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Wer war Lawrence von Arabien?

Spätestens seit David Lean's Kinofilm "Lawrence von Arabien" wurde der Brite Thomas Edward Lawrence auch hierzulande einem größeren Publikum bekannt und manifestierte einen modernen Mythos – obwohl sich längst auch Zweifel in das Bild vom Helden Arabiens gemischt hatten.

Von Barbara Weber | 05.05.2011
    "Schon als ich in Ägypten gelandet war, hatte ich die unwahrscheinlichsten Geschichten von seinen Unternehmungen gehört. Sein Name wurde immer in einem Flüsterton gesprochen, denn zu jener Zeit waren alle Fakten, die den Krieg im Land von 1001 Nacht betrafen, mit Geheimhaltung belegt."

    Der Journalist Lowell Thomas stilisierte 1917 seine eigenen Recherchen zu einem Abenteuer.

    "Eines Tages ging ich in Jerusalem die Chrstian Street hinunter, als eine Gruppe von Arabern an mir vorüber kam. Unter ihnen fiel mir ein bartloser junger Mann auf mit Haaren so blond wie die eines Skandinaviers, in dessen Adern Wikingerblut und die kühle Tradition von Fjorden und nordischen Sagen fließt, aber er war in die Gewänder eines orientalischen Fürsten gekleidet und trug das goldene Schwert eines Prinzen von Mekka.
    Kurz darauf wurde er mir im Palast des britischen Gouverneurs von Jerusalem vorgestellt, als Colonel Thomas Lawrence, der ungekrönte König von Arabien."

    War er der Schöpfer des Mythos? Ein Journalist, der im Auftrag der amerikanischen Regierung 1917 den Eintritt der Amerikaner in den Ersten Weltkrieg rechtfertigen sollte? Lowall Thomas suchte nach passenden Motiven, reiste zunächst an die französische Westfront, anschließend in die italienischen Alpen und war wenig begeistert von den Motiven.

    Dann hörte er von Lawrence und schiffte mit großem Gefolge und Kameramann nach Ägypten. Aus dieser Reise entwickelte er ein für damalige Verhältnisse gigantisches Medienspektakel bestehend aus Film, Fotos, Bauchtanzeinlagen und Orchester. Rund zwei Millionen Besucher sollen die Aufführungen im englischsprachigen Raum verfolgt haben.
    Der Kurator Prof. Detlef Hoffmann hat den Film des Journalisten für die Ausstellung neu bearbeitet:

    "Dahinten haben Sie den Film, 23 Minuten lang. Ich kann ihn nur sehr empfehlen. Das sind die Plakate, die Lowell Thomas verwendet hat, und das sind die vielen, vielen Dias, die er immer wieder in den Film eingeblendet hat."

    Am Anfang steht der Mythos, wie der Brite Thomas Edward Lawrence zu Lawrence von Arabien wurde, erklärt der Wissenschaftler. Die Ausstellung dokumentiert aber auch seine Jugend, sein Studium der Archäologie, seine Ausgrabungen und seine Arbeit als Fotograf, mit der er sein Leben und Wirken festhält.

    "Sie kommen dann hier aus dem Mythos, aus der Fantasiefigur Lawrence auf diese Wand, wo die Biografie und der europäische Intellektuelle Lawrence in das Zentrum gestellt werden. Hier auf der linken Seite haben wir immer in diesen Kabinen eine Facette von Lawrence Leben, und das ist auch eine Facette von seinem Orient-Interesse."

    Schon auf dem College in Oxford lernt er Arabisch und reist später für seine Bachelorarbeit über Kreuzritterburgen nach Palästina. Als Archäologe gräbt er wieder im Orient und trifft Max von Oppenheim. Er meldet sich als Freiwilliger im Ersten Weltkrieg und wird der kartografischen Abteilung des Generalstabs der britischen Armee in Kairo unterstellt. Die kämpft im ersten Weltkrieg mit den Franzosen und Arabern gegen die Osmanen, die weite Teile Arabiens beherrschen. Die westlichen Alliierten stellen den Arabern einen selbstbestimmten Staat in Aussicht.

    Lawrence engagiert sich für den arabischen Freiheitskampf. Seine Kriegserfahrungen im Nahen Osten verarbeitet er später in seinem Buch "Die sieben Säulen der Weisheit".

    "Wir haben das so gemacht, dass das eine Stunde lang blättert."

    Detlef Hoffmann deutet auf eine Projektion.

    "Und dass man über Kopfhörer eine Stunde lang Texte aus den 'Sieben Säulen der Weisheit' hören kann."

    Der Titel ist opulent ausgestattet und reich bebildert.

    "Da gibt es noch den Sohn von dem Künstler, der das gemacht hat, der ist heute 80 Jahre, den hab' ich besucht. Der hat gesagt, er weiß genau, wie es war, wenn Lawrence zu ihnen nach Hause kam, da war er zehn Jahre alt. Und dann hat Lawrence ihm immer tolle Geschichten erzählt. Und sie haben alle da gesessen und freuten sich, wenn er kam, und wenn er draußen war, sagte der Vater: 'Glaubt ihm nichts, glaubt ihm nichts.' Aber der Vater hat ihn sehr verehrt. Man muss diese Ambivalenz sehen, sonst versteht man das nicht."

    Winston Churchill wählt Lawrence zu seinem politischen Berater. An seiner Seite nimmt der junge Brite 1921 an der Konferenz von Kairo teil. Dort werden die Grenzlinien gezogen, die bis heute weitgehend bestehen. Von einem vereinten arabischen Staat ist nicht mehr die Rede.

    "Das Königreich Jordanien wäre ohne ihn nicht da, und dann ist Feisal König des Irak geworden und war es dann bis zur Revolution der Baath-Partei nach dem Zweiten Weltkrieg. "

    Lawrence galt zunächst auch in der arabischen Welt als der Befreier. Andererseits meldeten sich schon früh einzelne Stimmen, die ihn als Verräter sahen. Der Vorwurf: Letztendlich hätten die westlichen Alliierten die Grenzen in Geheimabkommen willkürlich gesetzt, ohne die arabischen Interessen ausreichend zu berücksichtigen, und Lawrence habe davon gewusst.

    Professor Mamoun Fansa, Direktor des Landesmuseums Natur und Mensch in Oldenburg und Projektleiter der Ausstellung, kommt zu dem Schluss, dass die Araber Lawrence zunächst sehr verehrt hätten:

    "Erst dann, als die Araber angefangen hatten, ihre Geschichte selber aufzuarbeiten und viele Offiziere der arabischen Armee haben, nachdem sie auch 'Die Sieben Säulen der Weisheit' gelesen haben, haben gemerkt, dass er eigentlich - er spricht nicht die Wahrheit aus. Und dann haben sie angefangen, auch selber ihre Erlebnisse zu dokumentieren. Das ist auch das, was entscheidend war und warum in den 50er-Jahren das Bild von Lawrence völlig anders geworden ist, als das, was vorher war."

    Den Wissenschaftler Fansa reizte es, diese schillernde Figur zu erforschen. Seit Jahren sucht er mit seinen Ausstellungen Brücken zwischen Orient und Okzident zu schlagen. Lawrence von Arabien war, wie Mamoun Fansa auch, ein Weltbürger, ein hochintelligenter Grenzgänger, nicht nur ein geschätzter Berater Churchills sondern auch ein Übersetzer der "Odyssee". Sein Charisma ließ ihn bei den Beduinen zur verehrten Persönlichkeit werden.
    Der Mythos lebte auch in großen Teilen der arabischen Bevölkerung noch lange fort, erinnert sich Mamoun Fansa:

    "Ich nehme mich jetzt als Beispiel: Ich hab' mein Abitur Anfang der 60er-Jahre in Syrien gemacht. Der war damals noch ein Held."

    1962 startete der Film von David Lean "Lawrence of Arabia" mit Peter O'Toole in der Hauptrolle.

    "Erst dann, nach dem Film, kippte das total um. Nachdem sie auch gesehen haben, dass in dem Film die Beduinen sehr schlecht dargestellt worden sind, so als minderwertig präsentiert, seitdem man auch gemerkt hat, dass in diesem Film eigentlich eine bestimmte Botschaft vermittelt wird, und zwar wie toll die Europäer sind und wie schlecht die Beduinen organisiert waren und wie schlecht ihre Eigenschaften, die nicht in das 20.Jahrhundert hineinpassen."

    Film ist Fiktion. Spielfilme haben nicht die Aufgabe, Realitäten darzustellen sondern Millionen in die Kassen zu spülen. Trotzdem bleibt die Frage, was Lawrence als Verbindungsoffizier der Britischen Armee wusste. Mamoun Fansa ist überzeugt, dass er die Absprachen der westlichen Alliierten kannte und die arabischen Verbündeten auch dann noch im Unklaren ließ, als die Würfel über ihr Schicksal längst gefallen waren
    Die lange Beschäftigung mit der Person des Briten lässt den Wissenschaftler zu der Erkenntnis kommen, ...

    "... dass er eigentlich ein Lügner war, jemand, der die arabische Geschichte wirklich entscheidend beeinflusst hat und auch die Araber verraten hat."


    Die Ausstellung "Lawrence von Arabien" ist bis zum 11.September 2011 im Kölner Rautenstrauch - Joest - Museum, Kulturen der Welt, zu sehen.

    "Lawrence von Arabien, Genese eines Mythos". Schriftenreihe des Landesmuseums Natur und Mensch, Hrsg. Mamoun Fansa und Detlef Hoffmann, Verlag Philipp von Zabern, Mainz, 2010
    "Wüstenbilder/ Desert Images. Mapping Lawrence of Arabia." Von Boris, Becker, Hrsg. Klaus Schneider, Wienand Verlag Köln, 2011