Klimke: Begraben werden soll? Also das habe ich bisher noch nicht gehört. Dass wir weiter darüber diskutieren und dass das auch nicht nur innerhalb der Fraktion, unserer Fraktion beziehungsweise auch der anderen Fraktionen diskutiert wird, sondern in der breiten Öffentlichkeit, macht ja eben auch deutlich, wenn man heute zum Beispiel die Schlagzeilen in den Zeitungen liest, Arbeitgeber und Gewerkschaften rebellieren gegen das Betreuungsgeld, Streit um die Herdprämie - also das ist ja nicht nur eine politische Frage, sondern eine gesamtgesellschaftliche Frage, die uns im Moment doch wirklich umtreibt, und man merkt, wenn Arbeitgeber und Gewerkschaften zusammen etwas tun, das ist ja ganz selten, dass das offensichtlich doch wirklich ein essenzielles Problem ist.

    Armbrüster: Aber kommt denn die Kritik aus der CDU-Fraktion nicht reichlich spät? Am besten hätten Sie das Betreuungsgeld ja schon zu Beginn der schwarz-gelben Koalition torpediert, wenn Sie es wirklich nicht wollen.

    Klimke: Ja, gute Frage. Aber das ist natürlich wie bei vielen politischen Entscheidungen: Man sagt zunächst einmal grundsätzlich Ja, man könnte sich vorstellen, in diese Richtung zu gehen, und dann geht es bei der Frage, ob oder gegebenenfalls wie, bei dem Wie doch in den Diskussionsbereich, und dann stellt man fest, da können wir uns nicht auf eine Linie einigen, und dann stellt sich die Ob-Frage, die Grundsatzfrage mit einem Mal wieder und da sind wir im Moment.

    Armbrüster: Die CSU sagt jetzt, Zusage ist Zusage und an Verabredungen muss man sich nun mal halten.

    Klimke: Ja! Aber Mehrheit ist Mehrheit, und wenn wir keine Mehrheit haben, was nutzt es, wenn wir dann irgendetwas fordern, was wir nicht umsetzen können. Also müssen wir versuchen, entweder Kompromisse zu finden, oder wenn wir keinen Kompromiss finden, dann müssen wir die Sache beerdigen.

    Armbrüster: Wie könnte denn ein Kompromiss Ihrer Meinung nach aussehen?

    Klimke: Na ja, also dann geht es eher um die Frage wie, und da sind natürlich solche Situationen auch zu analysieren, wie ist eigentlich die Haushaltsfrage. Ab 2014 sind die fast zwei Milliarden, die gebraucht werden dafür, bisher nicht gedeckt. Also da muss zum Beispiel geklärt werden, woher das Geld kommen soll oder wo es anderswo abgezogen werden soll.

    Armbrüster: Das ist aber noch kein Kompromiss.

    Klimke: Das ist noch kein Kompromiss, nein. Dann geht es um die Frage der Auszahlungsformen zum Beispiel, direkte Auszahlung der 100 oder 150 Euro, und da gibt es ja viel, viel, viel Diskussionen über die Frage eines potenziellen Missbrauches, das heißt, dass das Geld nicht direkt den Kindern zugutekommt, sondern irgendwo im Familienbereich versandet.

    Armbrüster: Die CSU hat aber schon klipp und klar festgestellt, es soll bar ausgezahlt werden.

    Klimke: Ja, gut. Schwarz ist das eine, Weiß ist das andere und in der Mitte gibt es Grau, und wir reden im Moment über Grau und da geht es um die Frage, gibt es nicht auch andere Möglichkeiten, also zum Beispiel die Frage eines Rentenanspruches, oder auch die Möglichkeiten, Gutscheine zum Beispiel zu geben.

    Armbrüster: Wurde beides gestern schon aus München abgelehnt.

    Klimke: Ja, das mag schon sein. Aber es gibt immer zwei Seiten, und wenn die andere Seite sozusagen versucht, Kompromisse zu finden, diejenigen, die das grundsätzlich ablehnen, sagen aber, okay, auf dem Kompromisswege können wir uns dieses und jenes vorstellen, dann wäre auch die CSU gut beraten, einmal über die Kompromisse nachzudenken. Die Gesundheitsministerin hat das ja auch getan und die Frage zum Beispiel - nein, Gesundheitsministerin nicht! Die zuständige Familienministerin hat die Frage der ärztlichen Pflichtuntersuchungen zum Beispiel angesprochen, die gemacht werden müssen. Das ist ja auch ein Punkt, bei dem sozusagen dann nachgewiesen werden kann, mit dem nachgewiesen werden kann, dass das Geld vernünftig angelegt wird.

    Armbrüster: Ich habe es schon gesagt: Da kam regelmäßig ein Nein in den vergangenen Tagen aus München. Sind Ihre Kollegen von der CSU in Bayern da vielleicht etwas halsstarrig?

    Klimke: Nun ja, da geht es dann im Moment nach dem Motto: ganz oder gar nicht, und man versucht, es dann eben ganz durchzusetzen, und man wird irgendwo auch sehen, dass das dann zu einem Ergebnis kommt "gar nicht", und wenn das bei der CSU auch sozusagen verinnerlicht ist, dann wird die Kompromissschiene auch von ihr sicherlich bedient werden.

    Armbrüster: Herr Klimke, das Ganze ist jetzt der zweite Fall innerhalb sehr kurzer Zeit, dass sich einzelne Abgeordnete offen gegen die Fraktionsspitze stellen, auch in der Union. Die andere Kontroverse gab es um eine mögliche Beschneidung des Rederechts von Parlamentariern. Kann man das vielleicht so sagen: Entdecken die Unions-Abgeordneten hier gerade ihre Unabhängigkeit wieder?

    Klimke: Also es ist doch nicht schlecht, wenn wir diskutieren über solche Fragen, und auch sozusagen in der Öffentlichkeit deutlich wird, dass es bei uns eben nicht nur Ja oder Nein gibt, sondern man eben auch über Zwischentöne spricht, und dass es dann auch zu sinnvollen Ergebnissen führt, wie wir jetzt bei der Frage der Redezeit für Abgeordnete, die andere Auffassungen haben als die Fraktion, sehen können. Darüber wird eben noch mal diskutiert, und da kommen wir sicherlich auch zu einer Kompromisslösung, die von allen dann mitgetragen wird. Ich finde das sehr vernünftig und sehr gut, macht eigentlich nur deutlich, dass es auch viel Heterogenität in der Partei gibt, viel alternatives Denken, und warum nicht auch bei der CSU und der CDU, von denen man immer sagt, sie seien ein monolithischer Block.

    Armbrüster: Ist dieser Grundsatz, dass die Abgeordneten nur ihrem Gewissen unterworfen sind und nicht der Fraktionsdisziplin, ist dieser Grundsatz vielleicht in den vergangenen Monaten während der Schuldenkrise ein bisschen in Vergessenheit geraten und wird jetzt wieder rausgeholt?

    Klimke: Natürlich, Sie haben völlig Recht. Die ganze Frage Schuldenkrise hat bei uns doch ein Höchstmaß an Sensibilität, was unsere Entscheidungen betrifft, unsere ganz persönlichen Entscheidungen, die wir treffen müssen, betrifft, hervorgerufen und hat auch noch mal deutlich gemacht, wie wichtig auch eine ganz persönliche Entscheidung ist. Da denkt man dann mit sich selbst natürlich sehr intensiv nach, ob man das auch vertreten kann, was man tut, und das strahlt dann natürlich auch auf andere grundsätzliche Fragen aus. Sehen Sie, ich bin eigentlich kein Familienpolitiker, obwohl wir selbst vier Kinder haben. Ich mache Entwicklungszusammenarbeit, Außenpolitik. Aber für mich ist das mit einem Mal doch auch ein essenzielles grundsätzliches Thema, wo ich sozusagen meinen politischen Glauben, meine politische Überzeugung für mich selbst überprüfe, und ich komme zu dem Ergebnis, so in dieser Form möchte ich es nicht. Das kann ich nicht bei jedem Thema machen, bei allen 100 Entscheidungen, die wir wöchentlich in unseren Sitzungen zu treffen haben, aber bei wichtigen Grundsatzfragen ist es so und da finde ich auch, dass es richtig ist, dass man darüber in der Öffentlichkeit diskutiert.

    Armbrüster: Herr Klimke, wie groß ist denn der Druck, den die Fraktionsspitze in dieser Frage des Betreuungsgeldes auf Sie ausübt?

    Klimke: Ich habe bisher keinen Druck verspürt. Mich hat keiner genötigt, mich hat keiner angerufen, mir hat keiner geschrieben und mir gedroht in Anführungsstrichen, dass es Koalitionskrach oder Riesenauseinandersetzungen mit der CSU geben wird, wenn wir nicht in dieser Frage einlenken, überhaupt nicht, und das finde ich genau richtig und deswegen verhalten sich viele derjenigen, die auch in der Frage zunächst mal grundsätzlich gesagt haben nein, auch in einer Kompromisslinienform, weil man eben sieht, man muss aufeinander zugehen.

    Armbrüster: Jürgen Klimke war das, CDU-Abgeordneter aus Hamburg und einer der Unterzeichner eines offenen Briefs, der dem Betreuungsgeld eine klare Absage erteilt. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören nach Hamburg.

    Klimke: Danke Ihnen! Tschüss!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.