Freitag, 19. April 2024

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Wer hat, dem wird gegeben

Wer hat, dem wird gegeben, diese Weisheit passt anscheinend auch auf unser komplettes Bildungssystem. Eine Studie des Kölner Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie belegt: Ob in der Grund- oder Hochschule, vom bestehenden Finanzierungssystem profitieren vor allem die, die sowieso Geld haben. Patrick Honecker im Gespräch mit Dieter Dohmen, Leiter des Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie.

21.04.2004
    Honecker: : Dieter Dohmen, Leiter des Forschungsinstituts, ein jahrzehntelang gebrauchtes Schlagwort ist die "Chancengleichheit". Wie steht es denn mit ihr in Deutschland?

    Dohmen: Unsere Studie belegt einerseits, dass die Nutzungshäufigkeit weiterführender Bildungseinrichtungen eindeutig positiv mit der Bildungsnähe und dem sozioökonomischen Hintergrund der Familien korreliert, und auf der anderen Seite auch die Finanzierungsstrukturen hier eine materielle Umverteilung von unten nach oben begünstigt.

    Honecker: : Was überraschend war. Vom Kindergarten her haben wir es ja schon geahnt, von der Hochschule auch vermutet, aber auch den Bereich der Weiterbildung, da scheint es auch zu zutreffen.

    Dohmen: Im Bereich der Weiterbildung zeigt sich relativ deutlich, dass diejenigen, die eine relativ lange vorherige Bildungskarriere haben, überproportional a) durch Unternehmen gefördert werden und b) auch dadurch profitieren können, dass über das Steuersystem die Nettokosten günstiger sind, wenn sie ein hohes Einkommen haben, als wenn sie gar kein Einkommen haben.

    Honecker: : Nun haben wir ja bislang in Deutschland Kindergartengebühren, aber noch kein Schulgeld und keine Studiengebühren. Wäre es also umgekehrt sinnvoller?

    Dohmen: Es ist sicherlich sinnvoll darüber nachzudenken, ob der Kita-Bereich zumindest mit weniger Gebühren belastet wird, als das heute der Fall ist. Aber auch hier muss man natürlich schon feststellen, dass die Nutzung überproportional den höheren und mittleren Einkommensschichten zugute kommt, so dass wir auch da eine Umverteilung hätten. Hier müsste man dann überlegen, wie man das eventuell stärker sozial differenzieren kann. Grundsätzlich ist aber richtig, der Besuch der Kita muss für die unteren Einkommensschichten deutlich günstiger sein, als das bisher der Fall ist. Studiengebühren sind sicherlich ein Element, über das man nachdenken muss, wobei man auch da sehen muss, dass über soziale Abschreckungswirkungen hier keine weitere Bildungsbarriere aufgebaut wird. Das heißt, einkommensabhängige Rückzahlungsmodalitäten müssen aufgebaut werden, und die Belastung darf nicht so hoch gehen, wie es einzelne Vorschläge zur Zeit tun. Hier wird manchmal vorgeschlagen, dass die Darlehensbelastung am Studien-Ende vierzigtausend Euro betragen soll, und dies ist eine Irrsinnssumme. Ergebnisse aus anderen Ländern, zum Beispiel Großbritannien, zeigen, dass darüber eine neue Bildungsbarriere aufgebaut werden kann.

    Honecker: : Welches Modell wäre denn sinnvoll, welches Modell wäre gerecht, Ihres Erachtens?

    Dohmen: Dieses Modell sollte zum Einen die Studiengebühr für das normale Studieren relativ moderat und auch flexibel halten. Das heißt, wer ein Teilzeitstudium macht, darf nicht höher belastet werden, als jemand, der ein Vollzeitstudium macht. Das andere ist die Frage, wie die Lebenshaltungskosten berücksichtigt werden. Hier muss man darüber nachdenken, dass in einem großen Umfang einkommensabhängig Zuschussanteile gewährt werden, damit die Darlehensbelastung nicht zu hoch wird. Gleichzeitig muss man gucken, dass die Einkommensbelastung während der Rückzahlungsphase nicht zu hoch ist. Als Beispiel: Viele Modelle gehen von Größenordnungen von drei- oder vierhundert Euro monatlicher Rückzahlung aus. Wenn sie ein Nettoeinkommen von fünfzehnhundert Euro haben, sind das relativ schnell 25 bis 30 Prozent, und das ist natürlich eine immense Belastung.

    Honecker: : Welches Modell, von denen, die in den verschiedenen Ländern diskutiert werden, entspricht denn am ehesten Ihren Vorstellungen?

    Dohmen: De facto bisher gar keins, weil sie in der Regel nicht sonderlich flexibel sind. Das heißt, sie sind sehr statisch, sagen wir fünfhundert bis tausend Euro pro Semester, unabhängig davon, ob jemand Voll- oder Teilzeit studiert. Dieses benachteiligt diejenigen, die - aus welchen Gründen auch immer, sei es Kindererziehung, sei es Erwerbstätigkeit - nicht Vollzeit studieren können. Gleichzeitig wird sehr häufig nicht über eine einkommensabhängige Rückzahlung diskutiert, die bedeutet, dass man sagt, jemand bezahlt fünf oder auch zehn Prozent bezogen auf das Einkommen, was er oder sie tatsächlich verdient und auch das nur, sofern bestimmte realistische Einkommensgrenzen überschritten sind. Dieses Modell gibt es meines Wissens nicht. Auch das andere, was nicht funktioniert, ist die Einschaltung von Geschäftsbanken. Sie sind nicht daran interessiert, es sei denn, sie erhalten deutliche Zinsvorteile, beziehungsweise staatliche Bürgschaften. Als Bank kommt meines Erachtens nur die "Kreditanstalt für Wiederaufbau" in Betracht oder vergleichbare Landesbanken. Aber das sind die Rahmenbedingen, die man dabei berücksichtigen muss. Das heißt, flexible Gestaltung der Studiengebühren, das heißt, einkommensabhängige Rückzahlungen, und wenn man eine Bank einschalten will, dann kann es nur die KfW sein oder ähnliche Banken.

    Honecker: : Dieter Dohmen, Leiter des Kölner Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie.